Gentechnik für den Kuhstall

Biotechniker und Zuchtunternehmen wollen mittels Genome Editing Rinder züchten, die keine Hörner haben oder mehr Muskelmasse aufbauen. Sogar über Tiere, die sich nicht mehr fortpflanzen können, wird nachgedacht.

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Von
  • Antonio Regalado

Biotechniker und Zuchtunternehmen wollen mittels Genome Editing Rinder züchten, die keine Hörner haben oder mehr Muskelmasse aufbauen. Sogar über Tiere, die sich nicht mehr fortpflanzen können, wird nachgedacht.

Vor vier Jahren sah Scott Fahrenkrug im US-Fernsehsender ABC News in einem Bericht, wie Kühen die Hörner entfernt werden. Für die Tiere ein schmerzhafter Eingriff, für Landwirte eine Vorsichtsmaßnahme, damit sie sich nicht verletzen. In dem verwackelten Schwarz-Weiß-Video war ein bockendes Holstein-Rind zu sehen, das sich dagegen wehrte, wie ihm die Hörner mit einem heißen Eisen weggebrannt wurden.

Fahrenkrug dachte sofort daran, dass man dagegen etwas tun sollte. Für den Genetiker der University of Minnesota lautete die Lösung indes nicht „verbieten“, sondern – Kühe ohne Hörner zu züchten. Damit würden Bauern sogar Geld sparen, dachte er. Und indem die Milchwirtschaft ihr unerquickliches Geheimnis los wäre, könnte die Gentechnik gleich noch einen PR-Erfolg verbuchen.

Die Technologie, mit der Fahrenkrug das schaffen will, nennt sich „Genome Editing“. Mit diesem Verfahren lässt sich die DNA von Lebewesen schnell und präzise verändern, und viele Biotechnik-Labore setzen sie inzwischen ein. Mit ihrer Hilfe haben Wissenschaftler bereits die Gene von Mäusen, Zebrafischen und Affen verändert. Es gibt sogar Versuche, sie im Kampf gegen HIV einzusetzen.

Für landwirtschaftliche Nutztiere könnte das Genome Editing außerordentliche Möglichkeiten eröffnen. Mit seinem Start-up Recombinetics will Fahrenkrug Milchkühe züchten, die Eigenschaften anderer Rinder haben – etwa keine Hörner oder eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen bestimmte Krankheiten. Eine solche „molekulare Zucht“ könnte Ergebnisse wie die normale Zucht hervorbringen, nur schneller. Aus verschiedenen Tieren einer Art würden die besten Gene zusammengesucht.

Das könnte die globale Viehhaltung drastisch auf den Kopf stellen. Firmen könnten die so gezüchteten Tiere patentieren, so wie gentechnisch verändertes Soja. Bislang hat die US-Zulassungsbehörde FDA noch nie grünes Licht für gentechnisch veränderte Tiere gegeben. Doch Unternehmer gehen nun dagegen an. Genome Editing solle nicht reguliert werden, fordern sie, wenn es nur dazu eingesetzt wird, Gene ein und derselben Art neu zu kombinieren. „Diese Gene existieren in der Art ja bereits“, argumentiert Fahrenkrug.

Einige große Zuchtbetriebe haben begonnen, in die Technologie zu investieren. „Es geht hier nicht um leuchtende Fische, sondern um Kühe, denen man nicht die Hörner abschneidet“, sagt Jonathan Lightner, Forschungsleiter der britischen Firma Genus, dem größten Viehzüchter der Welt. Genus hat bereits Geld in Fahrenkrugs Firma Recombinetics gesteckt. Lightner sieht eine Chance, dass die Öffentlichkeit diese Art der Gentechnik akzeptieren könnte.

Zwar ist seit den 1970er Jahren mit gentechnisch veränderten Tieren experimentiert worden. Da gab es Schafe, die mehr Wolle entwickelten, Ziegen, deren Milch Spinnenseide enthielt oder Lachs, der doppelt so schnell wächst wie üblich. Doch es waren alles transgene Tiere, die artfremde Gene enthielten. Und keines von ihnen schaffte es aus der experimentellen Phase in die Land- oder Fischwirtschaft.

Das lag auch daran, dass die Gegner gentechnisch veränderter Organismen (GVO) mit Millionen Unterschriften gegen „Frankenfood“, wie sie es nennen, mobil machten. Die FDA wiederum hat keines dieser transgenen Tiere zugelassen. Aquabounty etwa ist mit ihrem Genlachs auch nach 18 Jahren Forschung und 70 Millionen Dollar Investitionen noch nicht am Ziel. Die University of Guelph in Ontario gab vor zwei Jahren ihre Forschung gar auf und tötete ihre experimentellen „Umweltschweine“. Die enthielten ein Kolibakterien-Gen, damit sie weniger Phosphor ausscheiden – ein ungemein lebenswichtiges, aber immer seltener vorkommendes Element.

Solche transgenen Tiere lassen sich auch mittels Genome Editing herstellen. Das wurde aber noch nicht eingesetzt, als die FDA 2009 transgene Tiere regulierte. Setzt man das Verfahren für GVOs ohne artfremde Gene ein, gelte die Regulierung der FDA nicht mehr, glaubt Fahrenkrug. Die Behörde bestätigte auf Nachfrage von Technology Review immerhin, dass die Regulierung der Technologie jener Zeit gegolten habe. Sie behalte sich aber das Recht vor, auch das Genome Editing zu regulieren.

Fahrenkrug forscht indes weiter. Um hornlose Kühe zu erzeugen, untersuchte er die Gene des Angusrinds, das ohne Hörner auf die Welt kommt. Er änderte dann in seinem Labor Hautzellen von Holstein-Rindern, die Hörner haben. In der Zell-DNA entfernte er 10 genetische Buchstaben und fügte an ihrer Stelle 212 neue ein, die vom Angusrind stammen. Mittels Klonieren wurden einige der präparierten Hautzellen zu Embryonen weiterentwickelt und mehreren Kühen eingepflanzt. In wenigen Wochen sollen die Holstein-Kälber zur Welt kommen – und wenn alles nach Fahrenkrugs Plan läuft, keine Hörner haben. Wo sie sich derzeit befinden, will er nicht verraten, aus Angst vor Sabotage durch Tierschützer oder Gentechnik-Gegner.

Doch es gibt noch ein anderes Problem. Holstein-Rinder produzieren heute so viel Milch, dass sie regelmäßig neue Rekorde aufstellen. Kreuzt man in diese Art neue Gene ein, könnte das den Genpool verwässern, sagt Jonathan Ligthner. Sein Arbeitgeber Genus liefert jährlich gefrorenes Bullensperma im Wert von 177 Millionen Dollar aus. Einen besonders guten Zuchtbullen für Milchkühe heranzuzüchten, dauert mehrere Generationen.

Bei diesen Nelore-Kühen wurde das Genom so verändert, dass sie 30 Prozent mehr Muskelmasse aufbauen.

Das Genome Editing hat hier immerhin den Vorteil, dass es diesen Prozess beschleunigen könnte. Gemeinsam mit Forscher des Roslin Institute und der Texax A&M University gelang es Fahrenkrug letztes Jahr, recht schnell Nelore-Rinder mit deutlich mehr Muskelmasse zu erzeugen. Dazu fügte er in das Genom von Nelore-Embryonen eine muskelfördernde Mutation eines Gens ein, die natürlicherweise in der Rinderrasse Weißblaue Belgier vorkommen. Dabei wurden 11 DNA-Buchstaben aus einem Nelore-Gen entfernt, was die Bildung des Muskelbildung-regulierenden Proteins Myostation verringert. Solche Beispiele hätten Genus veranlasst, in die Genome-Editing-Forschung einzusteigen, sagt Lightner. „Wir hatten die Möglichkeiten der gentechnischen Veränderung von Tieren bisher nicht erkannt.“

Auch die Milchwirtschaft ist hellhörig geworden. Die Technologie sei „sehr cool“, sagt Tom Lawlor, Forschungsleiter der Holstein Association USA. Bislang hätten Milchbauern noch Vorbehalte gegen Gentechnik. „Wir würden das eher langsam angehen, damit die Verbraucher nicht falsche Vorstellungen bekommen“, sagt Lawlor.

Allerdings ist auch die konventionelle Zucht dank Gentests heute sehr viel zielsicherer als noch vor einigen Jahren. Bis Juli hatte das „1000 Bull Genomes Project“ bereits die DNA von 234 Stieren verschiedener Rassen sequenziert, darunter Schweizer Fleckvieh, Holstein- und Jersey-Rinder. Züchter können inzwischen die genetische Ausstattung eines Tieres schon bei der Geburt recht genau abschätzen. Dabei sind einige hornlose Zuchtbullen entstanden, die hoch gehandelt werden. Lawlor ist sich deshalb nicht sicher, ob das Genome Editing überhaupt notwendig ist.

Fahrenkrug hat vergangenen Januar ein Patent auf sämtliche Rinder angemeldet, denen aufgrund von Genome Editing die Hörner fehlen. Die Aussicht auf neue Vieh-Patente hat aber Landwirte aufgeschreckt, die bereits mit patentierten Nutzpflanzen zu kämpfen haben. „Die könnten im Prinzip Sperma von meinem Zuchtbullen nehmen, die Gene umschreiben und patentieren. Dann ist der Bauer total aufgeschmissen“, sagt Roy MacGregor, Rinderzüchter aus Peterborough in Ohio. „Das sollte nicht erlaubt sein.“

Auch Gentech-Gegner dürften mit dem Genome Editing Probleme haben. Fahrenkrug etwa hat bereits einen Plan entworfen, um Rinder so zu verändern, dass sie nicht mehr geschlechtsreif werden. So setzen sie schneller mehr Fett an. Die Genome-Editing-Firmen könnten damit wiederum verhindern, dass Käufer ihrer Tiere eine eigene „unkontrollierte Zucht“ starten, wie es in einem anderen Patent von Recombinetics formuliert wird.

Gut vorstellbar deshalb, dass Regulierer, Aktivisten und wirtschaftliche Schwierigkeiten Fleischprodukte aus Genome Editing auf Jahre aus dem Supermarkt heraushalten. Die Fortschritte in der Technologie wird dies nicht aufhalten. „Das Genom ist Information und Genome Editing ist eine Informationstechnologie“, sagt Fahrenkrug. „Erst haben wir gelernt, Genome zu lesen, jetzt sind wie soweit, sie zu umzuschreiben.“

(nbo)