zurück zum Artikel

Grüner Sand als Klimahoffnung

James Temple
Grüner Sand als Klimahoffnung

(Bild: Project Vesta)

Forscher untersuchen vulkanisches Gestein, um es zur Klimagasbindung zu nutzen. Kann das die Erderwärmung abschwächen?

Zwei Buchten, gesäumt von Palmen, geformt wie zwei schmale Kerben, etwa eine Viertelmeile voneinander entfernt. Sie verlaufen entlang der Küste einer kaum bekannten Insel, irgendwo in der Karibik. Nachdem Forscher der gemeinnützigen Organisation Project Vesta Anfang März die zwillingsgleichen Buchten begutachtet hatten, wollen sie den idealen Ort gefunden haben, um eine neuartige Methode zu testen, die Kohlendioxid binden soll: Im Laufe des Jahres plant Project Vesta Olivin, ein grünes, vulkanisches Mineral, auf einem der Strände zu verteilen, passend gemahlen auf die Größe von Sandpartikeln.

Die Wellen sollen das hochreaktive Material weiter zersetzen, um eine Reihe chemischer Reaktionen zu beschleunigen, die Treibhaus-Gase aus der Atmosphäre ziehen und diese an Schalen und Skelette von Meeresweichtieren und Korallen binden. Dieser Prozess könnte, neben anderen Formen des sogenannten Enhanced Mineral Weathering, potenziell Hunderte Gigatonnen CO2 speichern – so zumindest ein optimistischer Bericht der National Academies of Sciences der Vereinigten Staaten.

So könnte womöglich das gesamte vom Menschen seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre entlassene CO2 ausgeglichen werden. Anders als Methoden des Klimagasabbaus, die von Boden, Pflanzen und Bäumen abhängig sind, soll diese effektiv von Dauer sein. Und zumindest Project Vesta glaubt an die Kosteneffizienz dieses Verfahrens mit geschätzten 10 US-Dollar pro gespeicherter Tonne CO2 (sobald die Methode großflächig eingesetzt werden kann).

Das Konzept lässt noch viele Fragen offen. Wie sollen die Riesenmengen an benötigten Mineralien gemahlen, verschifft und verteilt werden, ohne mehr Emissionen freizusetzen als das Material abbaut? Und wer soll das bezahlen? Zudem gibt es spezifische Herausforderungen, die mit dem Vorhaben von Project Vesta einhergehen. Forscher können noch nicht sicher sagen, inwieweit Wellen den Zersetzungsprozess beschleunigen, wie gut die Kohlenstoffbindung gemessen und verifiziert werden kann, mit welchen Umwelteinflüssen zu rechnen ist und wie die Öffentlichkeit dazu stehen wird, wenn Küsten mit gemahlenen, grünen Mineralien überschüttet werden. "Vieles ist noch nicht überprüft", sagt Phil Renforth, Associate Professor an der Heriot-Watt Universität in Schottland, der im Bereich des sogenannten Enhanced Weathering forscht.

Durch die geologische Zeitskala hindurch gehört mineralische Verwitterung zu einer der Hauptmechanismen der Erde, um CO2 wiederzuverwerten. Das Klimagas, das in Regenwasser in Form von Kohlensäure gebunden wird, zersetzt basische Gesteine und Mineralien – insbesondere solche, die reich an Silikat, Calcium und Magnesium sind, wie eben Olivin. Dadurch entstehen Bikarbonat, Calcium-Ionen, und andere Verbindungen, die in den Ozean verrinnen und dort von Meeresorganismen verdaut und in ein stabiles, solides Calciumkarbonat umgewandelt werden, aus dem Schalen und Skelette entstehen.

Mehr von MIT Technology Review Mehr von MIT Technology Review [1]

Die chemischen Reaktionen setzen Wasser- und Sauerstoff im Wasser frei, um mehr Kohlendioxid aus der Luft zu ziehen. Währenddessen sterben Korallen und Meeresweichtiere, ihre Überreste setzen sich auf dem Grund des Ozeans ab und formieren Schichten von Kalkstein und anderen Gesteinen. Der darin gespeicherte Kohlenstoff verbleibt dort für bis zu mehrere 100 Millionen Jahre, bis er durch eine vulkanische Aktivität wieder freigesetzt wird.

Dieser natürliche Mechanismus bindet mindestens eine halbe Milliarde metrischer Tonnen Kohlendioxid im Jahr. Das Problem ist, dass der Mensch jährlich mehr als 35 Milliarden Tonnen CO2 ausstößt. Kritisch ist nun, ob der natürliche Prozess der Bindung beschleunigt und hochskaliert werden kann.

Die Überlegung, den Klimawandel mit Witterungsprozessen anzugehen, ist nicht neu. Schon vor 30 Jahren empfahl ein Paper in der Fachzeitschrift "Nature", das Salz Silikat zu verwenden, um CO2 zu binden. Fünf Jahre später schlug Haroon Kheshgi, Forscher des Mineralölkonzerns Exxon, vor, für den gleichen Zweck Branntkalk zu verwenden. Im selben Jahr untersuchte Klaus Lackner, ein Pionier der negativen Emissionen, eine Vielzahl an möglichen Gesteinstypen und Methoden.

Doch die Verbesserung von Verwitterungsprozessen hat in den letzten Jahrzehnten wenig Beachtung bekommen im Verhältnis zu geradlinigen Ansätzen wie dem Pflanzen von Bäumen, dem Ändern landwirtschaftlicher Praktiken oder sogar dem Bau von CO2-absaugenden Maschinen. Das liege vor allem daran, weil dieser Ansatz einfach schwierig sei, betont Jennifer Wilcox, Professorin für chemisches Ingenieurwesen, die am Worcester Polytechnic Institute in Massachusetts zu Kohlenstoffbindung forscht. Jeder Lösungsvorschlag gehe mit bestimmten Herausforderungen und Spannungsfeldern einher, doch die richtigen Mineralien in richtiger Größe an den richtigen Ort unter die richtigen Bedingungen zu bekommen, sei stets ein kostspieliges und komplexes Unterfangen.

Doch viele Forscher schauen sich die Technologie mittlerweile genauer an, denn CO2-Abbau über natürliche Prozesse nimmt an Bedeutung zu, und einige Studien legen nahe, dass es Möglichkeiten gibt, die anfallenden Kosten mit anderen Ansätzen zu vereinen. Die Hoffnung: Wenn der Prozess im großen Maßstab günstig wird und für Unternehmen beispielsweise Emmissionsausgleichszahlungen anfallen, Regelungen wie eine CO2-Steuer eingeführt werden und Nebenprodukte aus dem Verfahren verkaufbar werden (zum Beispiel für Beton), dann gibt es wirtschaftliche Anreize, die Praktiken zu unterstützen.

Eine Handvoll Projekte wird nun realisiert. Forscher in Island haben eine Kohlendioxidlösung, die aus Kraftwerken oder Maschinen gewonnen wurde, kontinuierlich in tief unterirdische Basaltformationen geleitet, wo Vulkangestein die Lösung in stabile Karbonatmineralien umwandelt. Das Leverhulme-Zentrum zur Eindämmung des Klimawandels in Sheffield, England, unternimmt Feldforschungsversuche an der Universität von Illinois in Urbana Champaign. Sie wollen herausfinden, ob basischer Gesteinsstaub, der auf Mais- und Sojafeldern gegeben wird, sowohl als Dünger als auch als ein Mittel der Kohlenstoffbindung funktionieren könnte.

In der Zwischenzeit untersucht Gregory Dipple der University of British Columbia zusammen mit Forschern anderer Universitäten in Kanada und Australien, welche Verwendungen es für die zermahlenen, hochreaktiven Mineralien geben könnte, die bei der Gewinnung von Nickel, Diamanten und Platinum als Nebenprodukt entstehen. Eine Idee wäre, die Mineralien auf einem Feld zu verteilen, Wasser hinzuzugeben und den Schlamm schließlich zu kippen. Es wird erwartet, dass die sogenannten Bergbaurückstände schnell abziehen und CO2 aus der Luft mineralisieren, sodass ein fester Block entsteht, der vergraben werden kann. Modelle zeigen, dass dieses Verfahren den CO2-Abdruck einiger Minen auf Null setzen könnte oder sogar zusätzliches Klimagas aus der Atmosphäre zurückholen könnte.

"Das ist eine der größten, unerschlossenen Möglichkeiten in der CO2-Entfernung", meint Roger Aines, Vorsitzender der Carbon Initiative am Lawrencer Livermore National Lab. Er merkt an, dass ein Kubikkilometer ultramafisches Gestein über einen so hohen Magnesiumgehalt verfüge, dass eine Milliarde Tonnen Kohlenstoffdioxid damit absorbiert werden könnte. "Wir bauen ständig Steine in der Größenordnung ab", sagt er. "Wir haben keine andere Lösung, die in diesem Ausmaß funktionieren könnte."

Project Vesta habe sich eine lokale Genehmigung gesichert, um den Stränden erste Proben zu entnehmen und plane den Versuchsort zu benennen, sobald das Experiment grünes Licht bekommen hat, sagt Tom Green, der ausführende Direktor des Forschungsprojekts. Er schätzt, dass die Gesamtkosten sich auf eine Million US-Dollar belaufen werden. Das Hauptziel der Studie, die den zweiten Strand für einen Kontrollvergleich in seinem natürlichen Zustand belässt, ist die wissenschaftliche Klärung einiger blinder Flecken zu Verwitterungsprozessen an der Küste.

In Laborsimulationen wurde ermittelt, dass der Wellengang die Zersetzung von Olivin erheblich beschleunigen wird. Ein Paper kommt zu dem Schluss, dass so ein Vorgehen bei nur 2 Prozent der "energetischsten Schelfmeere" der Welt alle menschengemachten CO2-Emissionen im Jahr kompensieren könnte. Besonders herausfordernd ist, dass die Materialien sehr fein gemahlen werde müssen, damit die große Mehrheit der Kohlenstoff-Entfernung nur Jahre und nicht Jahrzehnte braucht. Kritische Forscher weisen darauf hin, dass die Methode sehr kostenaufwändig und energieintensiv wäre und die Durchführung selbst schon erhebliche Emissionen ausstoßen würde, sodass der Ansatz nicht praktikabel sei. Andere wiederum kommen zu dem Schluss, dass wesentlich mehr CO2 entfernt werden würde als produziert. "Das ist ein ziemlich wichtiger Forschungsbereich, der beweist, wie viel Potential diese Arbeit hat", sagt Green. "Aber wir müssen jetzt mal ein paar echte Experimente in der Natur durchführen."

Project Vesta hofft, dass Forscher bis zum Ende des Jahres mit dem tatsächlichen Experiment am Standort beginnen können. Nachdem das Olivin über einen der Strände verteilt wird, wollen sie aufmerksam verfolgen, wie schnell die Partikel sich zersetzen und weggespült werden. Auch werden sie messen, wie Säure, Kohlenstoffgehalt und maritimes Leben sich in der Bucht verändern, inwieweit sich das auf umliegende Bereiche auswirkt und wie die Werte sich von denen am Kontroll-Standort, dem belassenen Zwillingsstrand, unterscheiden. Vermutlich wird das Experiment ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen. Letztlich hofft das Team, Daten zu sammeln, die für die Geschwindigkeit des Verfahrens sprechen und aufweisen, wie gut das zusätzlich aufgenommene CO2 erfasst und überprüft werden kann. Diese Ergebnisse werden die Grundlagen für die Entwicklung weiterer Modelle bieten.

(bsc [2])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4839141

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tr/
[2] mailto:bsc@heise.de