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Glückliche Ehen aus der Rechenmaschine

René Meyer
Online-Dating

(Bild: oatawa/Shutterstock.com)

Vor 40 Jahren, am Valentinstag 1981, nimmt zum 1. Mal ein Computer eine Trauung vor. Die Geschichte des Rechners als Partner-Vermittler geht noch weiter zurück.

Ehe-Vermittler gibt es schon seit mehr als 500 Jahren, neben Tanzabenden und dem Spazieren auf der Promenade. Wenn man davon absieht, dass lange Zeit die Familie eine große Rolle bei der Wahl des Partners spielt. Schon im 17. Jahrhundert werden Zeitungsinserate zur Partnersuche genutzt.

1870 erscheint wöchentlich die erste Zeitung, die sich darauf spezialisiert: "The Matrimonial News And Special Advertiser". Sehr unterscheiden sich die Anfragen nicht von den Annoncen, die man noch heute in Zeitungen und Stadtmagazinen findet. Nur ein paar Zeilen lang, mit einem Postfach zur Kontaktaufnahme.

Mit der Wirtschaftskrise in den USA nach dem "Schwarzen Donnerstag" 1929 nimmt in den USA auch die Zahl der Scheidungen stark zu. Soziologen und Psychologen beschäftigen sich nach den Gründen und arbeiten Rezepte für glückliche Beziehungen aus. Studien haben gezeigt, dass in der Tendenz Beziehungen glücklicher sind und länger halten, wenn die Partner sich ähneln. Doch zu dieser Zeit spielen auch das Einkommen, das gesellschaftliche Ansehen und die Konfession eine Rolle. So probiert man Technik aus, um möglichst viele Übereinstimmungen zu finden.

1948 startet in Los Angeles ein großes, über Jahre dauerndes "Experiment in Scientific Matchmaking" in Form eines Clubs. Es ist eigentlich als Studie für die Doktorarbeit von Karl Miles Wallace angelegt. 60.000 Suchende bewerben sich; 6.000 werden schließlich genommen.

Die durch einen Fragebogen ermittelten Eigenschaften überträgt man auf Lochkarten, rosa für Frauen, blau für Männer, und wertet sie mit einem Lochkarten-Sortierer von Remington aus. Einen Computer braucht man für den elektro-mechanischen Vorgang nicht. Das Gerät wählt die Karten aus, auf denen eine vorher festgelegte Information gestanzt ist. Um nach mehreren Eigenschaften zu filtern, sind mehrere Durchläufe nötig. Und es braucht einen Stanzer, um die Karten zu programmieren; vom schlichten Handlocher bis zum komfortablen Tischgerät.

Man weiß von 320 Ehen, die durch den "Personal Acquaintance Service" geschlossen werden.

Ein weiterer Pionier der elektronischen Partnervermittlung ist der Psychologe und Publizist George Crane. Geboren 1901, schreibt er bereits in seinen zwanziger Jahren Reden für den damaligen US-Präsidenten Calvin Coolidge. Lange Zeit lehrt er an der Northwestern University in Illinois.

Über einen Zeitraum von sechzig Jahren veröffentlicht er Kolumnen mit Lebenstipps. Damit tritt er auch im Fernsehen und im Radio auf. Bis heute in den sozialen Netzwerken geteilt wird sein Ehe-Test aus den 1930er Jahren: die "Marital Rating Scale". Frauen werden 50 gute Eigenschaften von Männern vorgelegt:

"Hält ihren Mantel und öffnet die Tür"

"Sagt, er liebt Sie"

"Raucht nicht"

"Treibt Sport"

Zutreffendes wird angekreuzt; und man zählt die Punkte zusammen. Und es gibt 50 schlechte Eigenschaften.

"Mag keine Kinder"

"Wäscht sich zu wenig"

"Bringt unangekündigt Gäste mit zum Essen nach Hause"

Die werden als Punkte abgezogen. Plus- und Minus-Punkte bilden die Gesamtwertung; und die sagt an, wie gut es um die Ehe steht. Für Männer gibt es einen ähnlichen Fragebogen, mit denen sie ihre Frauen beurteilen sollen. Die für den Doppel-Test ausgewählten Angewohnheiten basieren auf Befragungen von 600 Ehepaaren.

Woche für Woche erhält Crane unzählige Briefe von Lesern, Zuschauern und Zuhörern. Vielen ist eines gemeinsam: die Sehnsucht nach einem passenden Partner.

So gründet er 1957 in einem ehemaligen Schulgebäude in Indiana die Scientific Marriage Foundation zum Vermitteln von Ehepartnern. Wer den Dienst nutzen möchte, muss einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen, drei Bürgen nennen, ein Foto beilegen und einen Scheck über 25 Dollar (was heute ungefähr dem Zehnfachen entspricht). Das Ganze übergibt er einem der vielen lokalen Berater des Instituts. Der schreibt eine eigene Beurteilung zum Bewerber und schickt alles an die Einrichtung.

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Auch hier sucht ein Lochkarten-Sortierer (diesmal von IBM) passende Kandidaten heraus, und diewerden durch ein Gremium noch einmal überprüft. Wochen später kann der Bewerber mit einer Adresse rechnen und die ausgewählte Frau per Brief um ein erstes Treffen bitten. Ein Musterbrief erleichtert das Ansprechen. Damals herrschen noch traditionelle Geschlechterrollen; und man geht davon aus, dass der Mann den Kontakt aufnimmt und die Frau sich zu bestimmten Telefon-Zeiten bereithalten soll.

Ein junger Farmer ist der erste zufriedene Kunde. Er bittet Crane Ende 1957, eine Frau für ihn zu finden. Seine Braut hätte ihn während seines Armeedienstes verlassen. Crane vermittelt eine Sekretärin, nur 100 Kilometer entfernt. Im Herbst sind die beiden verheiratet.

Ein unerwartetes Hindernis: Am Anfang verliert Crane gleich sieben Sekretärinnen hintereinander an suchende Bewerber, bis er beschließt, nur noch verheiratete Mitarbeiterinnen einzustellen. 1500 bis 2000 Interessenten nutzen den nichtkommerziell angelegten Service jeden Monat. Mehr als 10.000 Ehen sollen zustandekommen.

Eine ähnliche Idee verfolgen 1959 die beiden Stanford-Studenten Phil Fialer und Jim Harvey im Rahmen einer Projekt-Arbeit. Sie stanzen die Eigenschaften von 49 Frauen und 49 Männern auf Lochkarten und lassen einen Großrechner die Entscheidung treffen: eine IBM 650 mit Elektronenröhren und Trommelspeicher, die mit einer Stückzahl von 2.000 als erster in Serie gefertigter Rechner gilt.

Eigentlich dürfen sie nur für ein paar Minuten an das brandneue Stück, doch sie schleichen sich an einem Abend in das Labor, um alle restlichen Lochkarten zu verarbeiten. Die Daten erhalten sie über Partys, die sie zu diesem Zweck in ihrem Haus ausrichten. Wegen der geringen Anzahl an Teilnehmern finden sich nur wenige Paare mit vielen Übereinstimmungen. Keine Vermittlung führt zu einer längeren Beziehung.

Joan Ball unterhält im britischen Cambridge bereits seit einigen Jahren eine Ehe-Agentur, als sie 1964 die vielleicht erste Computer-Vermittlung in Europa startet: Den St. James Computer Dating Service, der ein Jahr später durch eine Fusion in Com-Pat, "computerized compatibility", umbenannt wird und 1973 an den Konkurrenten Dateline verkauft wird.

Ball ist keine Programmiererin, aber sie entwirft die Logik der Software, die ein beauftragter Entwickler in Code umsetzt, und nutzt Computer-Zeit gegen eine Gebühr; das damals typische Time-Sharing-Modell für die millionenteuren Geräte.

1965 startet in den USA ein weiterer Dienst: Operation Match, ins Leben gerufen von Harvard-Studenten. Gesucht wird nicht die Liebe für's Leben, wir sind ja mittlerweile in den wilden Sechzigern, sondern ein Date. Dafür füllt man ein Formular aus und schickt drei Dollar Gebühr mit. Die Daten werden wie gehabt auf Lochkarten übertragen und von einem IBM 7090 verarbeitet; und einige Wochen später erhält man einen Ausdruck mit passenden Treffern – und deren Telefonnummern.

1967 erregt die deutsche Zeitschrift "Twen" Aufsehen mit dem Angebot, Partner mit Hilfe des Computers zu finden. Der Antrag mit zahlreichen Fragen entsteht mit Hilfe eines Pädagogik-Professors. Verarbeitet werden die Daten durch eine IBM System/360. Die Aktion ist ein großer Erfolg: 25.000 Interessierte nehmen daran teil. Zweimal wird sie wiederholt. Die Zeitschrift nutzt die Popularität, organisiert Dating-Partys und begleitet Paare zu Treffen.

Vielleicht dadurch beeinflusst, leistet France Gall zu dieser Zeit einen putzigen Beitrag in Form eines auf Deutsch gesungenen Schlagers: "Der Computer Nr. 3". Im Text heißt es: "Der Computer Nr.3 sucht für mich den richtigen Boy".

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Vor 40 Jahren, am Valentinstag 1981, vollzieht zum ersten Mal ein Computer eine Trauung. Reverend Ron Jaenisch von der Universal Live Church in Sunnyvale im sonnigen Kalifornien programmiert einen Apple II [3] so, dass er den Text der Zeremonie auf dem Bildschirm anzeigt und im richtigen Moment auf die Taste [Y] für Ja wartet. Der Rechner wird zuvor von ihm geweiht, damit die Hochzeit gültig ist. Ein zweiter Computer spielt derweil die Hintergrund-Musik.

Die Idee für "Reverend Apple" ist nicht als Spinnerei geboren. Jaenisch will ihn eigentlich als Hilfsmittel nutzen, um Gehörlose zu trauen. Dabei hat das erste Paar mit Computern gar nichts am Hut. Das zweite Paar hingegen, beide Nerds, fragt sogar nach einem Ausdruck der Rede.

Zwei Jahre später, am Valentinstag 1983, findet in Texas die erste Online-Trauung statt. Das Paar, Debbie Fuhrman aus Phoenix in Arizona und George Stickles aus Dallas, lernt sich in den Chat-Räumen des Online-Dienstes CompuServe kennen, wo sie jede Nacht fünf bis sechs Stunden über die Tastatur miteinander schwatzen. Als sie zu ihm zieht, finden sie es amüsant, sich auch über CompuServe zu trauen. Zuerst ist es als Scherz geplant; doch warum sollte man nicht tatsächlich heiraten.

Und so loggen sich die beiden Verlobten und ein Amtsträger auf drei Computern in CompuServe ein, wo zahlreiche weitere Gäste warten. Sie sprechen ihr Gelübte und tippen es gleichzeitig in den Computer ein. Kleiner Haken an der Geschichte: Alle drei sitzen im gleichen Raum. Aber die Gäste, die Hochzeitsgäste, die sind eben über das ganze Land verstreut und lesen nur am Bildschirm mit. Wie die Eltern von Debbie, die nicht zur Feier anreisen können.

In den achtziger Jahren haben immer mehr Menschen Zugang zu Online-Diensten. Sie lernen sich über Newsgroups kennen, in frühen Online-Spielen (etwa den MUD – Multi User Dungeons), können chatten und mailen. Online-Dienste wie CompuServe und AOL bieten mannigfaltige Wege zur Kontaktaufnahme. Beliebt sind außerdem Mailboxen, Bulletin Boards im englischsprachigen Raum genannt, die außer den Einwahlgebühren typischerweise nichts kosten; und dort etablieren sich elektronische Singlebörsen, Dial-A-Match genannt. Man gibt Details von sich preis, kann die Inserate von anderen lesen, und bevor man sich trifft, tauscht man unverbindliche elektronische Nachrichten aus.

Ein Vorreiter in Deutschland ist der Beate-Uhse-Chat im Bildschirmtext (*69 69 69#), bei dem man für 1,30 Mark pro Minute sein Glück suchen kann. Und schon damals wie heute wird mit Animateuren getrickst.

In vielen Online-Welten kann man heute heiraten. Genauer, es gibt alle Zutaten, um eine Hochzeit zu simulieren. In Spielen wie "World of Warcraft" gibt es passende Trachten und Ringe für einen würdigen Auftritt. Virtuelle Speisen und alkoholische Getränke und das Feuerwerk für die Feier danach, und eine Vielzahl passender Orte, von der kleinen Kapelle bis zur mächtigen Kathedrale.

In "Runes of Magic" kann man tatsächlich einen Spielpartner "heiraten" und damit in die höchste Stufe des Beziehungssystems treten: Man kauft zwei Ringe, meldet eine Hochzeit an und wird mit eingeladenen Gästen in einen Hochzeitssaal teleportiert. Dort spricht man mit einem Priester, der die virtuelle Ehe schließt. Das hat nicht nur symbolischen Charakter, sondern bringt Vorteile: Ehepartner können sich zueinander beamen, und spielen sie gemeinsam, erhalten sie Verstärkungszauber.

Doch längst sind Online-Spiele, in denen man nicht nur über die Tastatur, sondern auch via Headset und teilweise Kamera kommuniziert (früher eher über TeamSpeak, heute eher über Discord), ein bewährter Ort, um sich nicht nur "virtuell", sondern auch "real" kennenzulernen und zu verlieben.

(kbe [4])


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