Gentechnik im Vorbeiflug

Insekten und Viren sollen Pflanzen vor kurzfristig auftretenden Schäden wie Dürre schützen. Ein entsprechendes Darpa-Vorhaben steht im Verdacht, dass es auch Biowaffen Tür und Tor öffne.

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Gentechnik im Vorbeiflug

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Viren waren bisher nicht unbedingt der Freund des Landwirts, können sie doch Pflanzen befallen und Ernteerträge bedrohen. Nun sollen sie es werden. Und nicht nur das: Forscher wollen Insekten dazu bringen, die Viren auf den Feldern zu verteilen. Sie sollen die Nutzpflanzen vor Schädlingen schützen, aber auch vor Dürre und Kälte. Das ist, zugespitzt zusammengefasst, die Idee hinter "Insect Allies". Sie ist so bestechend wie irritierend: Statt Mais oder Tomaten in jahrelanger züchterischer Arbeit vor jeder Gefahr einzeln zu wappnen, könnte die Schutztruppe eine ganze Bandbreite von Bedrohungen abdecken – und immer dann zum Einsatz kommen, wenn sie eintreten.

Frisst sich beispielsweise ein neuer Schädling durch ein Maisfeld, lassen Landwirte die verbündeten Insekten – eben "Insect Allies" – ausschwärmen. Sie transportieren Viren, in deren Hülle Gene verpackt sind, mit denen Pflanzen die aktuelle Gefahr abwehren können. Knabbern die Insekten an den Zielpflanzen, gelangen die Viren in die Pflanzen und verbreiten sich über deren Gefäßsystem. Schließlich dringen sie in die Zellen ein und setzen das schützende Genmaterial ab. Die Pflanzen hätten einen neuen Abwehrmechanismus. Sozusagen Genmanipulation im Vorbeiflug. Krankheiten lösen die Viren bei den Pflanzen nicht aus.

(Bild: Max-Planck-Gesellschaft / D. Duneka)

In den USA verursachen Dürreperioden und Schädlinge bei Mais und anderen Pflanzen regelmäßig hohe Ernteeinbußen. Widerstandsfähige Pflanzensorten werden bisher in jahrelanger Züchtungsarbeit oder, wie bei Monsantos schädlingsresistentem Bt-Mais, durch ebenfalls langwierige gentechnische Aufrüstung kreiert. Steht jedoch eine Pflanzensorte auf dem Feld, die nicht zur akuten Erntebedrohung passt, hilft die High-End-Züchtung nicht viel. Eine Instant-Pflanzenschutz-Technik, die direkt auf dem Feld wirkt, erscheint vor dem Hintergrund durchaus attraktiv – so sehr, dass die US-amerikanische Darpa (Defense Advance Research Projects Agency), eine Behörde des US-Verteidigungsministeriums, seit 2016 das Programm "Insect Allies" finanziert. Sie fördert vier Forschungskonsortien vier Jahre lang mit 45 Millionen Dollar.

Dass diese Verknüpfung zwischen US-Verteidigungsministerium und Landwirtschaft zumindest irritierend ist, fiel Natur- und Rechtswissenschaftlern rasch auf. Im Fachjournal "Science" kommentierten sie besorgt, dass sich diese Technologie nicht nur für den Schutz, sondern ebenso für das Zerstören von Ernten missbrauchen ließe. Sie stellen die Frage, ob das Projekt nach der Biowaffenkonvention überhaupt erlaubt sei. Schließlich verbietet sie die Entwicklung, Produktion oder den Erwerb von Agenzien und Toxinen von Arten und in Mengen, "die nicht durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind".

Ihrer Argumentation zufolge dürfte schon allein der Einsatz der Insekten verboten sein. Denn die angestrebten friedlichen Ziele seien wenig plausibel – zu aufwendig, zu komplex, wissenschaftlich schlicht kaum zu erreichen. "Eine DNA-Übertragung über Insekten wäre viel zu inhomogen – sowohl zwischen unterschiedlichen Pflanzenindividuen als auch innerhalb einer Pflanze – und zu stark abhängig von äußeren Faktoren", bestätigt Jochen Kumlehn, Leiter der Pflanzlichen Reproduktionsbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Weitaus einfacher wäre es, die Sicherheitsmaßnahmen wegzulassen und mittels Insektenboten Schadviren auszubringen. "Unser Hauptpunkt ist, dass die Darpa explizit Maßnahmen fordern sollte, die einen Missbrauch der Lösungen als Waffe vollständig verhindern", sagt Guy Reeves vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, einer der Autoren des "Science"-Kommentars.

Derzeit steht die Forschung dazu noch ganz am Anfang. Der Fokus der Wissenschaftler liegt zunächst auf Schutzmechanismen: Wayne Curtis von der Pennsylvania State University entfernt aus den eingeschleusten Genen die Anleitung für den Bau der Virenhülle. Die Pflanzen produzieren dann zwar fleißig Viren-DNA, aber daraus entstehen keine neuen Viren. Wilde Insekten können sie also auch nicht aufnehmen und weitertragen.

Zudem wollen die Forscher sicherstellen, dass die Viren-DNA nur bei gewünschten Pflanzen aktiv wird. Dazu entfernen sie in einem ersten Schritt Gen-Abschnitte aus den Viren, die überlebenswichtig sind. Diese fügen sie dann im zweiten Schritt in das Erbgut der Pflanzen ein. Nur wenn beide zusammenkommen, können die Viren ihre Funktion entfalten. Landwirte, die ihre Pflanzen nachträglich auf dem Feld schützen wollen, müssten also Insect-Allies-Sorten anbauen. Fliegen die Insekten-Verbündeten auf das Nachbarfeld, richten sie lediglich den arttypischen Schaden an, verändern aber die Pflanzen nicht genetisch.

Eine dritte Möglichkeit ist, die geninfizierten Pflanzen so unattraktiv für andere Insekten zu machen, dass diese gar nicht erst an ihnen knabbern. Peg Redinbaugh and Guo-Liang von der Ohio State University wollen dazu ein aus Knoblauch stammendes Gen nutzen. Es soll mit dem neuen Erbgutpaket in die Zellen gelangen und so beispielsweise Mais resistent gegen gefräßige Raupen machen. Gleichzeitig verhindert dieses Gen, dass die Boteninsekten die Feldfrüchte, die sie eigentlich schützen sollten, auffressen: Sind die Gene auf die Pflanzenzellen übertragen, beginnt die Pflanze Abwehrstoffe zu produzieren und tötet die Boten. Darüber hinaus setzen die Ohio-State-Forscher auf das Phänomen, dass Viren ohnehin eine zusätzliche Gen-Last schnell wieder loswerden wollen. Ließe sich dieser Effekt aktiv nutzen, würden die Transportviren ihre neue Fähigkeit nach getaner Arbeit einfach wieder verlieren.

Eine Idee wäre nun, alle diese Schutzmaßnahmen zu vereinen. Ob damit ein vollständiger Schutz möglich ist, sei dahingestellt. Sicher ist allerdings, dass alle diese Experimente nur darauf abzielen, unbeabsichtigte Nebenwirkungen zu unterbinden. Aber sie helfen nicht gegen beabsichtigte Schäden. Die Biowaffen-Furcht halten viele Experten dennoch für übertrieben. Als Beweis führen sie exakt jenes Argument an, mit dem die Kritiker ihre Warnung begründen: die Komplexität des Projekts. Es gebe schließlich deutlich einfachere Methoden, Ernten zu vernichten. "Man nimmt einfach einen möglichst fremdländischen Vertreter, gegen den es keine Abwehr gibt", sagt Wayne Curtis, einer der Konsortienleiter. Wozu also den Aufwand betreiben?

(bsc)