Gesundheit vom Fließband

Das Krankenhaus von morgen setzt auf Digitalisierung und Standardisierung, Tempo und Effizienz. Doch nicht alle Ärzte sind glücklich mit dieser Entwicklung.

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Von
  • Stefan Brunn

Im Hamburger Stadtteil Barmbek lässt sich die Zukunft des Krankenhauses besichtigen: Wer vom alten Gelände über eine kleine Brücke geht und kurz rechts abbiegt, steht flugs in der riesigen Lobby der Asklepios-Klinik. Dort stehen schicke rote Lounge-Sessel, an den Wänden laufen auf LCD-Fernsehern Bilder eines Nachrichtensenders, eingerahmt von der Werbung des Patientenfunks. Der krankenhauseigene Sender hat sein Studio gleich um die Ecke - in der eingebetteten Ladenpassage neben "Blondis Frisierstube" und einer Filiale der Degussa-Bank. Noch ein paar Schritte weiter, und man schaut im ersten Patiententrakt empor zu einem Glasdach, das sich im Sommer öffnen lässt. "Das sieht nicht aus wie ein Krankenhaus, das riecht nicht wie ein Krankenhaus", sagte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust bei der Eröffnung im Februar 2006. Den Managern der Klinik hat das gefallen - mit der überkommenen Vorstellung vom Krankenhaus, in dem Begriffe wie Prozessoptimierung und Kundenservice fremd sind, sollen Barmbek & Co. nichts mehr zu tun haben. Der Klinikverbund Asklepios, zu dem das Haus gehört, setzt voll auf Innovation und hat sich für sein Projekt "Future Hospital" die Partner Microsoft und Intel ins Boot geholt. Die meisten Schritte dieses Vorhabens werden im Referenzzentrum Barmbek umgesetzt: Hier hat Asklepios die Chance des Neubaus genutzt, um Architektur, Gerätetechnik, Logistik und IT-Vernetzung von Grund auf neu zu gestalten. 165 Millionen Euro hat die Hightech-Klinik gekostet - ein Haus, in dem die Wege kürzer, die Vorgänge effizienter sind und die Patienten schneller behandelt und entlassen werden.

Denn die kostspielige neue Technik ist nicht in erster Linie zur Diagnose und Behandlung des Patienten da - sie soll vor allem eine weitgehende Automatisierung von administrativen Abläufen ermöglichen und sogenannte Behandlungspfade (Clinical Pathways) vorgeben, Beschreibungen von Prozessabläufen für Krankheitsbilder also. Was harmlos klingt, ist die grundlegende Umstellung eines medizinischen Prinzips: Das Gesundheitswesen orientiert sich nicht mehr am einzelnen Patienten, sondern am jeweiligen Krankheitsbild. Von der Aufnahme bis zur Entlassung werden Patienten durch einen standardisierten Prozess geschleust, der erhebliche Kosten einspart: Nach einer Studie der TU Dresden verlassen nach Pfaden Behandelte das Krankenhaus im Schnitt 1,7 Tage früher als andere; pro Fall spart die Klinik etwa 200 Euro. Prinzipiell können gut definierte Behandlungspfade die medizinische Versorgung eines Patienten verbessern. Vorteile sind etwa die Orientierung an aktuellen medizinischen Standards oder die Transparenz für die Patienten, denen der Arzt ein aus der Datenbank generiertes, vereinfachtes Schaubild zeigen oder zuschicken kann. Zudem ist die Software lernfähig: Wenn Ärzte vordefinierte Pfade immer wieder verlassen und anders behandeln, ändert sich auch der Standard.

Allerdings ist der strukturelle Wandel, der in vielen Branchen längst Alltag ist, im Gesundheitssystem umstritten. Kritiker mahnen, Heilprozesse seien keine Ware, in Krankenhäusern dürfe es nicht zur Fließbandproduktion kommen. Auch viele Ärzte haben mit den vorgegebenen Pfaden ihre Probleme: "Es fällt ihnen schwer, nur noch die Hauptdiagnose zu behandeln und alles andere aus wirtschaftlichen Gründen beiseitezuschieben", sagt der Medizincontroller Matthias Albrecht vom Berliner Krankenhaus-Trägerverein VzE. Trotzdem geht die Mehrheit der Mediziner davon aus, dass sich die "Clinical Pathways" schon wegen des riesigen Kostendrucks immer stärker durchsetzen werden. Und lässt man die technologischen Details beiseite, arbeiten in Deutschland bereits heute weit über die Hälfte der Kliniken mit solchen Pfaden, in den USA sind es 80 Prozent.

Zusammenfassung aus der Print-Ausgabe 07/2007 von Technology Review. Die neue Ausgabe ist ab dem 28.6. am Kiosk zu haben. Das Heft kann man aber auch hier online portokostenfrei bestellen. (wst)