zurück zum Artikel

Grün, grüner, nano?

Niels Boeing

Wenn Nanotechnologien derzeit Schlagzeilen machen, dann meist wegen möglicher Risiken für Gesundheit und Umwelt. Doch jenseits der Risikodebatte sorgt ein neues Schlagwort für Bewegung in der Nanoszene: "green nanotechnology". Teil 1 einer neuen TR-Serie.

Es war kein Aprilscherz, als die renommierte Investmentbank Merril Lynch am 1. April 2004 die Einrichtung eines „Nanotech-Index“ bekannt gab. Nanotechnik, darin waren sich die meisten Hightech-Beobachter einig, würde schon bald die nächste „große Welle der Innovation“ einleiten, die den Zusammenbruch der New Economy vergessen machen könnte. Es kam anders: Das Internet erlebte als „Web 2.0“ ein beeindruckendes Comeback, Merril Lynch ist inzwischen Geschichte, im Tumult der jüngsten Finanzkrise aufgekauft von der Bank of America – und der Nano-Hype hat sich verflüchtigt. Wenn Nanotechnologien derzeit Schlagzeilen machen, dann meist wegen möglicher Risiken für Gesundheit und Umwelt.

Das könnte sich ändern: Seit der UN-Klimarat IPCC im vergangenen Jahr den Klimawandel zurück auf die Tagesordnung der Weltpolitik gesetzt hat, ist auch die Nanotech-Szene in Bewegung gekommen. Das neue Schlagwort lautet „green nanotechnology“, grüne Nanotechnik, und Reports und Konferenzen sondieren zunehmend das Potenzial der Kleinsttechnologien für Energie, Klimaschutz und Umwelt. „Cleantech entpuppt sich gleichermaßen als Nutznießer und Chance der Nanotechnik. Meines Erachtens sind die Parallelen zwischen beiden so groß, dass man sie kaum noch auseinanderhalten kann“, hat es Josh Wolfe, umtriebiger Nanotech-Analyst aus New York, in seiner Forbes-Kolumne formuliert.

Skeptiker werden dies als geschickten Schachzug abzutun. Als einen weiteren Fall von „Green-washing“, um einen von Industrie und Forschung gefürchteten Meinungsumschwung zu verhindern, sollten sich die Ergebnisse mehren, dass Nanoteilchen toxisch wirken. Tatsächlich aber könnten Nanotechnologien einen wichtigen Beitrag leisten, das gegenwärtige Wirtschaftssystem auf einen umweltverträglicheren Weg zu bringen.

Das Paradigma der Nanotechnik ist die möglichst präzise Manipulation von Stoffen auf der Nanoskala – also von Atomen, Molekülen, Teilchen und Strukturen, deren charakteristische Länge kleiner als 100 Nanometer ist. Der effiziente Umgang mit Stoffen ist ihr gewissermaßen ins Programm eingeschrieben. Bereits 1986 schwärmte der US-Ingenieur Eric Drexler in seiner bis heute umstrittenen Vision „Engines of Creation [1]“: „Wir werden die nötigen Nanosysteme schaffen, um den Unrat beseitigen, den uns die Zivilisation des 20. Jahrhunderts hinterlassen hat.“ Drexler glaubte, dies mit einem kühnen Höhenflug hin zu autonomen Nanorobotern bewältigen zu können. Den meisten Forschern ist längst klar, dass sie die Mühen der Ebene auf sich nehmen müssen, soll die Nanotechnik ihr Ökopotenzial wirklich entfalten. Das bedeutet: in akribischer Forschungsarbeit neue Materialien zu finden, die dank ihrer Teilchengröße oder ihrer nanoskaligen Strukturen bestehende Technologien zunächst einmal verbessern.

„Die kurzfristigen Cleantech-Anwendungen von Nanotechnik werden eher recht unspektakuläre Dinge wie Katalysatoren, Beschichtungen und Materialzusätze sein, noch nicht ein großer Wurf wie die Photovoltaik der nächsten Generation“, sagt Jaideep Raje vom US-Marktforschungsunternehmen Lux Research. Setzt man etwa Nanopartikel aus Ceroxid in geringen Konzentrationen von einigen "parts per million" (ppm) Diesel-Kraftstoff zu, entfalten sie eine katalytische Wirkung: Der Diesel wird in der gesamten Brennkammer gleichmäßiger und auch gründlicher verbrannt, weil Sauerstoffatome aus den Partikeln die Verbrennung unterstützen. Das senkt nicht nur die Emission von Schadstoffen. Versuche der britischen Firma Oxonica haben gezeigt, dass so der Dieselverbrauch um fünf bis zehn Prozent abnimmt.

Elektroden von hochwertigen Lithium-Ionen-Akkus enthalten bereits heute einen Anteil von fünf Prozent Kohlenstoffnanoröhren (Nanotubes). „Damit lassen sie sich ohne Kapazitätsverringerung häufiger wiederaufladen“, sagt Nanotube-Spezialist David Tománek von der Michigan State University. Weil Lithium-Ionen-Akkus als Speicher für Erneuerbare Energien oder für Elektroautos immer wichtiger werden, hat ein deutsches Industriekonsortium 2007 die Innovationsallianz „LiB 2015“ gestartet. BASF, Bosch, Evonik und LiTec und VW wollen 360 Millionen Euro in neue Nanomaterialien investieren, die die Leistungsfähigkeit der Akkus weiter nach oben schrauben. Die Bundesregierung steuert bis 2011 noch einmal 60 Millionen Euro bei.

Erhöht man die Energiedichte der Akkus, nimmt allerdings auch das Risiko zu, dass Defekte zu einem Brand führen. Herkömmliche Polymermembranen, die die Ladungen im Akku trennen, schmelzen bei Überhitzung durch. Evonik hat deshalb eine neue Membran entwickelt, in der das Polymer mit keramischen Nanopartikeln beschichtet ist. So wird sie hitzebeständiger. Unter dem Namen „Separion“ wird das Material bereits vertrieben.

Nanobeschichtungen tauchen inzwischen an den verschiedensten Stellen auf: „Bei der Entformung, also dem Herauslösen fertiger Teile aus Gussformen, kann die Standzeit dieser Werkzeuge durch geeignete Beschichtungen bereits verlängert werden“, nennt Ralf Zastrau, Vorstandsvorsitzender der saarländischen Nanogate AG, ein Beispiel. Walzen in Druckereien, die mit einer Antihaftschicht versehen sind, müssten deutlich seltener gereinigt werden, sagt Zastrau. Und versehe man Wärmetauscher mit einer Schutzschicht gegen Korrosion und Ablagerungen, bleibe ihr Wirkungsgrad über Jahre nahezu konstant.

Diese Nanoanwendungen haben mit den spektakulären Nanovisionen der neunziger Jahre nichts gemeinsam. Für die Verbraucher bleiben sie unsichtbar, tragen eher hinter den Kulissen dazu bei, Ressourcen wie Strom, Chemikalien, Kraftstoffe oder Wasser zu sparen. Wieviel, haben Umweltökonomen der Universität Bremen und des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung in Leipzig anhand von vier verschiedenen Nano-Anwendungen erstmals genauer unter die Lupe genommen.

Eine ist der thermoplastische Kunststoff „Ultradur“, der im Spritzguss verarbeitet wird und von BASF in zwei Varianten produziert wird. Das mit Nanopartikeln angereicherte „Ultradur High Speed“ erreicht eine höhere Fließgeschwindigkeit, weil die Teilchen die Viskosität, also die Zähflüssigkeit des geschmolzenen Stoffes verringern. Folge: In der Ökobilanz liegen Energieverbrauch und CO2-Emissionen bei der High-Speed-Variante um zehn Prozent niedriger. Dabei wird die Einsparung ausschließlich in Verarbeitung und nicht bei den Vorprodukten erzielt.

Ein zweites Beispiel ist die abschließende Oberflächenbehandlung von Kupfer-Leiterplatten für die Elektronik, „Surface Finish“ genannt. Im Vergleich zu gängigen Verfahren verbraucht das „Nanofinish“ der norddeutschen Firma Ormecon, eine 55 Nanometer dicke Beschichtung aus einer metall-organischen Verbindung, vom Vor- bis zum Endprodukt etwa die Hälfte bis ein Siebtel der Energie. Ähnlich groß ist die Einsparung an CO2-Emissionen, und auch der Verbrauch von Prozesswasser liegt für das Nanofinish niedriger: bei 20 bis 40 Prozent.

Die Frage ist nun: Handelt es sich bei diesen positiven Ökoeffekten von Nanomaterialien um den berühmten Tropfen auf den heißen Stein? Dann hätten Kritiker Recht, die dem neuen Label der „grünen Nanotechnik“ nicht trauen. Oder gilt das alte Sprichwort: „Kleinvieh mach auch Mist“?

Eine erste systematische Abschätzung, wieviel CO2 in einem Industrieland dank Nanotechnologien eingespart werden könnte, hat im Mai 2007 Ben Walsh vom Beratungsunternehmen Oakdene Hollins für das britische Umweltministerium vorgestellt. In fünf Jahren könnten Nanomaterialien in Kraftstoffen, der Wärmedämmung von Gebäuden und der Photovoltaik in Großbritannien jährlich etwa 12 Millionen Tonnen CO2 vermeiden helfen. Angesichts des derzeitigen britischen CO2-Ausstoßes von etwa 680 Millionen Tonnen im Jahr ist das nicht gerade Aufsehen erregend. Nanotechnologien für die Energiespeicherung und eine künftige Wasserstoffwirtschaft könnten das Reduktionspotenzial um 2025 aber immerhin um weitere 40 Millionen Tonnen pro Jahr erhöhen. „Vor allem die konsequente Anwendung von Nanotechnologien auf den Transportsektor könnte viel zur CO2-Einsparung beitragen“, sagt Ben Walsh.

Für Deutschland haben Jochen Lambauer und Alfred Voß vom Institut für Energiewirtschaft und rationelle Energieanwendung an der Universität Stuttgart erste Zahlen vorgelegt. Sie betrachteten dabei so unterschiedliche Anwendungen wie das erwähnte Ceroxid als Kraftstoffzusatz, Nanobeimischungen in Kunststoffen, Lacken oder Beton oder Lichtquellen aus LEDs. Ergebnis: Konsequent genutzt könnten die 15 Technologien, die alle eine Nanokomponente haben, den Endenergieverbrauch bis 2030 um bis zu 6,7 Prozent (bezogen auf das Jahr 2005) oder 620 Petajoule senken.

Auch diese Zahl ist noch keine Sensation. Aber es lohnt sich schon, sie einmal in einem anderen Kontext zu betrachten. Die eingesparte Energiemenge entspräche rund 171 Terawattstunden. Der Anteil des Atomstroms am Endenergieverbrauch in Deutschland betrug im vergangenen Jahr 140,5 Terawattstunden, Strom aus Steinkohle trug mit 145 Terawattstunden bei. Beim Endenergieverbrauch in Form von Wärme stammten immerhin 75 Terawattstunden aus Steinkohle.

Nun entfallen nicht alle Einsparungen, die Lambauer und Voß ermittelt haben, auf den Stromverbrauch. Nanoanwendungen im Verkehr, die zu einem Viertel beitragen, würden Kraftstoff, nicht Strom sparen helfen. Eine bessere Wärmedämmung der Häuser könnte den Endenergieverbrauch aber um 42 bis 52 Terawattstunden reduzieren – das wäre dann schon ein nicht unerheblicher Anteil der Wärme im Endenergieverbrauch, die derzeit aus klimaschädlichen Steinkohle gewonnen wird.

Die Effizienzpotenziale durch Nanotechnologien sollten nicht unterschätzt werden. Denn sie würden eine „breite Querschnitts- und Hebelwirkungen in vielen industriellen Anwendungsgebieten“ nach sich ziehen, urteilt Wolfgang Luther, Nanotech-Experte am VDI Technologiezentrum, in einer kürzlich für die Hessen Agentur erstellten Studie. Klar ist jedoch: Für den Übergang zu einem flächendeckend nachhaltigen Energiesystem werden Hebelwirkungen allein nicht genügen. Für den 2005 verstorbenen Nobelpreisträger Richard Smalley – einen der Entdecker der Fulleren-Moleküle – war klar, dass dieser Umbau nur mit Innovationen in der Photovoltaik gelingen kann. Mehr noch: „Ich garantiere, dass es eine Innovation auf der Nanoskala sein wird.“

Teil 2 über Nanotechnologien für die Energieerzeugung folgt am Dienstag, 2.12.2008. (nbo [2])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-275860

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.e-drexler.com/d/06/00/EOC/EOC_Table_of_Contents.html
[2] mailto:nbo@bitfaction.com