Friedensstifter Wissenschaft

Im Nahen Osten sollen Biologen, Chemiker oder Materialforscher aus verfeindeten Ländern zusammenarbeiten.

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Von
  • Jan Oliver Löfken

So frostig der Kalte Krieg auch war, Physiker aus dem Ostblock und den westlichen Staaten arbeiteten am Forschungszentrum Cern in der Schweiz trotzdem in Eintracht zusammen.

Dieser diplomatische Erfolg auf dem Gebiet der Wissenschaft soll sich nun im krisenreichen Nahen Osten wiederholen: Der Synchrotronring Sesame (Synchrotron-light for Experimental Science and Applications in the Middle East) nimmt in Allan nahe der jordanischen Hauptstadt Amman seine Arbeit auf.

Ab 2017 bietet er intensives Licht über einen weiten Spektralbereich vom Infraroten bis zur Röntgenstrahlung für die Untersuchung von Proben an; die Adressaten sind Biologen, Chemiker oder Materialforscher. Beteiligt an diesem Schmelztiegel sind neben dem Gastgeber Jordanien die Staaten Iran, Israel, Türkei, Pakistan, Ägypten, Zypern und Bahrain sowie die palästinensischen Autonomiegebiete.

"Wir stehen kurz vor dem Abschluss", sagt Eliezer Rabinovici, theoretischer Physiker der Hebräischen Universität in Jerusalem. "Es ist ein sehr besonderer Moment, wenn Träume Realität werden." Seinen Anfang fand Sesame in der Tauwetterphase der Oslo-Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern während der 1990er-Jahre.

Nach rund 20 Jahren Planung und Bauzeit werden nun Ende 2016 Elektronen mit einer Energie von 2500 Megaelektronenvolt (MeV) durch den 133 Meter langen Ringbeschleuniger sausen. Durch starke Magnete auf eine Kreisbahn gezwungen, erzeugen die Elektronen intensives Licht vom Infrarot bis zur harten Röntgenstrahlung.

Dieses Licht wird ab dem kommenden Jahr auf Proteinkristalle, innovative Materialien oder gar Korallen aus dem Roten Meer treffen, um neue Details in Aufbau und Funktion zu entdecken. Zunächst gehen zwei Strahlrohre in Betrieb, bis 2019 sollen zwei weitere folgen.

"Eine wichtige Komponente, der 800-MeV-Booster, stammt aus dem abgebauten Berliner Synchrotronring Bessy", sagt Maschinenphysiker Erhard Huttel aus Karlsruhe, der Installation und Betrieb des Synchrotronrings leitet. "Doch den Speicherring haben wir komplett neu gebaut."

Dazu mussten Huttel und sein 40-köpfiges Team mit etwa 20 Millionen US-Dollar auskommen, die zu gleichen Teilen von der Europäischen Union, Israel, Jordanien und der Türkei bereitgestellt wurden. Der Iran wird seinen Beitrag offenbar erst nach Beendigung der Wirtschaftssanktionen überweisen. Den Betrieb sollen die Trägernationen künftig ohne Förderung von Drittstaaten finanzieren, was aber aufgrund der uneinheitlichen Zahlungsmoral wohl eine Herausforderung ist.

Bisher zeigt sich auch, dass die Anteile der Mitarbeit der beteiligten Staaten noch unausgewogen sind. "In meinem Team arbeiten vor allem Jordanier", sagt Huttel. Doch er hofft, dass sich mit Beginn des wissenschaftlichen Betriebs auch die anderen Nationen von Israel über den Iran bis hin zu Ägypten stärker engagieren werden.

Dabei spielt die Sicherheit für die Forscher eine wichtige Rolle. "Ich habe mich bisher immer sicher gefühlt", sagt Huttel, der seit 2012 in Allan tätig ist. Von den großen Chancen, die Sesame für eine friedliche wissenschaftliche Zusammenarbeit bietet, ist der Physiker zwar überzeugt. "Aber wir haben einen langen Weg vor uns." (bsc)