Fairphone-Chefin: "Profit macht dich unabhängig"

Im c’t-Interview spricht Eva Gouwens über finanzielle Engpässe und warum das Fairphone 4 bereits zwei Jahre nach dem Vorgänger auf den Markt kommt.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Robin Brand

Eva Gouwens, Chefin von Fairphone

(Bild: Fairphone)

c’t: Ein faires Smartphone, was ist das überhaupt? Und was macht das Fairphone 4 (hier lesen Sie den c't-Test) fairer als seinen Vorgänger?

Eva Gouwens: Das Hauptproblem, das die Smartphone-Industrie so unnachhaltig macht, sind die kurzen Lebenszyklen. Jedes Jahr werden 1,4 Milliarden Smartphones gekauft und noch mehr hergestellt. Im Schnitt werden diese in Europa 26 Monate genutzt und danach nur zu 20 Prozent recycelt. Dafür suchen wir Lösungen: Mit dem Fairphone 4 bieten wir erstmals eine 5-Jahres-Garantie an. Wir produzieren elektronikschrottneutral, wie wir es nennen. Das heißt: Für jedes verkaufte Fairphone recyceln wir ein Altgerät oder bereiten eines auf. Wir streben eine Kreislaufwirtschaft an, wissen aber auch, dass das noch nicht Realität ist. Im kommenden Jahrzehnt werden wir weiter auf den Abbau von Rohstoffen angewiesen sein, einerseits weil die Recyclingquoten noch nicht hoch genug sind, andererseits weil die Nachfrage so schnell steigt. Im Vergleich zum Fairphone 3 wird das Fairphone 4 mehr faire Rohstoffe enthalten, aber wir sind noch nicht so weit, ausschließlich faire Rohstoffe zu verwenden. Aus manchen Zulieferungsketten beziehen wir zum Beispiel faires Gold, aber noch verwenden wir nicht für alle Komponenten ausschließlich faires Gold.

c’t: Sie haben die kurzen Lebenszyklen erwähnt. Warum bringt Fairphone zwei Jahre nach dem Fairphone 3 ein neues Smartphone auf den Markt, nachdem zwischen Fairphone 2 und Fairphone 3 fast fünf Jahre lagen? Ein neues Gerät trägt doch zu einer Art psychologischer Obsoleszenz bei.

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Gouwens: Das ist wahr und das ist ein Teil meines Jobs: Er ist voller Dilemmata, es gibt nicht den einen richtigen Weg. Mit dem Fairphone 2 haben wir gelernt, dass die Abstände zwischen zwei Geräten auch zu lang sein können. Diese Industrie bewegt sich so schnell, die meisten Hersteller bringen mehrere Geräte pro Jahr auf den Markt, dass es für uns schwierig wurde, unser Ersatzteilversprechen zu halten. Die ganze Zulieferindustrie ist auf diesen schnellen Rhythmus ausgelegt, sodass es eine ziemliche Herausforderung ist, einen Käufer, der ein Fairphone 2 vier Jahre nach Marktstart neu gekauft hat, noch fünf Jahre später, also rund neun Jahre nach Marktstart, mit allen Ersatzteilen zu versorgen. Wir konnten nicht alle Komponenten im Voraus genau planen, was zu Verschwendung oder Engpässen führte. Um sicherzustellen, dass wir auch Käufer, die ein Fairphone kurz vor dem Start eines Nachfolgers kaufen, noch fünf Jahre mit Ersatzteilen beliefern können, mussten wir die Abstände zwischen den Geräten verkürzen.

c’t: Ein Smartphone mit High-End-Komponenten könnte helfen, dass die Leute auch Jahre nach dem Kauf noch Spaß am Smartphone haben und es länger nutzen. Ist es für Fairphone möglich, auch mal ein richtiges Top-Smartphone zu entwickeln?

Gouwens: Wir haben das Fairphone 4 schon mit dem Gedanken entwickelt, dass es auch nach längerer Nutzung noch Spaß macht – und deswegen haben wir in Technologie wie zum Beispiel 5G investiert. Aber mit Blick auf "High-High-End-Smartphones": Ich glaube nicht, dass wir in der Entwicklung die Vorreiter sein werden, für uns geht es darum, die Lücke zur technologischen Spitze so klein wie möglich zu halten, wenn das Smartphone auf den Markt kommt.

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c’t: Schon bald will die EU Smartphone-Hersteller verpflichten, ihre Geräte fünf Jahre lang mit Updates zu versorgen, sie besser reparierbar zu gestalten und Ersatzteile vorrätig zu halten. Wäre Fairphone dann überhaupt noch etwas Besonderes?

Gouwens: Ich denke, wir tun mehr, als nur ein faires Smartphone herzustellen. Es geht nicht nur darum, faire Rohstoffe zu verwenden oder ein Gerät modular zu bauen. Wir haben über Dinge wie Datenschutz noch gar nicht gesprochen, das könnte in Zukunft etwas sein, was stärker in unseren Fokus rückt, genauso wie besseres Recycling. Ich sehe mehr als genug Raum.

c’t: Fairphone hatte in der Vergangenheit auch mal finanzielle Probleme. Stellt sich in solchen Situationen die Frage, ob man etwas für Nachhaltigkeit tun kann oder geht es da nicht eher ums nackte Überleben?

Gouwens: Ein nachhaltiges Unternehmen sollte auch nachhaltig wirtschaften, sonst kann es seine Vorhaben nicht realisieren. Letztes Jahr haben wir nach vielen verlustreichen Jahren einen Gewinn erzielt. Viele Leute haben mich gefragt, ob das überhaupt passt, dass wir als Unternehmen, das von einer Mission getrieben ist, Profit machen. Und ich glaube, genau das ist der Schlüssel: Wir mussten mal Investoren anpumpen, um Ersatzteile zu bestellen. Profit macht dich unabhängig und gibt dir mehr Möglichkeiten zu investieren, neue Produkte zu entwickeln, zu forschen.

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(rbr)