Garbage In, Garbage Out? Warum Dokumentation im Gesundheitswesen wichtig ist

Was aus Sicht des Verbands für Dokumentation und Informationsmanagement in der Medizin für eine erfolgreiche Digitalisierung des Gesundheitswesens wichtig ist.

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DVMD-Veranstaltung

(Bild: heise online)

Lesezeit: 6 Min.

Künftig soll jedes Land Regelungen für die Nutzung von Gesundheitsdaten schaffen. Hierzulande stellt das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) die notwendigen Weichen, auf EU-Ebene der Europäische Gesundheitsdatenraum. Um überhaupt erst qualitativ hochwertige Daten nutzen zu können, braucht es neben dem regulatorischen Rahmen und Software allerdings auch entsprechend ausgebildete Fachkräfte für die medizinische Dokumentation. Diese haben sich kürzlich auf einer vom Fachverband für Dokumentation und Informationsmanagement in der Medizin (DVMD) ausgerichteten Tagung getroffen und über Themen wie digitale Gesundheitsakten, Datenschutz und mehr unterhalten. Wir haben mit der DVMD-Vorsitzenden Annett Müller über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen beim Datenmanagement gesprochen.

heise online: Das Motto der diesjährigen DVMD Fachtagung lautet "Garbage In, Garbage Out? Nicht mit uns!" Warum wurde dieses Motto gewählt?

Annett Müller: Die Teilnehmenden der DVMD-Veranstaltungen sind in verschiedenen Tätigkeitsfeldern im Einsatz. Dazu gehören die Bereiche Medizincontrolling, Qualitätsmanagement und Anwendungsbetreuung im Krankenhaus sowie klinische Forschung, Tumordokumentation, Krebsregistrierung oder Epidemiologie/Biometrie. Die Schnittmenge aller Tätigkeitsfelder ist das Datenmanagement. Unsere Mitglieder verantworten die qualitative Datenerfassung, Datenintegration, über die Datenverarbeitung bis hin zur Datenbereitstellung und Datennutzung. Kommt "Mist" rein, kommt auch "Mist" raus.

Welche Entwicklungen hat der DVMD beobachtet?

Obwohl es auch schon vor 50 Jahren Computer gab, wurde schon damals viel auf Papier dokumentiert. Bei unserer Jubiläumsfeier im Jahr 2022 waren auch alte Hasen anwesend, die teilweise schon über 40 Jahre dabei sind. Die haben die ganze Entwicklung natürlich viel besser miterlebt und kennen den Weg von der Lochkarte bis zur heutigen Entwicklung. Der Wandel liegt nicht mehr unbedingt in der Technik, sondern eher in den Anforderungen an die einzelnen Ausbildungen. Wichtig ist, dass die richtigen Kompetenzen vermittelt werden. Hier setzt unser Berufsverband an. Unser Ziel ist es, die Fachkräfte in diesem Bereich zu sichern, denn sie werden gebraucht, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben und Daten nutzbar zu machen.

Interoperabilität spielt für den DVMD eine große Rolle. Was ist, wenn Pharmakonzerne ihre eigenen internen Standards schaffen?

Das ist kontraproduktiv und kann natürlich nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Zunächst einmal gibt es nationale und internationale Terminologien. Wir setzen unter anderem auf SNOMED CT. Das ist die derzeit umfassendste internationale Ontologie, mit der medizinische Informationen kodiert und ausgetauscht werden können, damit sich die Anwendungssysteme sozusagen verstehen. Etwas Eigenes zu machen, das wird keinen Bestand haben können, das entspricht auch nicht der Zukunft und widerspricht auch der Gesetzgebung – sowohl auf europäischer Ebene als auch auf nationaler Ebene. So ist es auch mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Mit dem Gesetz sollen Gesundheitsdaten unter strengen Bedingungen verfügbar gemacht werden.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem GDNG?

Die große Hoffnung ist, dass man wirklich aus den Daten lernen kann. Die menschliche Entwicklung und auch die Entwicklung verschiedenster Bereiche basiert auf Erfahrungen. Egal, ob sie handschriftlich in dicken Büchern stehen und von Gelehrten studiert werden oder ob sie direkt elektronisch entstehen. Überall dort, wo Daten gespeichert werden, wird im besten Fall Wissen generiert. Gerade im Bereich der Patientenbehandlung ist es wichtig, aus Fehlern zu lernen.

Natürlich möchte ich dabei nicht, dass mein Krankheitsverlauf irgendwo veröffentlicht wird. Das Thema IT-Informationssicherheit spielt eine wichtige Rolle. Im Forschungsdatenzentrum Gesundheit werden die Daten aggregiert zur Verfügung gestellt und sind in Teilen auch EU-weit verfügbar. Aktuell sitzt jedoch jede große Universitätsklinik auf ihren eigenen Daten und es passiert nichts damit. Dann werden die Daten 30 Jahre lang aufbewahrt und nur herausgeholt, wenn ein Proband oder ein Patient mal klagt. Wir müssen sehen, dass die Daten auch vernünftig zur Verfügung gestellt werden.

Was müsste besser laufen?

Es ist wichtig, dass die Firmen besser miteinander kooperieren und dass vorhandene Standards auch genutzt werden. Es gibt zum Beispiel HL7 FHIR als syntaktischen Standard. Im stationären Bereich gibt es die sogenannte ISiK-Spezifikation (Informationstechnische Systeme in Krankenhäusern), das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Viele Anbieter stellen den Krankenhäusern tolle Anwendungssysteme für die Dokumentation zur Verfügung. Im Moment ist es so, dass ein Teil der Hersteller ihre Daten nicht für andere Anwendungssysteme zur Verfügung stellen wollen. Das heißt, man hat dann wieder eine doppelte Datenerfassung. Wenn ich zum Beispiel in einem Krankenhaus operiert werde und dann in ein anderes Zentrum muss und dort gibt es wieder ein eigenes Dokumentationssystem, dann müssen die Daten wieder neu erfasst werden.

Oft erstellen Techniker und Informatiker Spezifikationen, ohne etwa die praktischen Abläufe im Krankenhaus oder in der Praxis zu kennen. In jedem guten Projektmanagement weiß man, dass ein Projekt dann funktioniert, wenn alle Beteiligten an einem Tisch sitzen. Und da gehören aus meiner Sicht zum Beispiel auch Dokumentare, beziehungsweise medizinische Informationsmanager, dazu, die wissen, wie zum Beispiel ein bestimmter Prozess abläuft und was überhaupt an medizinischer Dokumentation gemacht werden muss.

Ein anderes Thema ist, dass man eigentlich erst einmal eine Marktanalyse machen müsste: Was gibt es, was brauchen wir noch? Nicht jeder kann das Rad neu erfinden. Stattdessen werden Krankenhäuser oder Arztpraxen mit Sanktionen bedroht. Symbolisch kann man sich alle Themen rund um die Digitalisierung des Gesundheitswesens als einen Topf voller Chaos vorstellen. Alle Beteiligten vertreten ihre eigene Sichtweise – eine gemeinsame Kommunikation und Meilensteinplanung für die erfolgreiche Umsetzung aller aktuellen Themen sehe ich persönlich leider nicht. Das wird sich auch durch die Krankenhausreform nicht unbedingt ändern.

(mack)