Google sucht besseren Ansatz für Quantencomputer

Der Datenkonzern hat mit dem Physiker John Martinis ein neues Quantenrechner-Labor eröffnet, um eine Alternative zu den Quantenchips von D-Wave-Systems zu entwickeln.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Simonite

Der Datenkonzern hat mit dem Physiker John Martinis ein neues Quantenrechner-Labor eröffnet, um eine Alternative zu den Quantenchips von D-Wave-Systems zu entwickeln.

Es gibt kaum eine Technologie, die Google nicht anpackt. Nachdem der Datenkonzern seit 2009 bereits mit der Firma D-Wave Systems zusammengearbeitet hatte, will er nun in Eigenregie einen Quantencomputer entwickeln. Bereits im vergangenen Jahr hatte Google ein Gerät von D-Wave Systems gekauft, das von sich behauptet, den „ersten kommerziellen Quantencomputer“ gebaut zu haben.

Um einen eigenen Quantenrechner zu konstruieren, hat sich Google mit John Martinis von der University of California in Santa Barbara zusammengetan und in der Nähe der Uni ein Labor eröffnet. Martinis arbeitet seit mehr als zehn Jahren an Systemen, die Qubits darstellen, die Grundheiten der Quanteninformation.

„Wir möchten die Konstruktion überdenken und Qubits anders als D-Wave Systems erzeugen“, sagt Martinis. Er sei überzeugt, dass mit einem neuen Ansatz die Quantenrechner-Hardware verbessert werden könnte.

Theoretisch können Quantencomputer unvergleichlich schneller rechnen als heutige Computer. Das liegt daran, dass Qubits mehr Information fassen als herkömmliche Bits. Während diese nur die Werte „0“ oder „1“ annehmen können, sind diese Werte in Qubits in gewisser Weise parallel vorhanden. Denn in quantenmechanischen Systemen sind unterschiedliche Zustände einander so lange überlagert, bis ein Messvorgang das System auf einen konkreten Zustand – bei einer Berechnung: das Ergebnis – festlegt.

Die Folge: Vergleichsweise wenige Qubits genügen, um eine enorme Informationsmenge zu speichern, und ein Quantenalgorithmus kann die Lösung sehr viel schneller ausspucken, als es auf einem herkömmlichen Rechner möglich wäre. Leider sind die Quantenzustände in Qubits jedoch sehr empfindlich gegen Störungen durch äußere Einflüsse.

Die Ankündigung von Google und Martinis hat die Fachwelt elektrisiert. „Es ist eine großartige Entwicklung, wenn berufene Forscher die Chance bekommen, das Design von D-Wave Systems zu überprüfen“, sagt Chris Monroe, Leiter des Quantencomputer-Labors an der University of Maryland.

Seit D-Wave Systems 2007 sein erstes Gerät vorstellte, hat sich eine Kontroverse um dessen Konstruktion entwickelt. Kritiker bemängeln, die Firma habe keine Belege für die Funktionsweise ihres Qubit-Systems vorgelegt. Das hat Investoren nicht davon abgehalten, 140 Millionen Dollar in die Firma zu stecken. D-Wave Systems konnte bereits einige Quantenrechner verkaufen.

In Frage steht bei der Kontroverse nicht, ob die D-Wave-Maschine Berechnungen ausführen kann. Einige Forscher bezweifeln aber, dass diese Berechnungen quantenmechanische Prozesse ausnutzen. Es könne vielmehr sein, dass in dem D-Wave-Chip ganz klassische physikalische Prozesse ablaufen

Martinis wiederum hat bisher einen konventionellen Ansatz zum Quantenrechnen gewählt. Im April gelang es seinem Team, ein System mit fünf Qubits zu betreiben, bei relativ niedrigen Fehlerraten. Ein wirklich nützlicher Quantencomputer müsste, um seine Vorteile ausspielen zu können, zehntausende Qubits umfassen.

Das aktuelle D-Wave-Modell kommt immerhin auf 512 Qubits. Ihre Anordnung, ein sogenannter „Quantum Annealer“, gilt jedoch als beschränkt, was die Möglichkeiten des Quantenrechnens angeht. Damit lassen sich nur spezielle Algorithmen für spezielle Aufgabenstellungen nutzen, die einen Minimalwert finden sollen – etwa die effizienteste Transportroute durch eine Stadt.

Martinis war Anfang des Jahres Koautor eines Science-Papers, das die D-Wave-Technik am bislang gründlichsten untersucht hat. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass es „keinen Beleg für eine Quanten-Beschleunigung“ gibt. Ohne diesen wären die D-Wave-Maschinen aber nur herkömmliche, wenn auch ungewöhnliche Rechner. Die Firma konterte, die Forscher hätten die Tests mit ungeeigneten Aufgabenstellungen gemacht.

Nach dieser Arbeit kam Martinis mit Google ins Gespräch. Theoretisch wäre es möglich, dass auch Quantum Annealer deutlich schneller rechnen als gewöhnliche Computer. Erste Simulationen erhärten dies. Wissenschaftlich sei dies ein sehr interessantes Thema, sagt Martinis, für den das letzte Wort noch aussteht.

Er glaubt, mit seiner eigenen Technologie bessere Quantum Annealer bauen zu können. Vor allem hofft er, die in Qubits überlagerten Informationszustände länger als bisher aufrechterhalten zu können. In den D-Wave-Maschinen dauert die Überlagerung nur einige Nanosekunden. Martinis hingegen hat bereits Qubits erzeugt, die 30 Mikrosekunden hielten.

Die entstehen in Aluminium-Schaltkreisen auf Saphir-Wafern, nachdem Martinis sie auf 20 Millikelvin heruntergekühlt hat, bis sie supraleitend werden. Auch der D-Wave-Chip muss ähnlich stark abgekühlt werden. Seine Schaltkreise bestehen jedoch aus dem Supraleiter Niob auf einem Silizium-Wafer. Martinis plant, ebenfalls Qubit-Schaltkreise auf einem Silizium-Wafer herzustellen. Er vermutet, dass bestimmte Isolatormaterialien die Leistung des D-Wave-Chips beschränken.

Die neue Kooperation mit Martinis bedeutet aber nicht, dass Google D-Wave Systems abgeschrieben hat. In einer Erklärung bekräftigte ein Forschungsleiter von Google, dass man mit der Firma weiter zusammen arbeiten wolle. Außerdem wolle man den D-Wave-Rechner auf einen 1000-Qubit-Prozessor aufrüsten, sobald der erhältlich sei.

(nbo)