Europa besucht einen Kometen

Zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt könnte ein Menschenwerk auf einem Kometen landen: Die Raumsonde Rosetta erreichte am Mittwoch die Umlaufbahn um den Himmelskörper Churyumov-Gerasimenko.

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Von
  • Christian Rauch
  • Alessandro Ovi

Zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt könnte ein Menschenwerk auf einem Kometen landen: Die Raumsonde Rosetta ist am Mittwoch in eine Umlaufbahn um Churyumov-Gerasimenko eingeschwenkt.

Im Januar war die europäische Kometensonde Rosetta erwacht, nachdem sie zwei Jahre lang in einer Art Winterschlaf gelegen hatte, um die Technik zu schonen und Energie zu sparen. Nun hat sie die Umlaufbahn um den Himmelskörper Churyumov-Gerasimenko erreicht. Ab November soll ihr Lander Philae seine Oberfläche erforschen. Es wäre einer der spektakulärsten Erfolge der europäischen Raumfahrt, und er war lange in Vorbereitung.

Das drei Tonnen schwere Fluggerät hat bereits eine fast zehnjährige Reise nach ihrem Start am 2. März 2004 hinter sich. Vor ihrem Winterschlaf hatte Rosetta die Asteroiden Steins und Lutetia passiert, den Mars sowie mehrmals die Erde. Bei diesen Vorbeiflügen erhielt sie genügend Schwung, um den Orbit des Kometen Churyumov-Gerasimenko zu erreichen.

Hätte sie danach ihren Winterschlaf nicht wie vorgesehen beendet, wäre die Mission gescheitert. Entsprechend angespannt war die Stimmung im Kontrollzentrum der Europäischen Raunfahrtbehörde ESA in Darmstadt. Dort warteten die Raumfahrtingenieure nervös auf ein Lebenszeichen. Es wäre da, wenn die gerade grüne Linie auf einem der Monitore einen Ausschlag zeigt. Aber 20 Minuten nach dem eigentlich dafür geplanten Zeitpunkt war immer noch nichts zu sehen. Im Raum herrschte Schweigen. Thomas Reiter, der achte Deutsche im All und jetzige ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb, schickte eine SMS an einen der Beteiligten, Berndt Feuerbacher: „Sind wir ein bisschen spät?“

„Warte, warte“, antwortete Feuerbacher. „Die Sonde ist so weit weg und muss so viele Dinge erledigen bevor sie uns sagen kann, dass sie erwacht ist.“ Sie muss ihre Sonnensegel entfalten, sich etwas aufheizen, ihre Antennen auf die Erde ausrichten. „Und vielleicht klappt das alles nicht beim ersten Versuch.“ Am Ende kam das Signal. Applaus brandete durch das Kontrollzentrum. Die Mission konnte ihr eigentliches Ziel in Angriff nehmen.

Elf Messinstrumente sollen nun zahlreiche Geheimnisse lüften: Wie ist der Kern geformt? Aus welchem Material besteht er? Und welche Prozesse lassen den Kometenschweif entstehen?

Die japanische Sonde Hayabusa war zwar bereits auf einem rasenden Himmelskörper gelandet. Dabei handelte es sich jedoch um einen Asteroiden. Diese Himmelskörper bestehen vorwiegend aus Gestein und Metallen. Kometen dagegen werden auch als "eisige Staubbälle" bezeichnet, weil sie zusammengebacken sind aus Wassereis, anderen gefrorenen Substanzen wie Methan und Ammoniak sowie Staub. Den ersten Beweis dafür lieferte die Sonde Giotto, eine ebenfalls europäische Entwicklung. Als sie 1986 am Halleyschen Kometen vorbeiflog, zeigte sich zudem, dass der an sich dunkle Kern in Sonnennähe erwärmt wird. Verdampfendes Eis lässt heftige Gasfontänen austreten.

Rund 20 Jahre später gelang es den amerikanischen Sonden Stardust und Deep Impact, zwei Schweifsterne näher unter die Lupe zu nehmen. Während Deep Impact ein Projektil auf den Kometen Tempel 1 schoss, um das beim Aufschlag herausgelöste Material zu analysieren, sammelte Stardust kleinste Mengen Staub aus dem Schweif von Wild 2 ein und schickte ihn in einer Rückkehrkapsel zur Erde.

Während die bisherigen Kometensonden mit hoher Geschwindigkeit an ihren Zielen vorbeirasten, wird Rosetta ihres rund anderthalb Jahre lang aus nächster Nähe begleiten. Wissenschaftler erhoffen sich von der Mission Aufschluss über die organischen Substanzen, die vermutlich an Staubteilchen im Kometenkern angelagert sind. Rosettas Vorgängersonden hatten bereits erste Hinweise auf solche Lebensbausteine entdeckt. So fand sich in den Proben von Stardust die Aminosäure Glycin. Das Spannende dabei:. Was in heutigen Kometen wie Churyumov-Gerasimenko steckt, war wahrscheinlich auch in den Kometen enthalten, die vor Jahrmilliarden auf die frühe Erde einschlugen. Und damals könnten sie wichtige chemische Verbindungen für die Entstehung des Lebens auf unseren Planeten gebracht haben.

Eine besondere Rolle wird bei dieser Suche der Lander Philae spielen. Er ist etwa so groß wie ein Kühlschrank und soll im November auf dem Kometenkern aufsetzen. Nach der Landung und Probenentnahme der japanischen Sonde Hayabusa auf dem Asteroiden Itokawa 2005 wird Philae der ausgefeilteste Forschungsroboter sein, der auf einem der ältesten Objekte unseres Sonnensystems aufsetzt. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt wird Philaes Landung überwachen. Einen Monat vor dem Aufsetzen gehen vom Kontrollraum LCC in Köln letzte Landeanweisungen an die Sonde. Dann muss Philae es allein schaffen, denn die Entfernung beträgt rund 500 Millionen Kilometer – Funksignale zum Kometen brauchen über eine Stunde hin und zurück.

Ist Philae gelandet, muss sich die Sonde auf dem rasenden Himmelskörper förmlich festkrallen. Da auf ihm nur eine sehr geringe Schwerkraft herrscht, "wiegt" der an sich 100 Kilogramm schwere Lander nur mehr wenige Gramm. Damit er also nicht zurückfedert und in den Weltraum entschwindet, schießt Philae beim Aufsetzen zwei Harpunen bis zu zweieinhalb Meter tief in den Kometen. Zusätzlich wird sich der Lander mit drei Eisschrauben an drei Landefüßen an der Oberfläche festkrallen.

In den Harpunen werden je ein Temperatursensor sowie ein Beschleunigungssensor den Untergrund untersuchen. Daneben enthält Philae insgesamt zehn wissenschaftliche Instrumente vom Magnetometer bis zur Bodenprobenentnahme. Die Kamerasysteme ROLIS und CIVA werden erstmals Fotos direkt von einem Kometen liefern. Auf der Erde dürften also überraschende Panoramabilder aus der Landeumgebung ankommen, aber auch mikroskopische Bodenaufnahmen. "Man weiß bisher nicht, wie Kometenoberflächen aussehen", erklärt Stephan Ulamec, Projektleiter von Philae beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. "Wir werden also zum ersten Mal sehen, ob dort Krater vorherrschen, Gasjets oder Eiszapfen in die Höhe ragen. Der Boden kann puderweich wie Neuschnee oder hart wie eine Eisplatte sein." (bsc)