Gesichter aus Genen

Der Genanalyse-Pionier Craig Venter macht mit der Behauptung von sich reden, er könne anhand der DNA von Menschen Gesichter identifizieren. Noch scheint das übertrieben, doch in Zukunft dürfte es tatsächlich möglich sein.

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Von
  • Antonio Regalado

Das kalifornische Genanalyse-Unternehmen Human Longevity hat vergangene Woche einen Fachaufsatz mit einer mutigen Behauptung veröffentlicht: Nach seinen Angaben ist es gelungen, anhand des Genoms von Menschen vorherzusagen, wie ihr Gesicht aussieht, und sie auf diese Weise identifizieren.

Die Möglichkeit, anhand von DNA eine fotorealistische Nachbildung einer Person zu erstellen, hätte bedeutende Konsequenzen. Die Polizei könnte Verdächtige anhand von Bluttropfen identifizieren, und kein für Forschungszwecke gesammeltes Genom wäre mehr wirklich anonym.

Der Gründer von Human Lonevity ist der berühmte Genanalyse-Experte J. Craig Venter. Mit der Veröffentlichung provozierte er in den sozialen Medien allerdings höchst skeptische Reaktionen.

Tatsächlich sagen zwei Experten, die den Aufsatz überprüft haben, dass Venter nicht wirklich in der Lage ist, mit Hilfe von Gen-Analysen eine bestimmte Person in einer Menge zu erkennen. Es sei schwierig für ihn gewesen, einen Verlag für den Beitrag zu finden. Dasselbe sagt ein früherer Mitarbeiter von Venter.

„Craig Venter kann keine Gesichter vorhersagen“, schrieb Yaniv Erlich, Chief Scientific Officer bei der Genealogie-Website MyHeritage.com auf Twitter ohne Umschweife. Zur Veranschaulichung veröffentlichte er das Foto, das Venters Software von dessen Gesicht erstellt hatte: Es sehe Venter nicht ähnlicher als vielen anderen weißen Männern.

Das Team von Venter hatte anhand von Genom-Daten Gesichtsform, Augen- und Haarfarbe vorausgesagt und auf dieser Grundlage Bilder erstellt, die nach seinen Angaben gut genug waren, um daran zu erkennen, zu welchem Genom sie gehören.

Skeptiker sehen das anders: Nach ihrer Darstellung arbeitet Human Longevity in Wirklichkeit mit Ethnie und Geschlecht, die sich mit einfachen DNA-Tests problemlos bestimmen lassen. Die darauf basierenden Bilder würden Durchschnittsgesichter zeigen, keine konkreten Personen, wie das Unternehmen behauptet.

Nach Angaben von Human Longevity gelang es in 70 Prozent der Fälle, aus einem Satz von 20 Fotos die richtige Person auszuwählen. Wenn allerdings Personen mit anderer Ethnie oder anderem Geschlecht als der Gesuchte weggelassen wurden, fiel die Trefferquote drastisch: Ein konkreter europäischer Mann unter 19 anderen europäischen Männern wurde nur zu 11 Prozent richtig identifiziert.

„Die Gesichtsprognose sagt lediglich das durchschnittliche Gesicht für eine Ethnie voraus. Man wird dann immer sagen, Mensch, das sieht irgendwie aus wie ich“, erklärt Jason Piper, ein Genetik-Experte, der früher bei Human Longevity gearbeitet hat. Er zählt zu den Autoren des Aufsatzes, ist aber inzwischen zu Apple gewechselt. Auf Twitter kritisierte auch er die Schlussfolgerungen als unberechtigt.

Die Gesichtsstudie war dazu gedacht, die Fähigkeiten von Human Longevity zu belegen, das ungefähr 300 Millionen Dollar Kapital aufgenommen hat, um eine Million menschliche Genome zu sequenzieren. Der Geschäftsplan: die größte DNA-Datenbank des Planeten anlegen und dann die Kraft des Genoms nutzen, um gesundheitliche Prognosen zu erstellen.

Das Projekt der massenhaften privaten Gen-Datensammlung erinnert an Venters umstrittene Rolle beim ursprünglichen Human Genome Project. Damals sequenzierte er in einem Rennen gegen Wissenschaftler des öffentlichen Bereichs als Erster ein komplettes menschliches Genom. Anschließend wollte Venter mit seinem früheren Unternehmen Celera ein DNA-Datenangebot ähnlich einem Bloomberg-Terminal aufbauen, doch daraus wurde nichts.

Bei seinem neuen Projekt haben Venters bekannter Name und seine Ambitionen ihm dabei geholfen, Stars zu sich zu holen, zum Beispiel den Maschinenlern-Spezialisten Frank Och, der von Google kam. In einem „Health Nucleus“ in San Diego bietet Venter seit kurzem extrem detaillierte medizinische Analysen an, die volle 25.000 Dollar kosten. Kunden bekommen dafür unter anderem eine Genom-Analyse und ein personalisiertes wissenschaftliches Poster mit ihren Genen.

Das Projekt zur Gesichtsprognose sollte dazu dienen, den Wert solcher Angebote zu demonstrieren – wenn Venter auf Grundlage von DNA Gesichter rekonstruieren kann, müssen die Analysen von Human Longevity ihren Preis doch wert sein. „Wenn ich Ihnen sage, dass sie herzinfarktgefährdet sind und Statine nehmen sollten, wie kann ich Sie überzeugen, dass das stimmt?“, sagt Piper. „Wenn das Unternehmen vorhersagen kann, wie der Kunde aussieht, ist das eine gute Grundlage.“

In der Genetik werden Merkmale wie die Farbe der Augen oder der Cholesterin-Spiegel als Phänotypen bezeichnet. Diese Phänotypen werden, in mehr oder weniger starkem Ausmaß, von der DNA oder dem Genotyp bestimmt.

Aus diesem Grund ist die Identifizierung von Gesichtern mit Hilfe von DNA nicht nur theoretisch möglich, sondern dürfte es in ein paar Jahren auch praktisch sein, sagt Mark Shriver, der an der Pennsylvania State University in diesem Bereich arbeitet. „Ich bin sicher, dass das unsere Zukunft ist“, so der Forscher.

(sma)