Gastspiele

Um die eigenen Internetseiten attraktiver zu gestalten, stellen viele Betreiber ihren Besuchern Foren, Gästebücher oder Chats zur Verfügung. In regelmäßigen Abständen sollte man allerdings die verbalen Hinterlassenschaften der Surfer kontrollieren - wenn nicht, findet sich der Betreiber schlimmstenfalls vor Gericht wieder.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
Inhaltsverzeichnis

Die scheinbare Anonymität virtueller Tummelplätze wie Gästeforen oder -bücher verführt Webseitenbesucher nicht selten zu Beleidigungen, Verleumdungen und falschen Tatsachenbehauptungen. Derartige Rechtsverletzungen sind auch für die Betreiber der Angebote rechtlich nicht gänzlich ohne Risiko, wie einige jüngst ergangene Urteile zu diesem Thema zeigen.

Ein ‘Parasit’ sei er, ein ‘Arschloch’, der Anwalt aus München. Das empfand jedenfalls ein unbekannter Internetnutzer so und teilte es über das Gästebuch einer privaten Website der Welt mit. Der Anwalt reagierte darauf mit einer Abmahnung an die Betreiberin der Website und verlangte die Löschung des Beitrags. Da sich diese auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung berief und die Kosten der Abmahnung nicht zahlen wollte, traf man sich vor einigen Wochen vor dem Landgericht Düsseldorf wieder, das den Streit zu entscheiden hatte.

Nirgendwo sonst wird so oft geschimpft, beleidigt, verleumdet und gemobbt wie im Internet. Das liegt in erster Linie daran, dass sich die Kombattanten solcher ‘Flamewars’ in einer zum Teil trügerischen Anonymität wähnen. Allerdings ist nicht jede für den Betroffenen verletzende Äußerung eine strafrechtlich relevante Beleidigung im Sinne des § 185 StGB. Nach der Rechtsprechung versteht man darunter einen ‘Angriff auf die Ehre eines anderen durch die Kundgabe von Nicht-, Gering- oder Missachtung’. Relevant ist jedoch immer der Kontext, in dem die Äußerung fällt. Ausschlaggebend bei der Beurteilung einer Beleidigung sind der Ton einer Diskussion, Alter, Stellung, persönliche Eigenschaften - etwa Bildungsgrad - oder die Beziehung der Beteiligten zueinander. Vereinfacht gesagt, es kommt immer darauf an, wer etwas wo zu wem sagt. Daher kann man sich beispielsweise mit der gleichen Äußerung in einem Forum zum Thema ‘Benimmregeln’ strafbar machen, in einem Chat namens ‘Chauvischweine’ dagegen nicht.

Auch andere Gesetze werden gerne und häufig in virtuellen Versammlungsräumen verletzt. Heftige Kritik findet man beispielsweise über das Geschäftsgebaren vieler Unternehmen. Solche Äußerungen sind grundsätzlich erlaubt, sofern sie Tatsachen korrekt bezeichnen und sich nicht gänzlich im Ton vergreifen. Wer einen defekten Fernseher gekauft oder eine überhöhte Handwerkerrechnung erhalten hat, darf den damit verbundenen Ärger durchaus kundtun. Bei nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechenden Beschimpfungen, die über eine scharfe Kritik hinausgehen, ist jedoch die Grenze des rechtlich Zulässigen überschritten. Von vorneherein verboten sind dagegen Boykottaufrufe. Vor einigen Jahren wurde eine ganze Reihe von Fällen bekannt, in denen direkte Konkurrenten in den Gästebüchern ihrer wirtschaftlichen Rivalen vernichtende Kommentare hinterlassen hatten. Kommt man der Konkurrenz hierbei auf die Schliche, kann dieser Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) teuer werden.

Das Gericht urteilte im obigen Fall des ‘Parasiten’ nach mündlicher Verhandlung gegen die Anbieterin und stellte fest, dass ein Website-Betreiber für fremde Einträge in seinem Gästebuch unter bestimmten Umständen selbst haftet. Regelmäßige Kontrollen in einem offenen Gästebuch, in dem jeder eine Nachricht hinterlassen kann, sind danach für den Betreiber zumutbar und notwendig. Sind, wie in diesem Fall, rechtsverletzende und beleidigende Beiträge über Monate hinweg online, obwohl andere Beiträge gelöscht und die Seiten in dieser Zeit aktualisiert wurden, gelten die Einträge als eigener Inhalt. Dadurch, dass die Betreiberin die Inhalte trotz Kenntnis nicht entfernt habe, habe sie sich diese letztlich zu Eigen gemacht, so das Landgericht.

Damit befinden sich die Düsseldorfer Richter auf einer Linie mit dem LG Trier, das erst kürzlich die Haftung für beleidigende Gästebucheinträge ebenfalls bejaht hatte. In diesem Fall war in einem Gästebuch die Aufforderung an einen namentlich genannten Steuerberater zu lesen, er solle aufpassen, ‘ob es was bringt, Steuerbetrug und Geldwäsche zu betreiben’ - was diesem verständlicherweise nicht gefiel. Das Landgericht sah in dieser Eintragung eine Ehrverletzung des Klägers und verpflichtete den Betreiber der Seite zur Löschung. Außerdem stellten die Richter klar, dass der Betreiber mindestens einmal wöchentlich den Inhalt des Gästebuchs überprüfen und rechtswidrige Eintragungen löschen muss. Schließlich bestätigte auch der Verwaltungsgerichtshof München jüngst die Verantwortlichkeit eines jugendlichen Gästebuchbetreibers für entsprechende Einträge und sah aufgrund heftiger Gewaltdrohungen von Dritten gegen Lehrer der Schule auf der Websites des Jugendlichen eine Drohung mit einem Schulverweis als gerechtfertigt an.

Rechtsgrundlage für diese Entscheidungen ist das Teledienstegesetz (TDG), das unter anderem die Impressumspflicht für die meisten Websites regelt. Es wurde zwischenzeitlich zwar geändert, die Urteile beruhen jedoch noch auf der alten Fassung des § 5 Absatz 2, der die Verantwortung für fremde Inhalte auf Websites regelt. Diesem zufolge haftet ein Diensteanbieter für fremde Inhalte nur, wenn er positive Kenntnis von ihnen hat. Nach § 8 Absatz 2 des novellierten TDK sind Anbieter dagegen nicht verpflichtet, ‘die übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen’. Das soll ebenfalls für Gästebücher gelten, wobei es zur neuen Gesetzeslage noch keine Entscheidungen gibt.

Ein Freibrief für Anbieter ist das dennoch nicht. Hat ein Betreiber nämlich Kenntnis von den Einträgen sowie deren potenzieller Rechtswidrigkeit und lässt sie trotzdem weiterhin online, so macht er sie sich auch nach der aktuellen Fassung des TDG zu Eigen und haftet für sie. Für eine solche Kenntnis können Indizien sprechen wie eine Aktualisierung der Website oder die Beantwortung anderer Beiträge im Gästebuch. Immerhin wäre in diesem Fall die lästige Pflicht zu einer Kontrolle des Gästebuchs obsolet. Fast hysterisch war in einigen Publikationen schon von einer Überwachungsobliegenheit auf täglicher Basis und Urlaubsvertretungen zu lesen.

Dennoch ist zu befürchten, dass die drei nunmehr veröffentlichten Urteile von anderen Gerichten inhaltlich übernommen werden. Daher sollten Betreiber von Gästebüchern diese zumindest gelegentlich durchsehen. Ausreichend wäre hier sicher eine monatliche Kontrolle und die Entfernung offensichtlich rechtswidriger Beiträge, zum Beispiel beleidigenden Inhaltes. In jedem Fall sinnvoll ist die Einrichtung einer Moderationsfunktion, bei der ein Verantwortlicher die Einträge vor Freischaltung kontrolliert. Berechtigten Aufforderungen Betroffener zur Löschung sollte der Moderator umgehend Folge leisten.

Der Übergang zwischen Gästebüchern und Foren ist häufig fließend, was sich etwa an Design oder Handhabung zeigt. Hauptunterschied dürfte jedoch sein, dass sich Gästebücher primär an den Betreiber einer Website richten, Einträge in Webforen hingegen als Diskussionspunkt an die Allgemeinheit zu verstehen sind. Grundsätzliche Unterschiede für die Haftung des Betreibers ergeben sich jedoch allenfalls bei den Kontrollpflichten. Im Gegensatz zu Gästebüchern ist - zumindest bei stark frequentierten Foren mit vielen hundert Postings am Tag - eine lückenlose Kontrolle kaum zu gewährleisten. Daher kann eine Haftung des Anbieters nach § 11 des TDG ausgeschlossen werden, wenn der Betreiber keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder Information hat. Reagieren muss er nach demselben Paragrafen erst in dem Moment, in dem er davon Kenntnis erlangt.

So verurteilte das OLG München im Mai 2002 den Betreiber eines Webforums für die Wiedergabe einer wahrheitswidrigen Nachricht, ein ‘Online Verlag’ hätte einen wichtigen Prozess verloren. Da der Anbieter sowohl von der Nachricht als auch von der Rechtswidrigkeit der Behauptung Kenntnis hatte, sah das Gericht darin eine geschäftsschädigende Äußerung zu Ungunsten des betroffenen Unternehmens und ordnete die Löschung des Beitrags an. Bei dieser Gelegenheit wies das OLG noch einmal auf die Wirkungslosigkeit allgemein gehaltener Disclaimer hinsichtlich der Haftung hin, die jedoch immer noch vielfach im Netz verbreitet sind.

Nahezu jeglicher Kontrolle durch einen Betreiber entzieht sich schon aus praktischen Gründen ein Online-Chat, sodass eine Haftung des Anbieters für die einmalige Äußerung eines Teilnehmers nicht infrage kommt. Anders sieht es jedoch aus, wenn ein Teilnehmer häufiger mit beleidigenden oder anderweitig strafrechtlich relevanten Äußerungen - beispielsweise Links auf kinderpornografisches Material - unangenehm auffällt. Neben dem Chatter macht sich hier unter Umständen auch der Betreiber des Gesprächsraumes straf- und haftbar, wenn er die ihm bekannten Äußerungen über einen längeren Zeitraum hinnimmt.

Daher stellt sich die Frage nach einem ‘virtuellen Hausrecht’ in Online-Chats. Ein solches hat das OLG Köln bereits Mitte 2000 bejaht und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Bonn aufgehoben. Zur wirkungsvollen Durchsetzung eines solchen Rechts ist in jedem Fall die Formulierung von verbindlichen Nutzungsregeln für die Teilnehmer hilfreich, deren Einhaltung der Nutzer vor Beginn des Chats bestätigen muss. Sinnvoll sind ebenfalls Zugangskontrollen durch eine Anmeldepflicht, um ausgeschlossenen Teilnehmern eine erneute Belästigung der virtuellen Gesprächsrunde zumindest zu erschweren.

Wer geschäftlich oder privat auf seiner Website anderen ein Forum für Meinungsäußerungen bietet, übernimmt damit auch Pflichten und setzt sich unter Umständen dem Risiko einer Haftung für fremde Äußerungen aus. Zu einer wirkungsvollen Minimierung dieser rechtlichen Gefahren können jedoch technische Maßnahmen - etwa moderierte Gästebücher mit Freischaltfunktion oder verbindliche Nutzungsbedingungen für alle Teilnehmer - beitragen. In jedem Fall muss der Betreiber bei Kenntnis einer Rechtsverletzung unmittelbar reagieren und den Verstoß beseitigen.

Joerg Heidrich
ist Justiziar des Heise-Zeitschriften-Verlages und Rechtsanwalt in Hannover.

(ur)