Earthship: Haus aus Schrott

In Süddeutschland entsteht ein Earthship – ein autarkes Gebäude, aus Zivilisationsmüll gebaut. Das Konzept interessiert mittlerweile auch die Wissenschaft – und könnte den konventionellen Hausbau verändern.

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Von
  • Daniel Hautmann
Inhaltsverzeichnis

Für einen Moment schwebt der massive Hammer über Mikes Kopf. Seine graue Mähne weht im Wind, die Muskeln spannen sich unter dem ausgebleichten Karohemd. Dann saust der Eisenbatzen herab und drischt Erde in einen alten Autoreifen. Der Siebzigjährige schnauft kurz und setzt zum nächsten Hieb an. Rund 100 Hiebe braucht er, dann ist der Reifen hart wie Stein. Tausende hat Mike schon geprügelt.

Was nach Wutarbeit im Knast klingt, ist ein zentrales Element beim Bau eines Earthships. Das sind autarke Gebäude, die alles bieten sollen, was der Mensch zum Leben braucht: eine warme Behausung, Trinkwasser, Nahrungsmittel und Energie bereitstellen, die Ausscheidungen der Bewohner umweltgerecht entsorgen. Wer dort wohnt, benötigt weder einen Energieversorger noch einen Anschluss an die Kanalisation. Als Baumaterial dient weitgehend Müll – Reifen, Flaschen, Dosen, alles, was sich so findet.

Das Konzept hat der US-Amerikaner Michael "Mike" Reynolds in den 1970ern ersonnen. Erst hielt man den Architekten für einen Freak. Heute feiert man ihn: An die 1000 seiner Ökogebäude gibt es weltweit. Die meisten sind Einfamilienhäuser, einige auch Notunterkünfte für Katastrophenopfer. "Unsere Idee verbreitet sich wie ein Virus, in Malawi, in den USA und bis hin nach Australien. Die Leute erkennen, dass sie umdenken müssen", sagt Reynolds.

Earthship: Haus aus Schrott (5 Bilder)

Über 1000 Earthships gibt es bereits weltweit - weitgehend autarke Gebäude wie dieses in Taos, New Mexico.
(Bild: Patrick Tombola / Laif)

Earthships sind stets zur Sonne ausgerichtet und haben eine große gläserne Front, um ihre Wärme einzufangen. Ein ausgeklügeltes Belüftungssystem leitet warme Luft in eine meterdicke Wand aus erdgefüllten Reifen. Sie dient als thermischer Speicher. Bei Kälte strahlen die Wände Wärme in den Raum ab, im Sommer kühlen sie ihn. Rund 900 Reifen benötigt man. Dafür entfällt die Heizung, die bei gewöhnlichen Bauten rund 70 Prozent des gesamten Energiebedarfs verschlingt.

Die Gemeinschaft Schloss Tempelhof in Baden-Württemberg baut gerade so ein Earthship. 140 Menschen leben hier, die meisten in gewöhnlichen Häusern, einige in mobilen Wohneinheiten, Last- oder Bauwagen – hufeisenförmig um das 180 Quadratmeter große Ökohaus angeordnet. Sie nutzen es als Küche, Bad und Gemeinschaftsraum. Experimentelles Wohnen nennt das Tempelhof-Mitbegründer und Bauherr Roman Huber: "Unsere Gemeinschaft war immer schon als Experimentierfeld gedacht."

Was die Tempelhofer eint, ist die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben, im Einklang mit der Natur. "Den Leuten ist klar, dass es so nicht weitergeht. Deshalb sind sie hier", sagt Huber. In gewisser Weise sind sie Pioniere, auf dem Weg in eine neue Form des Lebens. Deutschlands erstes Earthship passt da gut ins Konzept – ein Leuchtturm aus Müll, der das Machbare auslotet und der konventionellen Welt zeigt, wie man es besser machen kann.

Freiwillige aus aller Welt packen gratis mit an. Wer sie sieht, versteht, was Reynolds' Frau mit dem Satz meint, ihr Mann sei ein Freak-Magnet: Die Bauarbeiter erinnern an die Crew eines Piratenschiffs. Junge Männer mit langen Rastazöpfen, Frauen in Jogginghosen und Gummistiefeln. Hier trägt niemand einen Helm, dafür dröhnt aus dicken Lautsprechern Rockmusik. Als die Meute einen Betonmischer per Eimerkette leerte, denn ganz ohne das Bindemittel geht es auch bei einem Haus aus Müll nicht, war dessen Fahrer sprachlos: So was habe er in seinen 30 Jahren noch nicht erlebt. Auch Earthship-Erfinder Reynolds lässt es sich nicht nehmen, mit anzupacken. Mit ausgefranstem Strohhut ist er mal hier, mal da. Die Baustelle in Süddeutschland ist ihm besonders wichtig: "Die Deutschen sind ein schlaues Volk. Da gibt es viel Potenzial für uns."

Für sein Konzept interessiert sich auch die Wissenschaft. Um aussagekräftige Daten zu schürfen, baut Architekt Ralf Müller in die Wände Sensoren ein. So kann er später im Rahmen seiner Masterarbeit am Lehrstuhl für Bauphysik an der Uni Stuttgart messen, wie gut der thermische Speicher Energie aufnimmt und wieder abgibt. Man will wissen, ob sich die Idee auf den konventionellen Hausbau übertragen lässt.

Auch das Wassermanagement ist Gegenstand der Forschung. Das auf dem begrünten Dach gesammelte Regenwasser fließt in Zisternen, die in der Rückwand des Gebäudes vergraben sind. Gefiltert dient es zum Duschen und Händewaschen – nur mit Bioseife, versteht sich. Mehr als 50 Liter pro Tag und Person sollen, so der Anspruch der Bewohner, allerdings nicht verbraucht werden – die Hälfte des deutschen Durchschnitts.

Danach verschwindet das Wasser auch nicht einfach in der Kanalisation, sondern im Beet des Wintergartens. Hat es die Pflanzen gewässert, spült es die Toiletten. Danach sollte es eigentlich in eine isolierte Klärgrube geleitet und von Bakterien zersetzt werden, bevor es ins Grundwasser gelangt. Doch das machten die deutschen Behörden nicht mit. "Anschlusszwang", sagt Architekt Müller. So kam das Gebäude an die öffentliche Leine, Frisch- und Abwasserleitungen verbinden es mit der konventionellen Welt. Vielleicht aber lassen sich die Behörden ja noch umstimmen.

Earthship-Gründer Reynolds wundert sich jedoch nicht nur über die Gründlichkeit der Behörden – sondern ebenso über den Purismus seiner deutschen Mitstreiter. Denn kaum ein Earthship-Projekt ist so konsequent wie das süddeutsche. Statt XPS-Isolationsplatten aus Erdöl dämmen die Tempelhofer Boden und Wände mit Schaumglasschotter aus Altglas. Das ist zwar teurer, aber konsequenter, finden die Tempelhofer. Am Ende liegt der Preis bei stattlichen 300.000 Euro, inklusive der 56.000 Euro, die Reynolds' Organisation für Planung und Beratung berechnet.

Zu teuer, findet der Earthship-Gründer. Das Gebäude könne um die Hälfte billiger sein, wenn die puristische deutsche Bio-Ideologie nicht wäre. Ihm geht es zwar auch um Umweltschutz, aber vor allem darum, "Sachen selbst zu bauen, mit einfachen Mitteln, statt Konzernen zu vertrauen, die einem das Geld aus der Tasche ziehen. Wir nehmen Müll, davon haben wir genug".

Der Strom soll, wie bei fast allen bisher erstellten Earthships, über Photovoltaikanlagen gewonnen und dann gespeichert werden. Ob das Gebäude allerdings tatsächlich ohne konventionelle Heizenergie auskommt, werden die strengen Winter zeigen. Vorsorglich liegt auf dem Tempelhof aus dem eigenen Pelletheizkraftwerk eine Nahwärmeleitung bereit. Bis der Saisonspeicher der thermalen Masse geladen ist, wird eine Strahlungsheizung notwendig sein.

Doch die wollen die Bewohner später möglichst nicht mehr anzapfen. Reynolds ist sicher, dass sein Konzept aufgeht. Er bewohnt selbst ein Earthship in Taos, New Mexico. Draußen ist es oft minus 20 Grad kalt, sagt er, drinnen sei es dann angenehm. Und sollte ihm doch mal kalt werden, muss er bloß an all die Reifen denken, die er schon verprügelt hat. (bsc)