Computex

Was Chinas Griff nach Taiwan für die Halbleiterindustrie bedeuten könnte

China erhöht den Druck auf den Inselstaat Taiwan. Welche Konsequenzen eine Eskalation haben könnte, analysiert Sascha Pallenberg.

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(Bild: Andreanicolini/mtkang/Shutterstock.com/Bearbeitung: heise online)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Sascha Pallenberg
Inhaltsverzeichnis

Vor wenigen Tagen passierte der chinesische Flugzeugträger "Shandong" zum vierten Mal die Straße von Taiwan und sollte damit abermals den Anspruch Chinas auf die de facto unabhängige Insel Taiwan untermauern. Angesichts solcher Drohgebärden steht die Frage im Raum, welche Auswirkungen ein Konflikt auf die Weltwirtschaft haben könnte. Darum lohnt speziell vor dem Hintergrund der gerade in Taiwan stattfindenden IT-Messe Computex ein Blick auf die Strategien der dortigen OEMs und Halbleiterindustrie.

Erst im April dieses Jahres hatte die chinesische Volksbefreiungsarmee ein dreitägiges Manöver rund um Taiwan abgeschlossen. Ziel: die Abriegelung der Insel. Sollte China Ernst machen, hätte dies fundamentale Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Um es auf den Punkt zu bringen: So eine Weltwirtschaftskrise hätten wir bisher noch nie erlebt. Zu groß ist die Abhängigkeit der Lieferketten von der führenden Halbleiterproduktion in Taiwan. Um es in Zahlen auszudrücken: Die taiwanischen Auftragsfertiger TSMC und UMC sind für 61 Prozent der weltweiten Produktion verantwortlich, zusammen mit PSMC und VIS sogar für 63 Prozent.

Um diese Größenordnung (und durchaus auch gegenseitige Abhängigkeiten) zu verdeutlichen: Taiwan produziert um den Faktor zehn mehr Halbleiter als die Volksrepublik China und dürfte bezüglich der aktuellen Architekturen und Fertigungsprozesse einen Entwicklungsvorsprung von sechs bis sieben Jahren haben.

Eine Analyse von Sascha Pallenberg

Sascha Pallenberg lebt seit 14 Jahren in Taipei, Taiwan und bloggt über technologische Entwicklungen auf der Webseite:

Der mit Regierungsunterstützung gegründete chinesische Halbleiterhersteller SMIC hatte 2022 zwar für Aufsehen gesorgt und erklärt, dass er inzwischen Chips der 7-Nanometer-Klasse produzieren könne. Wer die Artikel in den chinesischen Medien gelesen hat, erkennt aber ein überstrapaziertes Narrativ der Technologieführerschaft: SMIC habe den Schritt vom 14- auf den 7-nm-Fertigungsprozess schneller geschafft als Samsung und TSMC – ein bis dato unvergleichbarer Erfolg! Allerdings ist dabei eine gehörige Portion Skepsis angebracht. Abgesehen davon, dass weiterhin umstritten ist, ob es sich tatsächlich um 7-nm-Halbleiter handelt oder nicht, erzielt SMIC angeblich gerade einmal einen 15-prozentigen Yield, also der Anzahl der funktionierenden Chips pro Wafer. Hersteller wie Samsung und TSMC würden derartige Fertigungsprozesse nicht weiterverfolgen, denn dies entspräche in etwa dem Zehnfachen des Marktpreises der hauseigenen 7-nm-Produktion – unvorstellbar für ein privatwirtschaftliches Unternehmen aus Südkorea oder Taiwan.

China ist also – wie auch die restliche Welt – fundamental von Taiwans Halbleiterindustrie abhängig. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, welchen Druck die USA auf Zulieferunternehmen wie ASML und Nikon ausüben, um zu verhindern, dass diese ihre hoch spezialisierten Lithografiesysteme nach China liefern. Solche Deep-UV-Belichtungssysteme (DUV), die übrigens auch vom deutschen Hersteller Zeiss produziert werden, sind unverzichtbar für die Wafer-Produktion.

Das bedeutet, dass China bei allem Interesse an Taiwan und dessen industriellem Rückgrat langfristig überhaupt keine Produktion aufbauen könnte, wenn die Lieferketten durch Firmen wie ASML und Nikon unterbrochen werden – zumindest, solange China keine derartigen Maschinen produzieren kann.

Aber wie sehen dies eigentlich die Hersteller in Taiwan? Welche Strategien liegen in den Schubladen der Chiphersteller oder namhafter OEMs wie Acer, Asus, Gigabyte, MSI und Co.? Schließlich ist China einer der wichtigsten Märkte für die lokale Industrie. Taiwans Elektronikindustrie ist für nahezu 45 Prozent der Exportleistung verantwortlich und diese fiel den zehnten Monat in Folge Richtung China. Dafür mag man schnell die aktuelle Situation verantwortlich machen, aber hier sollte man bedenken, dass nach den Rekordumsätzen innerhalb der Pandemie, die gesamte PC- und Unterhaltungselektronik-Industrie große Absatzprobleme hat.

Hinsichtlich der eigenen Wertschöpfungsketten findet jedoch seit Jahren ein Diversifizierungsprozess statt: Joint Ventures zwischen dem Auftragsfertiger Foxconn und Indonesiens Indika Energy, Investments von Foxconn, Pegatron und Wistron, die rund um die indische Techmetropole Bangalore quasi einen Taiwan-Hub schaffen und die Bestrebungen von TSMC Halbleiter in Arizona, aber auch potenziell in Europa zu produzieren, zeigen, dass sich Taiwans Industrie in einem fundamentalen Umbruch befindet.

Wie umfassend dieser sein und wie schnell er abgeschlossen sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Tatsache ist aber, dass die politische Situation in den letzten Jahren besonders eine Entwicklung beschleunigt hat: Die global führenden Unternehmen der Chip- und IT-Industrie schauen sich nach Alternativen um und diese suchen sie hauptsächlich in Indien, Südostasien, den USA und Europa. Und das sind offen gesagt Szenarien, die alles andere als vorteilhaft für die Wertschöpfungsketten in der Volksrepublik China sind. Denn über kurz oder lang ist damit zu rechnen, dass nicht nur die Exporte von Taiwan weiter zurückgehen werden, sondern auch die Investments und potenzieller Technologietransfer.

Bleibt die Frage, ob all dies der aktuellen geopolitischen Entwicklung geschuldet ist? Ja und Nein! Taiwans Industrie diversifiziert sich bereits seit Jahren und das vorwiegend aus wirtschaftlichen Erwägungen. Südostasien bietet inzwischen lukrativere Investmentpotenziale, Subventionen, Joint Ventures, geringere Lohnkosten, aber auch weitaus bessere Infrastrukturen als noch vor 20 oder gar nur 10 Jahren an. Staaten wie Indien, Indonesien und Vietnam haben hier umfangreich aufgeholt und buhlen um die Investments der taiwanischen Hersteller.

Man darf hier nicht unterschätzen, dass Taiwan und seine Bevölkerung bereits seit Jahrzehnten mit der Bedrohung durch die Volksrepublik lebt. Flüge in die Luftraum-Identifikationszone sind hier fast an der Tagesordnung, das Militär nahezu in Dauer-Alarmbereitschaft und die Drohungen, sowie mediale Propaganda via Social Media Alltag. Die US-taiwanische Journalistin Clarissa Wei brachte den Gemütszustand der Taiwanerinnen und Taiwaner in ihrem Kommentar für CNN auf den Punkt und der lässt sich eigentlich am besten so zusammenfassen: "Die Welt verfällt in Panik, weil Taiwan nicht in Panik verfällt".

Wir leben hier unseren Alltag und der wird dann eher durch nächtliche Anrufe meiner Familie unterbrochen, weil in den deutschen Abendnachrichten wieder von Militärmanövern rund um Taiwan berichtet wird.

So vorstellbar ein Angriff Chinas auf das kleine Taiwan auch klingen mag, so katastrophal und weitreichend wären (nicht nur) die weltwirtschaftlichen Folgen. Diese beträfen auch das chinesische Festland, wo Xi Jinping alles dafür tun muss, damit das Versprechen vom "chinesischen Traum" und des Aufstiegs in die Mittelklasse für hunderte Millionen Chinesinnen und Chinesen nicht zerbricht. Anzeichen dafür gibt es zuhauf und ein globaler Konflikt würde dies wahrscheinlicher machen.

(vza)