Grüner Strom und freie Sicht

Fortschritte beim Bau schwimmender Plattformen für Windkraftanlagen sollen künftig dafür sorgen, dass die Anlagen weit vor der Küste installiert werden könnte.

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Von
  • Peter Fairley
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Offshore-Windpark-Betreiber würden ihre Mühlen gerne in tiefem Wasser aufstellen – in Bereichen, die mehr als durchschnittlich 32 Kilometer von der Küste entfernt liegen. Der Grund: Dort bläst der Wind besonders stark und stetig, außerdem gibt es hier keine Klagen von Anwohnern, denen man den Blick verstellen könnte. Doch das Anlegen von Fundamenten für Windräder ist in Gewässern, die tiefer als 20 Meter sind, derzeit noch viel zu teuer. Die Lösung könnten deshalb schwimmende Windkraftanlagen sein, an denen derzeit mehrere Technologiefirmen arbeiten.

Erste Demonstrationssysteme stehen bereit. Sie orientieren sich stark an Ansätzen, die aus der Offshore-Öl- und Gasförderung kommen. Im Dezember startete der niederländische Spezialanbieter Blue H Technologies den Betrieb einer Testplattform an der italienischen Südküste; zusätzliche Windturbinen will man bald im Meer vor dem US-Bundesstaat Massachusetts testen. Geht alles glatt, könnte ein vollständiger Windpark bereits im nächsten Jahr in europäischen Gewässern folgen.

Auch in Norwegen arbeitet man an der Technologie. Das Start-up SWAY hat im vergangenen Herbst 29 Millionen Dollar an Investmentkapital eingeworben und will seinen Prototypen einer schwimmenden Windkraftanlage 2010 fertigstellen.

Haben Blue H und SWAY Erfolg, könnte das zum Anzapfen enormer Energieressourcen führen. Eine Analyse, die das US-Energieministerium zusammen mit General Electric und der lokalen Förderbehörde Massachusetts Technology Collaborative vorlegte, ging bereits 2006 davon aus, dass das Offshore-Windpotenzial an der Atlantik- und der Pazifikküste der Vereinigten Staaten größer ist, als die Gesamtleistung der aktuellen regulären Kraftwerk in dem Land.

Schwimmende Mühlen könnten diese Energiemengen nun womöglich erschließen. Windparks wie die, die in Dänemark, Deutschland und anderen EU-Ländern installiert werden, leiden schon jetzt daran, dass es nicht genügend meerestaugliche Bautechnik gibt – vom Kran bis zur Rammanlage sind viele Gerätschaften kaum mehr zu bekommen. Emerging Energy Research (EER), ein US-Beratungsunternehmen, schätzt den globalen Markt für Offshore-Windenergie bis 2020 auf 40.000 Megawatt ein – genug Strom, um 30 Millionen amerikanische Haushalte zu versorgen. Diese Summe würde die aktuell vorliegende Kapazität bestehender Anlagen an Land und vor den Küsten verdoppeln. Das geht jedoch nur, wenn verstärkt im Ozean gebaut wird. Will man in den nächsten fünf Jahren nur 2000 Megawatt an Zusatzkapazität erreichen, müsste jedoch die Lieferkette für die notwendigen Baugeräte enorm ausgebaut werden, glaubt EER-Forschungsdirektor Keith Hays.

Schwimmende Windkraftanlagen lassen sich hingegen an Land herstellen und dann in Position ziehen, was den Flaschenhals der Offshore-Konstruktion umgeht. Die Plattform, die Blue H vom Hafen Brindisi vor Puglia in Italien ins Meer schickte, setzt auf die so genannte "Tension Leg"-Technik, die aus dem Ölplattformgeschäft bekannt ist. Diese schwimmen leicht unter der Oberfläche und werden stabil von Ketten gehalten, die zu Stahl- oder Betonankern führen, die am Meeresboden liegen. Auf der Prototyp-Plattform steht eine 80-Kilowatt-Turbine, die derzeit nur Sensoren antreibt, um Wellen und Windkräfte zu messen, die zehn Kilometer vor der Küste herrschen. Wesentlich größere Varianten mit 2,5 bis 3,5 Megawatt Leistung, die den aktuellen Offshore-Anlagen vor den Küsten fast entsprechen würden, werden von Blue H derzeit gebaut. Erste Modelle sollen noch im Herbst installiert werden.

Ungewöhnlich an dem Design ist auch der Rotor – er besteht nur aus zwei Blättern. Diese Anordnung war in den Neunzigerjahren eigentlich der mit dreien unterlegen. Blue H-Mitbegründer und Technologiechef Martin Jakubowski erklärt, dass man dies bewusst so gewählt habe: Die Nachteile an Land, der Lärm und die störend hohen Umdrehungsraten, seien offshore irrelevant oder sogar positiv.

Eine schnellere Rotation bietet hier tatsächlich Vorteile. So lassen sich die 30 bis 35 Umdrehungen pro Minute, doppelt so schnell wie bei Rotoren mit drei Blättern, weniger stark durch das hin und her der Plattform stören, das von der Wellenkraft ausgelöst wird. Die schnellere Rotation bedeutet außerdem weniger Drehmoment, so dass die Gesamtstruktur leichter gebaut werden kann. Rotor, Getriebe und Generator der Blue H-2,5-Megawatt-Anlage sollen nur 97 Tonnen wiegen. Das wären 53 Tonnen weniger als die leichtesten auf dem Markt erhältlichen Windräder mit gleicher Leistung. "Das ist ein großer Vorteil."

Gewicht müsse man bei diesem Plattformtyp ja stets reduzieren, meint Jakubowski. Entsprechend senkt sich auch der Preis. Im Endergebnis erwartet man bei Blue H eine äußerst wettbewerbsfähige Energiequelle. Jakubowski glaubt, dass sich so Windenergie für sieben bis acht US-Cent pro Kilowattstunde erzeugen lässt. Das entspricht den Kosten, die Gaskraftwerke oder konventionelle Onshore-Windanlagen hervorrufen.

Außerdem sind die Anlagen auf See nicht mehr im Blickfeld der Küstenbewohner – und die Firma hofft, dass es deshalb keine Konflikte etwa mit einer touristischen Nutzung einer Region mehr gibt. Vor dem amerikanischen Cape Cod soll die Demonstrationsanlage, die im nächsten Sommer geplant ist, so ganze 37 Kilometer im Meer stehen.

Der norwegische Konkurrent SWAY setzt auf eine andere Kombination aus Offshore-Plattform-Technologie und Turbinen-Gestaltung. Die Plattform des Unternehmens erinnert an eine Spierentonne, die sich mit den Wellen sanft auf und ab bewegen kann. Eine derart starke Verankerung wie bei Blue H ist so nicht mehr nötig. Die bojenartige Struktur ist fast 200 Meter lang und wird von einem 2400 Tonnen schweren Kiesballast am Meeresgrund gehalten. Der Rotor besitzt drei Blätter, ist aber im Gegensatz zu Anlagen an Land dem Wind abgewendet, um dem Turm eine bessere Stabilität zu verleihen.

Paul Sclavounos, Spezialist für Meeresarchitektur am MIT, dessen Labor ähnliche Anlagen entwickelt, hält beide Ansätze für durchführbar. Allerdings sei der Plan von SWAY besser für rauere See geeignet. Vor der italienischen Küste funktioniere die Plattform von Blue H vielleicht, doch die 30 bis 40 Meter hohen Wellen vor der Küste Neuenglands seien damit nicht durchzuhalten. Um die Anlage dann abzusichern, werde es teuer. "Die Fundamente sind das teure an diesem Geschäft", meint er.

Was der Experte allerdings hinterfragt, ist die Entscheidung beider Marktneulinge, die Rotoren zu verändern. Sclavounos Forscherteam arbeitet derzeit daran, sowohl Plattformen als auch Bojen zum Tragen herkömmlicher Windkraftanlagen mit fünf Megawatt herzustellen. "Eine Umgestaltung der Turbinen ist nicht ratsam, weil das sehr teuer werden dürfte. Anfangs ist das auch gar nicht notwendig", meint er.

Die wirtschaftliche Situation der Stromindustrie dürfte die schnelle Umsetzung schwimmender Windparks aber sehr bald zur Realität werden lassen, sagt der Forscher. "Die Technologie hat sich grundsätzlich bereits bewiesen." Man wisse, wie man Plattformen und Bojen bauen müsse, um schwere Stürme zu überstehen. "Die wirtschaftlichen Faktoren werden nun dafür sorgen, dass dieser Bereich in Schwung kommt." Werde erst der CO2-Rechtehandel in den USA und anderswo zum Standard, müsse der Staat nicht einmal mehr subventionieren. "Davon sind wir nicht mehr weit entfernt." (bsc)