Ein Web-Pad für die Welt

Die Initiative "One Laptop Per Child" entwirft einen neuen tragbaren Rechner für Kinder, der nur 75 Dollar kosten soll. Um dies zu schaffen, will man aus den Fehlern des 100-Dollar-Laptops lernen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • David Talbot

Die Initiative "One Laptop Per Child" entwirft einen neuen tragbaren Rechner für Kinder, der nur 75 Dollar kosten soll. Um dies zu schaffen, will man aus den Fehlern des 100-Dollar-Laptops lernen.

Jedes Kind, vor allem in Entwicklungsländern, mit einem „100-Dollar-Laptop“ ins Internetzeitalter zu bringen – mit diesem Ziel war die „One Laptop per Child“-Initiative (OLPC) Ende 2005 angetreten. So beeindruckend Idee war, gestaltete sich die praktische Umsetzung dann doch schwieriger als erwartet. Bis heute konnte der anvisierte Herstellungspreis nicht erreicht werden, und am ursprünglichen Entwurf waren doch einige Änderungen nötig. Angesichts des Wirbels um das iPad stellt sich nun auch die OLPC-Initiative die Frage, ob ein Laptop überhaupt noch zeitgemäß ist.

„Ein Tablet-PC ist einfacher konstruiert als ein Laptop und deshalb auch billiger herzustellen“, sagt Ed McNierney, leitender Ingenieur von OLPC. Er und seine Mitstreiter entwerfen derzeit ein 75-Dollar-Web-Pad, das mit einem biegsamen LCD-Bildschirm ausgestattet sein soll. Wichtig sei, so McNierney, dass die Konstruktion nicht nur kostengünstig, sondern auch innovativ sei und von anderen Firmen übernommen werden könne.

Kernstück des neuen Projekts ist die Prozessortechnologie der Firma Marvell, die sich auf äußerst stromsparende Chips spezialisiert hat. Denn das OLPC-Web-Pad soll noch weniger Energie verbrauchen als die 100-Dollar-Laptops vom Typ XO: Angepeilt sei eine Leistung von einem Watt, während sie beim XO bei fünf Watt liegt. Marvell stattet bereits Tablet-PCs für US-Schulen aus.

Auch den an sich schon innovative Bildschirm des XO wollen McNierney und seine Kollegen weiter verbessern. Anders als in kommerziellen Laptops arbeitet das Display nicht nur mit einer Hintergrundbeleuchtung, sondern schaltet im Freien auch in eine Art Buch-Modus um. Dann wird nur das Tageslicht genutzt, um die Darstellung aufzuhellen. Im neuen Gerät will die OLPC-Initiative die Glasschicht des Bildschirms durch eine Plastikschicht ersetzen, die sich behutsam biegen lässt.

Die jetzige LCD-Technologie von OLPC kommerzialisiert inzwischen die Firma Pixel Qi, die von der frühren Technikchefin der Initiative, Mary Lou Jepsen, gegründet wurde. Einen ersten Prototyp will OLPC für die Consumer Electronics Show 2012 in Las Vegas fertig haben. Arbeitstitel: „XO-3“.

Anders als beim XO denkt man bei OLPC nun darüber nach, das nächste Modell nicht mehr im Alleingang zu stemmen. Bislang sind vom XO nur 2,5 Millionen Stück produziert worden – ein Witz im Vergleich zu den Hunderten von Millionen, die OLPC-Gründer Nicholas Negroponte geplant hatte. Die Strategie, die Entwurf und Fertigung selbst zu organisieren, ist ein Grund, warum es bisher nicht gelang, den Preis unter 180 Dollar zu drücken.

„Wir haben nicht die Stückzahlen erreicht, die nötig wären, um den Preis auf 100 Dollar zu bekommen“, sagt McNierney. „Der XO hat ein tolles Display. Nur sind wir leider die Einzigen auf diesem Planeten, die es herstellen.“ Durch die Zusammenarbeit mit Marvell wolle man nun einige Modellkonstruktionen entwickeln, die andere Hersteller problemlos adaptieren können. Damit hoffe man, die Produktionsmengen verschiedener Komponenten deutlich auszuweiten und so die Kosten zu senken. Vorher würden die LCD-Display-Hersteller wohl nicht in neue Fertigungslinien investieren.

Generell hat ein Tablet-PC einige praktische Vorteile. Da die Tastatur in den berührungsempfindlichen Bildschirm integriert ist, kann ein Kind sie nicht zerbrechen. Zudem lässt sie sich ohne Aufwand auf andere Schriften und Sprachvarianten umstellen. Das macht es auch für Kinder von Sprachgruppen in entlegeneren Regionen leichter, das Gerät zu nutzen. Zum Vergleich: Der jetzige XO kommt mit 17 verschiedenen Tastaturen daher. Bedenkt man aber, dass allein in Indien 33 Verkehrssprachen existieren – viele mit eigener Schrift –, ist selbst diese Zahl viel zu gering.

Ob Kinder mit einem Touchscreen wirklich leichter schreiben oder zeichnen können, ist aber noch nicht ausgemacht. „Wir müssen die Ergonomie von Tablet-PCs im Zusammenhang mit den Lernaktivitäten von Kindern noch besser verstehen“, sagt Walter Bender, ehemaliger OLPC-Präsident und Gründer von Sugar Labs. Die Firma vermarktet die Benutzeroberfläche „Sugar“ und Lernsoftware, die ursprünglich von OLPC entwickelt wurden. „Noch bin ich nicht restlos überzeugt, dass ein Tablet-PC im Vergleich mit dem XO die bessere Variante ist, um das schöpferische Produzieren gegenüber dem reinen Konsumieren zu fördern.“ (nbo)