Fünf Jahre DVB-T2 HD: Die Extrawurst aus Deutschland​

Am 31. Mai 2016 begann in Deutschland mit DVB-T2 HD eine neue Ära des Antennenfernsehens – nach holprigem Start eine unspektakuläre Erfolgsgeschichte.​

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(Bild: KYNA STUDIO, Shutterstock)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Am Anfang war der Ärger übers terrestrische HDTV: Zum 31. Mai 2016 startete in den ersten Regionen Deutschlands das extrascharfe Antennenfernsehen. Außer einigen UHD-TVs gab es im Handel zu diesem Termin noch keine geeigneten Empfänger, das "alte" DVB-T lief parallel – bis zum kompletten Wechsel zum 29. März 2017.

Der Umstieg in Deutschland zog sich noch bis 2019 hin; seitdem ist das DVB-T Geschichte und Millionen von einst bis zu 400 Euro teuren Empfängern Elektronikschrott. Viel Aufregung also zur Modernisierung des im HD-Zeitalter wirklich bescheiden aussehenden DVB-T. Aber nach ein paar Kinderkrankheiten (und Updates der Empfänger-Firmware) lief und läuft DVB-T2 HD weitgehend klaglos.

Das "alte" DVB-T war seit 2001 sukzessive in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern eingeführt worden – in Deutschland schaltete man die letzten analogen TV-Sender 2008 ab. DVB-T, irreführend und technisch nicht ganz korrekt als "Überallfernsehen" beworben, war also in einigen Landstrichen kaum länger als ein Jahrzehnt im Einsatz, bevor das System wieder in die Tonne sollte. Die RTL-Gruppe dachte bis 2013 laut über den Komplettausstieg nach. Einen Grund dafür kennt Eckhard Matzel, der beim ZDF bis Ende 2020 als Leiter der Programmverbreitung tätig war: "DVB-T ist von allen Verbreitungswegen der teuerste und der am wenigsten genutzte", sagte Matzel im Gespräch mit heise online.

Michael Silverberg, Dozent an der Fakultät für Information, Medien und Elektrotechnik der Technischen Hochschule Köln, erklärt den schweren Stand des terrestrischen Fernsehens in Deutschland: "Die terrestrische Verbreitung hat in Deutschland einen geringeren Stellenwert als etwa in Spanien, Italien oder Großbritannien." Grund sei der Astra-Effekt. "Kurz vor der deutschen Wiedervereinigung startete der Betreiber seine Satellitenflotte, Schüsseln und Empfänger wurden günstiger und kompakter. Nach der Wende stellten große Teile Ostdeutschlands auf Satellitenempfang um und blieben dabei."

Es musste also etwas passieren, um DVB-T konkurrenzfähig zu halten. Die Bildqualität sollte fürs HD-Zeitalter taugen, die Politik wollte Teile des DVB-T-Frequenzspektrums für LTE. Ende der Nuller-Jahre einigten sich deshalb TV-Hersteller und -Sender auf den potenziell HD-tauglichen Nachfolger DVB-T2. Als Codec war zunächst das MPEG-4-basierte H.264 vorgesehen. In den Folgejahren wurden Millionen Fernseher mit den "zukunftssicheren" neuen Empfangsteilen in Deutschland verkauft, bis sich maßgeblich die TV-Sender recht kurzfristig fürs bessere HEVC (High Efficiency Video Coding; H.265) entschieden. "Es blieben nur noch zwei Drittel des ursprünglichen Spektrums, gleichzeitig wollte man 40 Programme in HD senden – das hätte mit H.264 nicht funktioniert. Dafür brauchte man das doppelt so effiziente H.265", erklärt Silverberg.

Ulrich Reimers vom, Institut für Nachrichtentechnik an der TU Braunschweig gilt als Vater von DVB. Er sprach sich zunächst gegen H.265 aus. "Ich dachte nicht, dass die TV-Gerätehersteller nur für den deutschen Markt eigene Empfänger bauen würden. Im Nachhinein betrachtet war die Entscheidung pro H.265 aber richtig." Und da die Fernseherbranche Richtung UHD marschierte, das man ebenfalls per H.265 überträgt, kam die für DVB-T2 HD nötige Technik praktisch nebenbei in aktuelle TVs.

Dennoch waren Ärger und Verwirrung über die Entscheidung zunächst groß. Gar nicht so alte DVB-T-Technik wurde nutzlos und viele neue TV-Geräte waren nicht so zukunftssicher wie erwartet. Und statt den deutschen Sonderweg wenigstens eindeutig, etwa als DVB-T3, zu kennzeichnen, vermarktete man das neue System als DVB-T 2 HD. Es gab also HD-taugliche Fernseher mit DVB-T2, die nicht für DVB-T2 HD gerüstet waren.

Für manche mindestens genauso ärgerlich: In den meisten DVB-T-Regionen Deutschlands waren auch die Privatsender, also die Programme der RTL- und Pro7-/Sat1-Gruppe, via Stab- oder Dachantenne frei empfangbar. Wer sich mit Standardauflösung zufriedengibt, sieht die Privaten – von eventuellen Grundgebühren abgesehen – über Kabel oder Satellit kostenlos. Bei DVB-T 2 HD fehlt diese Ausweichmöglichkeit aber. Das bedeutet 69 Euro pro Jahr für Frauentausch, Dschungelcamp und die Big Bang Theory.

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Die Entscheidung der Privatsender hatte nichts mit dem neuen Standard zu tun, sondern war wirtschaftlich motiviert. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer schimpften aber deshalb auf die Technik. Die Tatsache, dass Freenet, der Betreiber der Zahl-Infrastruktur, erfolgreich in den Medien lancierte, man brauche für den Umstieg aufs neue Digital-TV zwingend Empfänger mit dem Logo des Hauses, trug ebenfalls zu Verwirrung und Frust bei. Freenet wollte bei möglichst vielen Nutzern seine Abrechnungs-Infrastruktur installieren, für den Empfang der Öffis reichen aber Geräte ohne Logo – die gab und gibt es ab 30 Euro.

Fünf Jahre nach dem Start ist das Format in großen Teilen Deutschlands verfügbar, ein weiterer Ausbau ist allerdings nicht geplant. Was hat sich außer dem mit 1080/50p besten HD-Bild geändert? Auf Computern ist nur noch Empfang und Aufzeichnung der unverschlüsselten Kanäle ohne Klimmzüge möglich, selbst auf dedizierten Receivern mit Aufnahmefunktion ist der Nutzen beschränkt und die Einrichtung hakelig. Als "Taxifahrer-Fernsehen", also als Unterhaltung beim Warten auf Kundschaft, taugt DVB-T 2 HD wie sein Vorgänger. Der Empfang bei Tempo 180 auf der Autobahn ist aber Geschichte. "Gegenüber dem alten DVB-T nutzt T2 HD doppelt so viele, doppelt so dicht aneinander gepackte Unterträger", erklärt Michael Silverberg. "Beim Empfang während der Fahrt schlägt der Dopplereffekt früher zu – bei Tempo 60 ist Feierabend." Auch manch stationärer Nutzer des alten DVB-T schaut seit dem Umstieg in die Röhre: Wegen der effizienteren Fehlerkorrektur des Verfahrens senkte man die Sendeleistung, einige Funktürme wurden komplett abgeschaltet. An manchen Standorten reichte plötzlich die Zimmerantenne nicht mehr aus.

Für Freenet und deren Tochter Media Broadcast scheint das Geschäft unterm Strich profitabel zu sein. Ein Sprecher der Tochter Media Broadcast sagte heise online: "Per 31.3.2021 nutzen etwa 870.000 Kunden den zahlungspflichtigen Service von freenet.tv." In den vergangenen Jahren sank die Zahl der Abonnenten zwar, der Betreiber erwartet aber eine "Stabilisierung des Kundenbestands um die 800.000" und hofft, dass ab 2024 durch den Wegfall des Nebenkostenprivilegs Terrestrik für weitere Zuschauer eine interessante Alternative wird.

Höchstwahrscheinlich werden DVB-T 2 HD und sein Radio-Gegenstück DAB+ die letzten klassischen Rundfunksysteme bleiben, erklärt Ulrich Reimers. Ein technisch besseres TV-Sendeverfahren könnte man nur realisieren, wenn man sich vom klassischen Kanalraster löste und ultrabreitbandige Signale bei geringer Sendeleistung nutzte. "Dazu müssten die TV-Sender aber sämtliche vorhandene Infrastruktur ersetzen, zudem würde es die existierende internationale Frequenzplanung über den Haufen werfen."

Aber brauchen wir die linearen Angebote überhaupt noch? Der frühere ZDF-Programmverbreitungsleiter Eckhard Matzel ist sich sicher: Klassisches Radio und Fernsehen bleibe bis auf Weiteres relevant. "Natürlich verschiebt sich die Nutzung in Richtung Internet. Aber wie schnell? Da wage ich keine Prognose."

(dahe)