Gen-Tests für alles?

Eine Reihe neuer Anbieter verspricht maßgeschneiderte Lebensstil-Empfehlungen, die auf DNA-Analysen beruhen. Experten halten das für wenig realistisch – und verweisen auf Datenschutz-Probleme.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Emily Mullin
Inhaltsverzeichnis

Der Markt für Verbraucher-Genetik boomt. Im Jahr 2017 hat sich die Zahl der Personen, die sich einem Gen-Test auf ihre Herkunft unterzogen, auf 12 Millionen mehr als verdoppelt.

Die Begeisterung für DNA-Tests zuhause erstreckt rasch auch auf Fragen jenseits von Verwandtschaft und Herkunft. Eine neue Welle von Test-Anbietern behauptet, auf Grundlage des analysierten Erbmaterials alle möglichen Empfehlungen zum Lebensstil geben zu können – von der Hautpflege bis zur Ernährung. Experten bestätigen, dass vielen unserer Eigenschaften Genetik zugrunde liegt. Jedoch sehen sie kaum wissenschaftliche Belege dafür, dass die von den Test-Anbietern ausgesprochenen Empfehlungen wirklich auf genetischen Faktoren beruhen.

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Viele der Tests umfassen auch eine Befragung zu Gewohnheiten, Gesundheit und anderen persönlichen Informationen der Kunden. Möglicherweise beruhen die Produkt-Empfehlungen also stärker auf diesen Angaben und allgemeinen Überlegungen als auf konkreten DNA-Daten. „Wenn Ihnen jemand einen Test verkauft und dann erzählt, Sie brauchen dieses Produkt, sollten Sie seine Motivation hinterfragen“, sagt James Evans, Arzt und Genetiker an der School of Medicine der University of North Carolina.

Hier ist eine Auswahl von Tests, bei denen Sie zweimal nachdenken sollten, bevor Sie eine DNA-Probe losschicken.

Die Werbung: Lean Cuisine, ein bekannter Anbieter von Tiefkühlkost, testet einen neuen Dienst für das Planen von Mahlzeiten, der auch einen DNA-Test vorsieht. „Genetische Marker tragen dazu bei, Ihre individuelle Nährstoff-Aufnahme festzulegen“, lautet die Behauptung. Teil des Dienstes ist aber auch eine Befragung über Lebensmittel-Präferenzen, Allergien und den Lebensstil.

Der Preis: 79 Dollar für acht Wochen (in der Testphase) kostet das Programm mit Empfehlungen für Rezepte, Optionen in Restaurants und fertige Gerichte (wahrscheinlich von Lean Cuisine).

Die Wissenschaft: Ebenfalls angeboten wird eine App, über die Sie Kontakt zu einem Ernährungsberater aufnehmen können. Das ist wahrscheinlicher hilfreicher als die DNA-Analyse: Laut einer aktuellen Studie im Journal of the American Medical Association haben Diäten auf der Grundlage von DNA-Daten Probanden nicht beim Abnehmen geholfen. Andere Unternehmen wie Nutrigene und LifeDNA wollen Vitamin-Nahrungsergänzungsmittel auf der Grundlage von DNA-Tests verkaufen.

Zweifelhafte DNA-Tests (4 Bilder)

Nutria

Bei Nutria (hat nichts mit dem Nagetier zu tun) gibt es Ernährungstipps. Aber ob die wirklich auf Erdbgutanalysen basieren?
(Bild: Nutria )

Die Werbung: SkinGenie liefert nach eigenen Angaben personalisierte Empfehlungen für Hautpflege-Produkte auf der Grundlage eines Lebensstil-Quiz und einer DNA-Analyse. Nach Angaben des Unternehmens kann auf die DNA-Analyse auch verzichtet werden, aber sie soll eine „genauere Einschätzung“ ermöglichen.

Der Preis: Die Hautpflege-Einschätzung kostet 59 Dollar, hinzu kommt der Kauf eines DNA-Testkits von LifeNome oder das Hochladen der eigenen DNA-Rohdaten von 23andMe, Ancestry.com oder anderen Anbietern. Um Produkt-Empfehlungen ohne die Haut-Beurteilung zu bekommen, kann man kostenlos die eigenen DNA-Daten hochladen.

Die Wissenschaft: Für die Empfehlung von SkinGenie werden 120 genetische Marker untersucht, die in Zusammenhang mit mehr als 30 unterschiedlichen Haut-Merkmalen stehen. Auf der Grundlage dieser Gen-Analyse bekommen Sie eine persönliche Bewertung (mit bis zu 10 Punkten) von Hautpflege-Produkten, bei der die enthaltenen Wirkstoffe berücksichtigt werden. Laut SkinGenie basieren diese Empfehlungen auf Tausenden von Forschungsarbeiten. Evans dagegen sagt, unser „begrenztes Wissen darüber, wie Gene mit der Intaktheit der Haut zusammenhängen, reicht nicht aus, um maßgeschneiderte Produkte oder Pflegemethoden zu entwickeln“ – noch jedenfalls nicht. Zudem können auch andere Faktoren als Genetik starke Auswirkungen auf die Haut haben: zum Beispiel Ernährung, Wetter und Verschmutzung.

Die Werbung: Dieses von Helix, einer Art App-Store für DNA-Proukte, präsentierte Unternehmen sucht nach eigenen Angaben für Kunden Weine auf der Grundlage ihrer DNA aus.

Der Preis: Sie müssen zunächst über Helix einen DNA-Test für 80 Dollar machen und dann für 29,99 Dollar das Vinome-Profil kaufen. Laut Vinome werden „zehn genetische Marker, die mit Geruch und Geschmack zusammenhängen“, verwendet, um acht individuelle Profile zu identifizieren; Kunden werden aber auch gebeten, eine Umfrage zu ihrem Geschmack mitzumachen. Nachdem Sie Ihre Ergebnisse bekommen haben, will das Unternehmen Ihnen Wein verkaufen – in Form einzelner Flaschen oder einer Mitgliedschaft.

Die Wissenschaft: Forscher haben herausgefunden, dass manche Menschen dazu prädisponiert sind, den Geschmack von Rosenkohl oder Koriander zu hassen. Ihre Neigung zu bestimmten Weinen ist jedoch wahrscheinlich deutlich komplexer.

Die Werbung: Das Unternehmen bietet eine mobile App an, die dabei helfen soll, den richtigen Mitbewohner zu finden. Derzeit testet es einen neuen Dienst, bei dem dafür DNA-Proben und ein Online-Persönlichkeitstest ausgewertet werden.

Der Preis: Nachdem Sie eine Speichel-Probe eingesandt haben, schickt SpareRoom einen Bericht, der zeigt, wie Ihre Genetik 14 Eigenschaften beeinflusst, beispielsweise Spontaneität, Optimismus, Stress-Toleranz, Ich-Bewusstsein und Selbstvertrauen. Einen Preis für den Dienst, der in den USA und Großbritannien angeboten werden soll, hat das Unternehmen noch nicht genannt.

Die Wissenschaft: Zwar wurden in Studien genetische Verbindungen zu psychischen Eigenschaften und Persönlichkeitsstörungen gefunden. Doch Experten sind sich uneins darüber, welcher Teil unseres Charakters tatsächlich durch unsere DNA beeinflusst wird.

Das Problem bei diesen und ähnlichen Tests besteht laut Experten darin, dass wir über die komplexen Interaktionen unserer Gene einfach nicht genug wissen, um diese Art von persönlichen Empfehlungen erstellen zu können.

Warum also werden diese Angebote als DNA-Tests vermarktet, obwohl DNA-Informationen gar nicht wirklich für personalisierte Empfehlungen ausgewertet werden können? „Wenn ein neues Gebiet der Wissenschaft entsteht, ist das heiß und sexy, und es wird zu einem Marketing-Instrument“, sagt Debra Mathews vom Johns Hopkins Berman Institute of Bioethics. Ähnliche Mode-Erscheinungen habe es auch in der Hochzeit der Stammzell-Forschung gegeben: Kosmetik-Unternehmen begannen, alle möglichen „regenerativen“ Hauptpflege-Produkte anzubieten, die angebliche Stammzellen enthielten.

Viele der Unternehmen wollen allerdings nicht nur Geld mit ihren Tests machen, sondern verfolgen auch längerfristige Ziele. Wenn sie genügend Daten von Verbrauchern gesammelt haben, können sie diese an Forscher verkaufen (SkinGenie macht das nach eigenen Angaben nicht). Damit ist möglicherweise deutlich mehr Geld zu verdienen.

„Ich bin ganz sicher nicht der Meinung, dass man die Rechte an den eigenen Gen-Informationen aufgeben sollte, um diese Empfehlungen zu bekommen“, sagt Mathews. Bevor man eine Probe von sich selbst nimmt, sollte man sich etwas Zeit nehmen und „das Kleingedruckte lesen“.

(sma)