"Ein schönes Rätsel"

Die Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn erforscht, wie sich Leiden behandeln lassen, die durch eine fehlerhafte Wartung von Chromosomen entstehen.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Die Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn erforscht, wie sich Leiden behandeln lassen, die durch eine fehlerhafte Wartung von Chromosomen entstehen.

Professorin Elizabeth Blackburn erforscht an der University of California in San Francisco (UCSF) die Schutzkappen von Chromosomen (Telomere) und jenes Enzym Telomerase, das für ihre Reparatur zuständig ist. Für die Entdeckung und Aufklärung der Rolle beider Zellbestandteile erhielt die 1948 geborene Australierin 2009 mit der US-Forscherin Carol Greider und Jack Szostak aus England den Nobelpreis für Medizin. 2010 gründete Blackburn das Start-up Telome Health mit, das prädiktive Labortests entwickeln will: Diese sollen etwa helfen, aus der Telomer-Länge von weißen Blutkörperchen abzuschätzen, wie gut Patienten auf Medikamente reagieren.

Was verbindet altersbedingte Krankheiten und Krebs miteinander? Bei mehreren Vertretern beider Kategorien scheint das Wartungsenzym Telomerase nicht mehr akkurat zu arbeiten, sagt Elizabeth Blackburn von der University of California in San Francisco. Subtil ausbalanciert, hält das Enzym die Schutzkappen der Chromosomen – die Telomere – in Schuss. Ist es jedoch zu wenig oder zu stark aktiv, verkürzen sich die Telomere oder werden extrem effektiv repariert – was im ersten Fall mit altersbedingten Krankheiten sowie Erbleiden und im zweiten mit einigen Krebsarten in Verbindung gebracht wird. Blackburn will aus der Telomer-Länge vorhersagen lernen, ob eine Therapie hilfreich ist oder nicht.

Technology Review: Professorin Blackburn, welche Bedeutung haben Telomere und ihr Wartungsenzym Telomerase für die Medizin?

Elizabeth Blackburn: Wir sollten uns die Wartung der Telomere anschauen, weil sie viele spannende Informationen liefern kann. Dieser Reparaturprozess verläuft nicht immer gleich gut: Die Enzymaktivität wird offenbar sowohl von Mutationen beeinflusst, aber auch von nicht genetischen Einflüssen wie chronischem Stress. Wie sich daraufhin die Telomer-Länge verändert, das könnte ein Indiz für das Risiko sein, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. Die nächste Frage lautet: Wie kann man eine schlechte Telomer-Wartung verbessern?

TR: Was vermuten Sie?

Blackburn: Wir haben in einer ersten Pilotstudie Hinweise dafür gefunden, dass sich die Aktivität der Telomerase zum Beispiel durch Sport und Stressreduktion – also ohne Medikamente – verbessern lässt. Von diesen Veränderungen im Lebensstil wussten wir bereits, dass sie das Risiko für viele Krankheiten senken und die Gesundheit verbessern. Geschieht das nun aber allein dadurch, dass die Telomere länger werden? Dann würde natürlich jeder eine solche magische Pille einwerfen wollen, die eine Verlängerung bewirkt. Würde das aber wirklich das Krankheitsrisiko senken? Ich glaube nicht, dass die Erklärung so einfach ist, das müssen wir auf jeden Fall absichern.

TR: Was muss dabei noch geklärt werden?

Blackburn: Wenn wir die Telomer-Länge verändern, hat das eine direkte Auswirkung auf die Krankheit? Was ist, wenn die Telomer-Länge nicht die Ursache, sondern nur ein Symptom ist? Vermutlich verhält es sich eher wie mit dem Cholesterinwert. Dessen Verbesserung muss eine vorliegende Herz-Kreislauf-Erkrankung auch nicht zwangsläufig positiv beeinflussen. Trotzdem ist er ein guter Biomarker, der mit anderen Risikofaktoren in Verbindung gebracht werden kann. Wenn wir messen könnten, wie sich die Telomere und ihre Wartung infolge einer Therapie verändern, könnte uns das helfen, deren Wirkung genau zu quantifizieren.

TR: Was würden die Tests aussagen?

Blackburn: Wir – das heißt die Firma Telome Health, an der ich beteiligt bin – wollen prädiktive Labortests entwickeln: Diese sollen helfen, aus der Telomer-Länge von weißen Blutkörperchen abzuschätzen, wie gut Patienten auf bestimmte Medikamente reagieren.

TR: Könnten Sie die diagnostischen Möglichkeiten genauer erklären? Sie sagten vorhin, dass die Telomer-Länge zum Beispiel Hinweise auf Herzerkrankungen geben könnte.

Blackburn: Es gab bisher schon Belege dafür, dass bestimmte Omega-3-Fettsäurewerte in der Membran von roten Blutkörperchen das Risiko für Herzerkrankungen vorhersagen helfen. Je höher die Werte, desto besser. Und wir haben beobachtet, dass eine verbesserte Telomer-Wartung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senkt. Können wir diese Punkte miteinander verbinden und sagen, iss deine Omega-3-Fettsäuren, dann werden deine Telomere besser gewartet und das Risiko für Herzerkrankungen sinkt? Um das zu prüfen, führen wir gerade eine Fütterungsstudie durch. Sie ist noch nicht beendet, aber die Ergebnisse sind vielversprechend.

TR: Könnten wir also, wenn sich der Zusammenhang bestätigt, die Telomer-Länge über die Ernährung positiv beeinflussen?

Blackburn: Ich denke schon, dass wir die Omega-3-Fettsäurewerte so beeinflussen könnten, dass dies dann auch die Telomer-Wartung beeinflusst. Die Werte hängen davon ab, wie viel Omega-3-Fettsäuren wir mit die Nahrung aufnehmen – in Fisch und anderen Meerestieren zum Beispiel. Eine weitere Möglichkeit, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken, bieten wie gesagt Lebensstiländerungen wie Sport und Stressreduktion: Proportional zur Verbesserung des physischen Wohlbefindens steigt die Aktivität der Telomerase. Wir werden das zwei Jahre beobachten, aber der Effekt trat schon nach drei Monaten auf.

TR: Beschäftigen Sie sich bei all diesen Möglichkeiten der praktischen Anwendung noch mit der Grundlagenforschung?

Blackburn: O ja, ich liebe die Grundlagenforschung und arbeite zum Beispiel mit Hefezellen weiterhin an offenen Fragen. Ich glaube, es ist wichtig, auf diese Weise auf dem Teppich zu bleiben und die Hoffnungen und Hypes nicht mit einem durchgehen zu lassen.

TR: Welches Rätsel möchten Sie besonders gern lösen?

Blackburn: Ich wüsste gern, wie die Telomere mit der Zelle kommunizieren. Denn sie tun es, sogar schon in bescheidenen kleinen Hefezellen. Wir wissen, dass zu kurze Telomere Gefahr für die Zelle bedeuten. Aber die Telomere senden auch dann Signale aus, wenn sie nicht zu kurz sind. Wie unterscheiden sich also die Signale einer funktionierenden von denen einer gestörten Reparatur? Es ist einfach ein wunderschönes molekulares Rätsel. (vsz)