Forscher beleben Netzhaut von Verstorbenen wieder​

Ein Versorgungsgerät verhindert Schäden in entnommenen Retinas. Das könnte das Erforschen von Augenleiden verbessern und Netzhautverpflanzungen ermöglichen.​

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

(This article is also available in English)

Die Netzhaut lässt sich bisher nicht transplantieren, weil ihre Lebensfähigkeit nach dem Kreislauftod zu schnell sinkt. Die Signale zwischen den lichtempfindlichen Netzhaut-Neuronen selbst sowie zwischen ihnen und dem Gehirn verstummen innerhalb von Sekunden oder maximal Minuten, und zwar unumkehrbar, wie Wissenschaftler bisher dachten.

Doch US-Forscher haben einen Weg gefunden, die elektrische Aktivität in lichtempfindlichen Nervenzellen (Fotorezeptoren) der Netzhaut (Retina) wiederzubeleben. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal "Nature". Sie hoffen, dass dies langfristig nicht nur den Weg zur Transplantierbarkeit der Retina ebnen kann, sondern kurzfristiger auch Augenkrankheiten besser erforschbar machen wird.

Die Anregung für Frans Vinbergs Gruppe von der University of Utah lieferte ein 2019 veröffentlichter Nature-Fachartikel, der über eine Teil-Revitalisierung der neuronalen Aktivität von Schweinegehirnen nach dem Tod der Tiere berichtete. Wenn das zentrale Nervensystem wiederbelebt werden kann, ist das vielleicht auch für Teile davon wie die Retina möglich, so die Überlegung.

Forscher der Yale School of Medicine in New Haven hatten die Schweinegehirne kurz nach dem Schlachten entnommen und bis zu vier Stunden später über die Hauptblutgefäße rhythmisch mit einer zellfreien nähr- und sauerstoffhaltigen Flüssigkeit bis in die kleinsten Kapillaren durchspült. Parallel dazu filterte die Maschine die Nährflüssigkeit ähnlich wie eine Niere. Die Versorgung hielt das Absterben der Nervenzellen auf, die wieder spontan elektrische Signale weiterleiteten. Zudem reagierten die Gehirngefäße auch wieder, etwa auf gefäßerweiternde Medikamente.

Retina-Forscher Frans Vinberg und Augenärztin Anne Hanneken vom Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla wollten als erstes herausfinden, was genau zu dem irreversiblen Retina-Schaden nach dem Tod führt und ob es nicht doch einen Weg gibt, diese Prozesse umzukehren. In Mausversuchen fanden sie heraus, dass von den zwei Hauptursachen Sauerstoffmangel und Übersäuerung sich der Schaden durch Letzteres auch Stunden nach dem Tod noch umkehren lässt. Beim Sauerstoffmangel allerdings schließt sich das Zeitfenster weitaus schneller: Bei der Maus-Netzhaut innerhalb von drei Stunden und bei menschlichen innerhalb von nur einer Stunde, danach ist der Schaden zu groß.

"Wir erkannten, dass per Autopsie erhaltene Augen nicht schnell genug verfügbar wären, um die Kommunikation [zwischen den Retina-Nervenzellen, Anmerk. d. Red.] wiederherzustellen“, sagte Hanneken in einem Natur-Podcast. Um also den Hypoxie-Schaden von vornherein zu vermeiden, erhielten die Forscher Erlaubnis, an Augen von Organspendern zu forschen, die innerhalb von 20 Minuten nach dem Herztod in ihr Labor gelangten. Für den Transport entwickelten sie einen speziellen Behälter, der die Organe über ein Nährmedium mit Sauerstoff versorgt.

Im Labor reagierten die Fotorezeptoren der Augen auf Licht und schickten elektrische Signale zu anderen Fotorezeptoren. Das bedeute allerdings nicht, dass die Augen sehen konnten, so die Forscher. Der Seheindruck entsteht erst im Sehzentrum des Gehirns.

Die Wissenschaftler hoffen, mit ihrer Methode die Physiologie des Auges und vor allem Netzhautkrankheiten besser erforschen zu können, wenn sie die Sehorgane von Verstorbenen mit solchen Leiden gespendet bekommen. Krankheiten wie die altersbedingte Makula-Degeneration lassen sich in Tierversuchen schlecht untersuchen, da etwa die Mausnetzhaut keine Makula enthält. Dieser auch "gelber Fleck" genannter Bereich ist der Ort des schärfsten Sehens, weil er mehr Rezeptorzellen enthält. Darüber hinaus ließe sich auf diese Weise auch die Wirkung von Medikamenten auf Augen genauer untersuchen, schreiben die Forscher.

(vsz)