Fahrstuhl für die Straße

Eine große Verkehrsvision der siebziger Jahre wird Wirklichkeit: Selbstfahrende Kabinen, sogenannte Podcars, stehen vor einer Renaissance.

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  • Jörn Iken
Inhaltsverzeichnis

Eine große Verkehrsvision der siebziger Jahre wird Wirklichkeit: Selbstfahrende Kabinen, sogenannte Podcars, stehen vor einer Renaissance.

Terminal 5 mag die neueste Erweiterung des Londoner Flughafens Heathrow sein, mit technischen Glanzpunkten bringt es bisher kaum ein Fluggast in Verbindung. Pünktlich zum Betriebsbeginn im März 2008 versagte die Logistik, abgesagte Flüge und zigtausend liegen gebliebene Koffer legten die Nerven bei Passagieren und Beschäftigten blank. Nun allerdings macht sich das Terminal daran, die Scharte auszuwetzen: Im Herbst 2011 begann hier der weltweit erste Regelbetrieb von sogenannten Podcars – kleinen, selbstfahrenden Kabinen, die ihre Passagiere wie Taxis individuell ans Ziel bringen. Geht weiterhin alles gut, könnte das Bauwerk in die Geschichte der Verkehrstechnik eingehen.

Die futuristischen Fahrzeuge stammen vom britischen Hersteller Ultra Global PRT. PRT steht dabei für "Personal Rapid Transit" – ein Verkehrskonzept, das die Vorteile von öffentlichem und individuellem Verkehr vereinen soll. Die kleinen Kabinen sollen ihre Nutzer so schnell und bequem zum Ziel bringen wie ein Auto und dabei so effizient und umweltfreundlich sein wie Bahn oder Bus. Seit den siebziger Jahren wollen Forscher diese Vision Wirklichkeit werden lassen. Bisher sind sie immer wieder gescheitert. Doch nun könnte der Durchbruch bevorstehen. Nach Heathrow stehen eine ganze Reihe weiterer Projekte am Start. Eine Studie der Bristol University rechnet damit, dass im Jahr 2020 weltweit bis zu 600 PRT-Systeme installiert sein werden. 2014 sollen Podcars in Indien erstmals innerhalb einer Stadt fahren.

In Heathrow ist das Revier der "Pods" noch überschaubar. Sie pendeln über eine eigene, knapp vier Kilometer lange Trasse zwischen den Parkhäusern und dem Terminal 5 hin und her. Im harten Alltag haben sie sich bisher offenbar bewährt: "Wir haben exzellente Rückmeldungen von unseren Benutzern erhalten", sagt ein Flughafensprecher.

Die dürften sich vor allem über den Zeitgewinn freuen. Nur rund zehn Sekunden müssen Fahrgäste laut Hersteller im Schnitt auf eine freie Kabine warten. Diese fährt sie dann mit maximal 40 km/h direkt und ohne Zwischenhalt zum Ziel. So kommen die Fahrgäste dreimal so schnell an ihren Bestimmungsort wie mit dem Bus und haben außerdem die Kabine ganz für sich allein.

Auch der Betreiber des Podcar-Netzes, die Flughafengesellschaft BAA, rechnet mit handfesten Vorteilen. Er spart nach eigenen Angaben jährlich rund 50000 Busfahrten ein und muss entsprechend weniger Personal beschäftigen. Außerdem verbraucht ein Podcar nur 0,55 Megajoule pro Personenkilometer, 50 Prozent weniger als ein Bus. Jörg Waschke vom International Institute for Sustainable Transportation im kalifornischen Santa Cruz beziffert die Einsparung durch das britische Podcar-System auf 800000 Euro im Jahr.

Jede der selbstfahrenden Kabinen kann vier Personen samt Gepäck aufnehmen. Ihre Bedienung ist so einfach wie die eines Fahrstuhls: Der Gast geht zum nächsten freien Pod, das hinter einer Glasschiebetür bereitsteht. An einem Touchscreen gibt er sein Ziel ein. Daraufhin öffnet sich die Schiebetür, und der Gast kann einsteigen. Dann braucht er nur noch den Startknopf zu drücken und sich den Fahrkünsten des Podcars anzuvertrauen.

Die dazu nötige Technik steckt vor allem in den Fahrzeugen selbst, weniger in der Trasse. Eine Führungsschiene gibt es nicht, sondern lediglich eine 25 Zentimeter hohe Seitenschwelle. Mit einem Laser messen die Wagen laufend ihren Abstand zu dieser Begrenzung und halten so ihren Kurs. Zusätzlich orientieren sich die Pods an Funk-Transpondern am Fahrbahnrand. Diese ähneln Eishockey-Pucks und verraten dem Fahrzeug, wann sich welche Station nähert. Entwickelt hat das Transpondersystem die deutsche Götting KG. Damit lässt sich die Position eines Pods auf weniger als einen Zentimeter genau feststellen – weitaus präziser als etwa per Satellitennavigation.

Zusätzlich verfolgen Sensoren an den Seitenschwellen die Fahrt jedes einzelnen Podcars und melden sie an ein zentrales Kontrollsystem. Unterschreitet eine Kabine den Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, wird sie automatisch abgebremst. Spezielle Einrichtungen, Unfälle mit Fußgängern zu vermeiden, gibt es in Heathrow allerdings nicht. Die Fahrbahn steht größtenteils auf Stelzen, und die Betreiber vertrauen darauf, dass sie auf diese Weise gut genug abgeschirmt ist.

Beim Antrieb kommt eher Lowtech zum Einsatz: Die Pods rollen auf konventionellen Gummireifen, angetrieben von Elektromotoren mit einer Leistung von zwei Kilowatt. Der Strom stammt aus preiswerten Bleiakkus. Geladen werden sie, wenn der Wagen an einer Station steht. Ein schuhförmiger Stecker am Pod schlüpft dafür automatisch in eine entsprechende Buchse.

Diese Kombination aus weitgehend autonomen Fahrzeugen und vergleichsweise schlichter Fahrbahn ist offenbar weit praxistauglicher als frühere gescheiterte Ansätze wie das "Cabinentaxi" der deutschen Konzerne MBB und Demag. Dort rollten dreisitzige Gondeln stehend oder hängend an einer Schiene entlang. Angetrieben wurden sie – wie der Transrapid – von einem Linearmotor. Das bedeutet: In die Trasse mussten kostspielige Elektromagneten und aufwendige Weichen eingebaut werden, was die Fahrbahn entsprechend teuer machte.

1973 eröffnete das Cabinentaxi-Konsortium eine 150 Meter lange aufgeständerte Teststrecke in der Nähe von Hagen und erweiterte sie in den kommenden Jahren auf 1,9 Kilometer. Nach Vorstellung von MBB und Demag sollte das Trassennetz in einer Stadt so dicht ausgebaut werden, dass die nächste Station für jeden Bewohner nie weiter als 100 bis 200 Meter entfernt ist. "Ab 1975 können Sie Ihr Auto vergessen, zumindest als innerstädtisches Verkehrsmittel", prophezeite die Zeitschrift "hobby" damals.

Von dieser Vision ist nichts geblieben. 1981 wurde die gesamte Teststrecke abgerissen und verschrottet, auf dem Gelände wächst nun Mais. Das Vorhaben scheiterte am komplizierten Genehmigungsverfahren. Klaus Becker, damals Projektleiter auf Seiten der Demag, erinnert sich: "Wir konnten aus wirtschaftlichen Gründen nicht den verlangten absoluten Bremsweg einhalten, sondern nur den relativen." Das bedeutete: Eine Kabine konnte nach dem damaligen Konzept zwar noch rechtzeitig anhalten, wenn die vorausfahrende eine Vollbremsung machte. Nicht aber, wenn diese plötzlich durch ein Hindernis gestoppt wurde – etwa durch eine "fliegende Betonkuh auf dem Fahrweg", wie Becker sarkastisch meint. Um auch für diesen eher unwahrscheinlichen, aber gesetzlich vorgesehenen Fall einer Totalblockade gewappnet zu sein, hätten die Abstände zwischen den Kabinen entsprechend vergrößert werden müssen, was das System unwirtschaftlich gemacht hätte.

Gescheitert ist auch das System des niederländischen Herstellers 2getthere auf dem Flughafen Amsterdam-Schiphol. Es basierte, ähnlich wie das in Heathrow, auf Kabinen, die wie Skigondeln auf Rädern aussahen und weitgehend autonom waren. Immerhin sieben Jahre lang – von 1997 bis 2004 – drehten vier Podcars zwei Schleifen auf dem Parkplatz 3 und brachten die Passagiere zu einem zentralen Sammelpunkt. Mit dieser relativ kleinen Anordnung wollte der Flughafenbetreiber die technische Machbarkeit und die Akzeptanz bei den Passagieren prüfen. In einer zweiten Phase sollten Pods die Terminals direkt anfahren. Dazu kam es nicht mehr – aufgrund von "wirtschaftlichen Unwägbarkeiten in der Luftfahrt", so der Hersteller.

Seit 2009 ist das System von 2getthere zwar in Masdar City im arabischen Emirat Abu Dhabi installiert, vorerst allerdings nur als stark gestutzte Versuchsstrecke. Masdar will die erste komplett CO2-freie Stadt der Welt werden. Ursprünglich sollten dort deshalb ausschließlich Podcars fahren, in einem eigens angelegten Untergeschoss. Alle 200 Meter sollten Kabinen bereitstehen. Die internationale Finanzkrise, die auch an den Ölstaaten nicht spurlos vorbeiging, machte diese Pläne zunichte (siehe TR 5/2011, S. 54). So beschränkt sich der Einsatz bislang auf zehn Podcars und zwei Stationen, die 1,2 Kilometer auseinanderliegen. 2getthere hofft aber weiterhin, dass irgendwann einmal 3000 Pods 85 Stationen in Masdar City bedienen werden.

Neben Heathrow hat derzeit weltweit nur ein einziges weiteres Kabinentaxi-System das Prädikat "alltagstauglich" verdient: das in Morgantown im US-Bundesstaat West Virginia. Es verbindet seit 1975 zwei Standorte der örtlichen Universität miteinander und könnte damit als Urahn aller Podcar-Systeme gelten – wäre es nicht umstritten, ob es sich wirklich um ein solches handelt. Die Kabinen wiegen knapp vier Tonnen, bieten acht Sitz- und zwölf Stehplätze, werden über eine Schiene mit Strom versorgt und ähneln damit eher kleinen Straßenbahnwaggons als richtigen Podcars. Vor allem aber fährt das System in den Hauptverkehrszeiten nach einem festen Fahrplan und bietet nur in ruhigen Stunden einen individuellen Transfer auf Anforderung.

Woran liegt es, dass sich die Podcars trotz aller Vorzüge bis heute nicht durchsetzen konnten? "Eigentlich hätten sie ein Erfolg werden müssen", ist Alain Kornhauser überzeugt, Verkehrsexperte an der Princeton School of Engineering in New Jersey. "Aber man wollte wohl zu früh zu vieles auf einmal." Die Konzepte waren zu komplex, die Technologie zu unreif. Andere Experten fürchten sogar, dass PRT-Systeme mehr Probleme schaffen als lösen. "Podcars sind zwar der Traum jedes modellbahnfreundlichen Ingenieurs", meint der Verkehrsforscher Andreas Knie. "Aber man schafft mit ihnen eine Komplexität, die nicht beherrschbar ist. Wenn überhaupt, ist solch ein System nur in halbwegs geschlossenen Arealen denkbar, beispielsweise auf Flughäfen."

Größter Kritikpunkt an PRT-Systemen sind die nötigen Fahrbahnen. Weil einzelne Podcars wenig wiegen, können ihre Trassen zwar preiswerter und graziler ausfallen als etwa die für Hochbahnen. Werden sie zudem noch über bestehenden Wegen aufgeständert, nehmen sie nicht einmal Platz weg. Doch Tatsache bleibt: Erstens muss neben bereits existierenden Straßen und Schienen ein komplett neues, unabhängiges Verkehrsnetz aufgebaut werden. Und zweitens stören die Stelzenstraßen das Stadtbild. Die Hersteller selbst propagieren ihre Podcars deshalb nicht als Ersatz, sondern höchstens als Ergänzung zu herkömmlichen Nahverkehrssystemen. Allerdings müssen sie dort eine recht enge Nische besetzen: Auf zentralen Verkehrsachsen in der Innenstadt können klassische Bahnen weit größere Mengen an Pendlern in kürzerer Zeit transportieren. In sehr dünn besiedelten Randbereichen lohnt sich hingegen der Aufbau eines eigenen Podcar-Wegenetzes kaum.

Doch so klein die Nische auch sein mag – wird sie von Podcars besetzt, schließt sich damit eine Lücke im Verkehrskonzept vieler Regionen. In den USA etwa denken mehrere Städte darüber nach, die "letzte Meile" zwischen Vorstadtbungalow und öffentlichem Verkehrsnetz mit Podcars zu überbrücken – etwa Ithaca im Bundesstaat New York oder das kalifornische San Jose, das die erste Podcar-City der USA werden möchte. Damit soll vor allem der Autoverkehr in den Innenstädten zurückgedrängt werden. "Das bietet völlig neue Entwicklungsmöglichkeiten für die Städte", schwärmt Laura Stuchinsky, Verkehrsplanerin in San Jose. Bisher gehen solche Vorhaben allerdings kaum über Machbarkeitsstudien hinaus. In wenigen Monaten soll das Ergebnis einer solchen Analyse aus San Jose vorliegen.

Weiter sind da schon einige asiatische Städte. Kurz vor dem Baubeginn steht beispielsweise ein PRT-System im südkoreanischen Suncheon. Es verbindet zwei 4,6 Kilometer voneinander entfernte Stationen in einem Naturschutzgebiet. Hersteller ist die britische Firma Vectus, ein Tochterunternehmen des koreanischen Stahlkonzerns Posco. Sie betreibt seit 2008 eine Versuchsanlage im schwedischen Uppsala. Dort können Gäste besichtigen, was den Vectus-Ansatz von dem der Konkurrenten Ultra Global PRT und 2getthere unterscheidet: Hier fahren die Pods mit Kunststoffrollen über Stahlschienen und werden von einem Linearmotor angetrieben, der seinen Strom von einer separaten Schiene erhält. Das reduziert den Rollwiderstand und erspart die Batterien, macht aber auch die Trasse teurer. Vectus betont, der Fahrweg sei "einfach und robust" – so gibt es beispielsweise keine Weichen oder andere bewegte Teile. Die gesamte Mechanik, um die Spur zu wechseln, ist in den Kabinen untergebracht.

Das weltweit ambitionierteste PRT-Vorhaben startet derzeit im indischen Amritsar. In der 1,5-Millionen-Stadt sollen Podcars erstmals tatsächlich als öffentliches Nahverkehrsmittel durch die Stadt fahren. Ende 2011 bestellte die Stadtverwaltung beim Heathrow-Ausrüster Ultra Global PRT eine 3,3 Kilometer lange Strecke mit sieben Stationen und bis zu 200 Kabinen. Im Endausbau soll die Strecke auf 22 Kilometer und 35 Stationen wachsen. Die Y-förmige Trasse wird Busstation, Bahnhof und den Goldenen Tempel ansteuern. An religiösen Festtagen treffen sich dort täglich bis zu 500000 Sikhs. Das System soll laut Hersteller 35 Prozent des Pilgerverkehrs aufnehmen, 30 Minuten schneller und etwa genauso teuer sein wie Taxis oder Auto-Rikschas. Der Bau beginnt noch in diesem Jahr, der Start ist für 2014 geplant. Dann dürften sich auch Verkehrsplaner aus der ganzen Welt unter die Pilger mischen. (bsc)