Entdeckung eines seltenen Blutgruppen-Systems klärt Todesursache von Babys auf​

Die Ergebnisse könnte Ärzten helfen, seltene Fälle von Blutgruppen-Unverträglichkeiten aufzuspüren und zu behandeln.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
4 Blutprobenröhrchen in einem Ständer, daneben eine Krankenschwester die zwei weitere Röhrchen in die Kamera hält

Blutproben in Röhrchen unmittelbar nach der Blutabnahme

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Nicole Thornton ist eine ungewöhnliche Detektivin. Die Wissenschaftlerin von der University of Bristol spürt seltenen Blutgruppen-Systemen nach. Zusammen mit ihrer Gruppe hat sie jüngst ein neues Blutgruppen-System namens "Er" entdeckt und klärte mit dessen Hilfe die Todesursache zweier Babys und ein 40 Jahre altes medizinisches Rätsel.

Landläufig spricht man meist von den vier Hauptblutgruppen A, B, AB und 0, sowie einem positiven oder negativen Rhesusfaktor. Das ABO- und das Rhesussystem (Rh) sind aber nur zwei der insgesamt 44 Blutgruppen-Systeme, die auch das neue Er-System beinhaltet. Alle 44 Systeme klassifizieren Unterschiede von bestimmten Antigenen – genauer gesagt Eiweißen und Zuckermolekülen – auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen.

Die Blutgruppen-Systeme existieren parallel zueinander, man kann also Blutgruppe B und keinen Rhesusfaktor haben und ist dann "B negativ". Vereinfacht gesagt ist die genaue Blutgruppe eines Menschen eine Mischung aus 44 Antigen-Varianten.

Mithilfe der Blutgruppen-Systeme kann man bei Bluttransfusionen stets die passende Blutgruppe verabreichen. Wird nämlich Blut mit inkompatiblen Antigenen übertragen, bilden die Empfänger Antikörper gegen sie. Die resultierenden Verklumpungen können ernste Gesundheitsschäden verursachen und potenziell sogar zum Tod von Babys im Mutterleib oder nach der Geburt führen.

Im Schnitt wird jedes Jahr ein weiteres Blutgruppen-System identifiziert. Es werden aber auch Blutgruppen-Antigene entdeckt, die sich nicht auf Anhieb einem bestehenden System zuordnen lassen. So war es auch mit den 1982 und in den Folgejahren aufgespürten Era-, Erb- und Er3-Antigenen, bei denen es sich um Eiweiße handelt.

Dann fand Thorntons Gruppe jüngst im Blut zweier Mütter, die Babys kurz nach der Geburt verloren hatten, Antikörper gegen je eine vierte und eine fünfte Er-Variante. Da ihre Babys aber leider jeweils genau diese Blutgruppen Er4 und Er5 hatten, verursachten die – über die Nabelschnur zu ihnen gelangten – mütterlichen Antikörper eine fatale Blutreaktion. Das Blut von Müttern und Babys war inkompatibel, schreiben die Forscher im Fachjournal "Blood".

Solche Fälle sind selten, denn die meisten Menschen haben Thornton zufolge – zusätzlich zu den bekannten ABO-, Rh- und den 41 übrigen Blutgruppensystemen – die reguläre und häufige Er-Antigenversion. Nur wenige besitzen eine der fünf sehr seltenen Er-Abweichungen. Um diese raren Inkompatibilitäten trotzdem mithilfe von Tests verhindern zu können, muss man die Genbaupläne für die Eiweiße kennen. Als Thorntons Team diese für sämtliche Er-Varianten aufspürte, erwiesen sie sich alle als Varianten desselben Gens namens Piezo1. Damit hatten die Forscher gleichzeitig bewiesen, dass es sich um dasselbe Blutgruppensystem handelte.

Ähnliche Probleme mit inkompatiblen Blutgruppen zwischen Müttern und Kindern gibt es auch bei anderen Blutgruppen-Systemen. Der häufigste Fall ist, wenn Rh-negative Frauen ein zweites Rh-positives Baby erwarten – und seit der Geburt des ersten Rh-positiven Babys Antikörper gegen den Rhesusfaktor besitzen. Um zu verhindern, dass die Abwehrmoleküle das Blut des zweiten Kindes angreifen, können Rh-negative Mütter schon während der ersten Schwangerschaft prophylaktisch spezielle Antikörper erhalten. Diese ziehen die problematischen Anti-Rhesus-Antikörper dann rechtzeitig aus dem Verkehr.

(vsz)