"Gutes Design ist transparent"

Jack Dorsey, Erfinder des Kurznachrichtendienstes Twitter, spricht im TR-Interview über seine Gestaltungsphilosophie und seinen Respekt vor Steve Jobs.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Jason Pontin

Der Mann hat in der Internet-Szene schon einiges bewegt: Jack Dorsey, 34, gilt als Vater des Kurznachrichtendienstes Twitter und arbeitet mittlerweile wieder als dessen "Executive Chairman". Außerdem gründete er 2009 den Bezahldienst Square, mit dem Nutzer per Smartphone Kreditkartenzahlungen entgegennehmen können.

Bei beiden Firmen legt Dorsey großen Wert auf gutes Design. Dabei geht es ihm weniger um die Optik, als um Nutzererfahrung und Usability. Eine gelungene Gestaltung sei dann erreicht, meint er, wenn Design in den Hintergrund trete. Twitter mit seinen bewusst auf 140 Zeichen beschränkten Nachrichten ist hierfür ein gutes Beispiel. Im Interview mit Technology Review spricht Jack Dorsey über seine Gestaltungsphilosophie und seine Vorbilder.

Technology Review: Herr Dorsey, was ist für Sie gutes Design?

Jack Dorsey: Design ist dann gut, wenn es natürlich transparent ist.

TR: Wie meinen Sie das konkret? Wenn Sie über Twitter und Square reden, sprechen Sie manchmal von "Schönheit" – einer Eigenschaft, die man mit Software eher selten in Verbindung bringt. Was bedeutet "transparente" Schönheit bei einer Website oder einer Smartphone-Anwendung?

Dorsey: Nun, ich denke, viele Leute halten Design für eine rein visuelle Angelegenheit, wie das Layout eines Textes auf einer Dose mit japanischem Tee. Für mich ist Design dagegen nicht nur eine visuelle Frage, sondern vor allem eine redaktionelle. Ich möchte beispielsweise herausfinden, ob man noch irgendetwas weglassen kann, um die Essenz dessen zu erreichen, was man macht. Bei Square nehmen wir Zahlungen entgegen. Das ist es – eigentlich ganz einfach. Also möchten wir möglichst wenig Reibungsverluste haben zwischen unserem User und seinem Wunsch, problemlos bezahlt zu werden.

TR: Gutes Design verschwindet also aus der Sicht des Nutzers irgendwann?

Dorsey: Was ich an einem gut gestalteten Produkt wirklich liebe, ist der Moment, an dem man nicht mehr über es nachdenken muss. Wenn es Teil des Hintergrundes wird.

TR: Sie meinen, dass ein Produkt intuitiv selbstverständlich sein sollte.

Dorsey: Genau. Das Telefon, das sie da auf dem Tisch vor sich haben, hat kein Apple-Logo auf seiner Frontpartie. Sie wissen, dass es von Apple ist, weil es hochwertig gebaut ist und bestimmte Design-Charakteristika besitzt. Wenn man es jedoch verwendet, verschwindet das Telefon. Es geht nur noch um die Kommunikation oder den Inhalt, den man betrachtet. Ich will das bei Twitter auch. Wenn man den Dienst nutzt, soll man sofort seinen wahren Wert erleben. Wenn man auf Kanye West steht, soll Twitter verschwinden und man dann nur noch Kanye sehen.

Square ist so ähnlich. Bei uns geht es um zwei Seiten, um die wir uns kümmern müssen. Wir haben die Händlerseite – unsere User – und diese haben wiederum ihre Nutzer, also ihre tatsächlichen Kunden. Wir wollen nun, dass die Nutzererfahrung derart einfach und gelungen ist, dass niemand mehr darüber nachdenken muss, wie man eine Zahlung entgegennimmt. Der Händler muss sich nur noch darauf konzentrieren, was er verkaufen will. Für den Kunden soll es genauso einfach sein: Man sollte in einen Coffeeshop marschieren können und dort dann einen Cappuccino kaufen, ihn genießen und sich nachher gar nicht mehr daran erinnern, dass man bezahlt hat. So einfach soll sich das anfühlen.

TR: Das Verhalten der Twitter-Nutzer liefert jede Menge Messwerte, die Ihnen sagen können, ob ein Design gelungen ist oder nicht. Sie speichern, wie oft Nutzer Links folgen oder wie oft sie twittern. Diese Daten haben Ihnen schon früher geholfen, den Dienst zu verbessern. Die Vorschlagsliste "Wem kann ich folgen?" wurde beispielsweise als Antwort auf die Fragen vieler Nutzer eingebaut, die nicht wussten, was sie nach dem Einrichten ihres Twitter-Accounts eigentlich tun sollten. Welchen Datenpunkten folgen Sie bei Square, um das Design des Dienstes zu verbessern?

Dorsey: Wir können beispielsweise sagen, wie lange die Leute sich auf einer Bezahlseite aufhalten, wie lange es dauert, bis sie die Karte durchgezogen haben und wie lange sie brauchen, bis sie den "Bezahlen"-Knopf finden. Der wichtigste Wert ist aber die Länge der gesamten Transaktion. Mit der aktuellen Technologie, also normalen Kartenlesegeräten, dauert das vielleicht eine Minute, manchmal sogar drei.

TR: Und wie schnell ist Square?

Dorsey: Wir sind im Durchschnitt bei 45 Sekunden. Das würden wir gerne noch auf 30 Sekunden drücken und dann noch schneller werden. Das liegt wieder daran, dass wir wollen, dass das Ganze zu einer Art Hintergrundrauschen wird, dass der Käufer sich auf den Kaffee, seine Klavierlektion oder irgendetwas anderes konzentrieren kann, für das er gerade bezahlt hat.

TR: Gibt es irgendwelche Modelle für Sie, wie man eine Firma führen sollte, um diese Form transparenten Designs umzusetzen?

Dorsey: Ich habe die Magazin- und Zeitungskultur ziemlich genau studiert, weil ich glaube, dass meine Rolle am Ende des Tages die eines Redakteurs ist. Ich führe die Firma eigentlich nicht. Ich bin mehr ihr Chefredakteur.

TR: Das schmeichelt uns Journalisten sehr, aber was meinen Sie damit? Als Chefredakteur trifft man auch nur Entscheidungen und entwickelt Abläufe.

Dorsey: Genau darum geht es. Es gibt Tausend verschiedene Dinge, über die Sie schreiben könnten und es gibt Tausend verschiedene Funktionen, die wir einbauen könnten. Alle für sich genommen sind vielleicht gut, doch in unserem Fall gibt es ein oder zwei Features, die in jene in sich geschlossene Story passen, die Square erzählen will. Das Produkt ist die Geschichte, die wir der Welt präsentieren.

TR: Wer beherrscht so etwas Ihrer Meinung nach besonders gut?

Dorsey: Ich denke, Steve Jobs ist einer der besten Chefredakteure. Als er 1997 zu Apple zurückkehrte, hat er nicht nur ein paar bestehende Produkte beerdigt, sondern ein paar tolle Produkte. Und dann ließ er auf der ganzen Welt diese Werbeposter mit all diesen Helden aufhängen, auf denen der Slogan "Think Different" stand.

Damals hatte Apple erst mal nichts Neues auf dem Markt – nichts. Es gab nur Poster von Jim Henson, das war's. Und dann, ganz plötzlich, gab es diese sich langsam und elegant entfaltende Geschichte mit wunderbar gewähltem Tempo: iMac, iPod, OS X, iPhone und das iPad. Ich finde es fantastisch, wie Apple das umgesetzt hat: Die Firma hat so viel Geduld, Produkte zu entwickeln. Davon können wir viel lernen. (bsc)