Eine Kamera, die auch mal wegschaut

Normalerweise zeichnen Überwachungskameras alles auf, was ihnen vor die Linse kommt. Ein neues Bilderkennungssystem unterdrückt Bildbereiche, die das Wachpersonal nichts angehen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Brendan Borrell

Computerwissenschaftler an der University of California in Berkeley haben ein Kameraüberwachungssystem entwickelt, das die Privatsphäre der erfassten Personen achtet. Dazu wird ihr Gesicht laufend mit einer ovalen Abdeckung unkenntlich gemacht. Die Technik mit dem Namen "Respectful Cameras", die sich aktuell noch im Forschungsstadium befindet, könnte künftig standardmäßig eingesetzt werden – erst dann, wenn auch tatsächlich eine Straftat vorliegt, würde der Privatsphärenschutz entfernt. Denn: Sicherheitsbeamte könnten auch ohne den sofortigen Blick auf Gesichter ihre Arbeit erledigen, meinen die Forscher.

"Videoüberwachungssysteme haben sich durchgesetzt und die Kameras werden auch nicht wieder verschwinden", meint Berkeley-Computerwissenschaftler Ken Goldberg, der an dem Projekt beteiligt war. "Deshalb wollen wir nach einer Technologie suchen, die weniger in die Privatsphäre der Menschen eingreift."

Das ist durchaus notwendig: Laut einer Untersuchung der New Yorker Sektion der US-Bürgerrechtsvereinigung ACLU aus dem Jahr 2006 hat sich die Anzahl der Kameras in Lower Manhattan zwischen 1998 und 2005 verfünffacht – sowohl der Staat als auch Privatfirmen betreiben immer mehr der elektronischen Augen. Allein in den New Yorker Stadtgebieten Greenwich Village und Soho werden mehrere Tausend Kameras eingesetzt. Im Vereinigten Königreich sieht die Lage noch extremer aus: In dem Land, das Bürgerrechtlern als Überwachungsweltmeister gilt, werden sage und schreibe vier Millionen Kameras eingesetzt – eine Kamera überwacht also 14 Menschen. Eine Technologie wie "Respectful Cameras" könnte helfen, einen Kompromiss aus dem zunehmenden Sicherheitsbedarf und dem Recht auf Privatsphäre zu finden, meint Berkeley-Forscher Goldberg.

In seiner aktuellen Variante kann das System allerdings nur die Gesichter von Personen verschleiern, die eine spezielle Markierungskleidung tragen – entweder einen gelben Hut oder eine grüne Weste. Das Kamerasystem wurde innerhalb des "Team for Research in Ubiquitous Secure Technologies"-Projekts entwickelt, das von der National Science Foundation finanziert wird und aus zahlreichen US-Universitäten und Privatfirmen besteht. Verwendet wird eine Sicherheitskamera von Panasonic, die Robotertechnik enthält. Sie zeichnet zehn Bilder pro Sekunde mit einer Auflösung von 640 mal 480 Pixel auf – in Echtzeit. Mit Hilfe eines statistischen Klassifizierungsalgorithmus lassen sich die Markierungen auch dann erkennen, wenn die Bilder viel visuelles "Rauschen" enthalten. In Kombination mit einer Tracker-Software, die die Geschwindigkeit einer Person voraussagt, ergibt sich eine sehr gute Genauigkeit. Auf einer Baustelle, auf der die Berkeley-Forscher das System testeten, erkannte die Technik die Markierung in 93 Prozent aller Fälle. Unter Laborbedingungen mit einheitlichen Lichtverhältnissen kam man sogar auf 96 Prozent – selbst wenn zwei Personen mit der Markierung ihren Weg kreuzten.

Der Grund für die Notwendigkeit der Markierungskleidung laut Goldberg: Aktuelle Gesichtserkennungsalgorithmen hätten in komplexen Umgebungen noch zu viele Probleme mit dem Echtzeitbetrieb. "Wir strukturieren also die Umwelt für den Computer vor", erläutert der Forscher, "wir helfen dem System, seine Arbeit genauer zu erledigen". In Bereichen mit vielen Überwachungssystemen würde man Menschen, die nicht erkannt werden wollen, deshalb außerhalb des Kamerablickwinkels entsprechende Markierungseinheiten übergeben. Statt deutlich sichtbarer Kleidungsstücke könnten dies in Zukunft auch kleinere Komponenten seien – etwa ein Button in einer speziellen Farbe. Das funktioniere besonders gut bei Systemen mit mehreren Kameras, die die Personen immer im Blick hätten, meint Goldberg.

US-Bürgerrechtsorganisationen wie der Electronic Frontier Foundation (EFF) gefällt die Idee. EFF-Justiziar Kevin Bankston glaubt, dass jede Technologie, die den Eingriff in die Privatsphäre reduziert, hilfreich sei, wenn nahezu überall überwacht werde. Die notwendigen Markierungen seien zwar eine zusätzliche Anstrengung, "aber das ist kein Argument gegen solche Forschungsprojekte. Im Gegenteil, sie sprechen für sie".

Der Gesetzgeber schütze die Bürger vor Kameras in öffentlichen Bereichen kaum, das gelte für die meisten Länder auf der Welt. So gelangte "peinliches" Material aus Überwachungskameras bereits mehrmals ins Internet. Das Hauptproblem sei aber, dass die Menschen im öffentlichen Raum zunehmend ein ungutes Gefühl hätten, dass sie ständig jemand beobachte, meint Bankston.

Sollte sich eine Technologie wie "Respectful Cameras" durchsetzen, dürfte es jedoch gleich zu einer Debatte kommen, wem erlaubt werden soll, das Ausgangsmaterial ohne Privatsphärenschutz zu begutachten. Christopher Slobogin, Rechtsprofessor an der University of Florida, der bereits über die öffentliche Kameraüberwachung publiziert hat, glaubt, dass Beamte bereits bei verdächtigem Verhalten Zugriff auf die Daten haben müssten. Eine Entscheidung des US Supreme Court im Bereich der Kontrollmöglichkeiten der Polizei lasse sich hierauf übertragen.

Goldberg erhofft sich deshalb eine neue Gesetzgebung, die einen noch zu erfindenden "Privacy Chip" in jedem Kameraüberwachungssystem zur Pflicht macht. "Wer dann eine Kamera aufbaut, muss auch die Verdeckung des Gesichtes erlauben, wenn der Bürger das wünscht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das vielen Leuten gefallen würde." (bsc)