Charles Babbage: "Ich bin Wissenschaftler und Engländer"

Er ersann den Vorläufer des Computers, denn intellektuelle Herausforderungen waren sein Lebenselixier.

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Von
  • Gordon Bolduan

Er ersann den Vorläufer des Computers, denn intellektuelle Herausforderungen waren sein Lebenselixier.

Technology Review: Sie sind angesehener Wissenschaftler, weit über die Grenzen Englands hinaus. Dennoch ist es ruhig um Sie geworden, seit Sie 1864 Ihre Autobiografie "Passages from the Life of a Philosopher" veröffentlicht haben.

Charles Babbage: Ruhig? Nennen Sie das, was auf der Straße passiert, ruhig? Hören Sie denn nicht diese Katzenmusik vor meinem Haus? An keinem Fleckchen Londons kann man noch Stille genießen, Italiener belästigen mich mit Leierkästen, Inder mit Trommeln, Engländer mit Fiedeln und dann noch die Deutschen mit ihren Blaskapellen.

TR: Das regelt doch nun das "Babbage-Gesetz"?

Babbage: Um das zu erreichen, musste ich aber in zwölf Jahren genau ein Viertel meiner Arbeitskraft aufwenden. Das Ergebnis: Inzwischen laufen mir sogar schon die Kinder nach und bieten mir übel tönende Katzenmusik dar.

TR: Bekannt wurden Sie auch durch ihre Kritikschrift "Betrachtungen über den Verfall der Wissenschaft und einige seiner Ursachen" aus dem Jahr 1830. Was hat Sie bewogen, solch scharfe Worte zu wählen?

Babbage: Bereits seit meinen Studientagen in Cambridge gehörte ich einer verschworenen Gruppe an, "die Analytischen" genannt. Schon damals war für uns offensichtlich, dass es um das Wesen der Naturwissenschaften in England nicht zum Besten stand.

TR: Liest sich Ihr Buch deswegen so sehr als Angriff auf die Royal Society, die nationale Akademie der Wissenschaften?

Babbage: Natürlich. Der damalige Präsident musste gestürzt werden, er stand einer Reform der Naturwissenschaften im Weg. Es war auch nicht schwer nachzuweisen, dass die Protokolle der Gesellschaft gefälscht worden waren und dass er Ratsmitglieder ernannt hatte, ohne sie auch nur der Form halber wählen zu lassen.

TR: Hatten Sie Erfolg?

Babbage: Nein, mein Freund John Herschel verlor knapp die Wahl zum Präsidenten. Die Reformbewegung zerbrach daraufhin, eine Verbindung zwischen theoretischer Wissenschaft und den technischen Anwendungen in der Praxis blieb aus.

TR: Ihre "Differenz-Maschine No. 1" zeigte doch bereits, wie sich Ingenieurwesen und Wissenschaft gegenseitig befruchten könnten. Wie kamen Sie auf die Idee dazu?

Babbage: Ich fand in einer per Hand ausgerechneten Tabelle schon auf den ersten Blick so viele Unstimmigkeiten, dass ich zu Herschel sagte: Ich wünschte mir wahrhaftig, diese Berechnungen wären mithilfe einer Dampfmaschine auszuführen.

TR: Allein die Menge und die Präzision ihrer Bauteile müssen eine Herausforderung dargestellt haben.

Babbage: 25.000 Bauteile, um genau zu sein. Aber Sie haben recht, Zehn-Stunden-Tage an der Drehbank waren die Regel.

TR: Sie, ein Mathematikprofessor, an einer Drehbank? Sie scherzen.

Babbage: Nein, Sie vergessen, dass meine Vorfahren Goldschmiede waren. Lediglich mein Vater ist als Banker aus der Art geschlagen.

TR: Immerhin hat sein Nachlass es Ihnen ermöglicht, noch an der Differenz-Maschine zu arbeiten, als die Regierung das Projekt ad acta gelegt und die Förderung von rund 17.000 englischen Pfund – genug, um zwei Schlachtschiffe zu bauen – in den Wind geschrieben hatte.

Babbage: Das ist nur ein Bruchteil des Vermögens und der Zeit, die ich für die Maschine geopfert habe, um dann nach zehn Jahren des Bettelns und Bittens per Post die Absage von einem staatlichen Erbsenzähler zu erhalten.

TR: An Ihren Abendgesellschaften nahm die Elite Londons teil. Warum schafft es ein Mann mit Ihrem Bekanntheitsgrad nicht, private Förderer aufzutreiben?

Babbage: Schlagen Sie einem Engländer einen Grundsatz oder ein Werkzeug vor, und Sie werden feststellen, dass er die ganze Kraft seines Schädels daransetzen wird, einen Mangel zu finden.

TR: War das der Grund, weshalb Sie die Analytische Maschine, deren elektronisches Pendant 2010 auf jedem Schreibtisch steht und die der Differenz-Maschine weit überlegen war, nicht mehr realisiert haben?

Babbage: Ich wollte eine kleinere Ausgabe für die Weltausstellung 1862 fertigstellen, aber bereits diese war zu aufwendig. Aber ich habe durch Pläne und technische Angaben sichergestellt, dass die Analytische Maschine gebaut werden konnte, falls irgendjemand dies wollte.

TR: In meiner Zeit gelten Sie nicht nur als genialer Mathematiker, sondern auch als bedeutender Ökonom – allerdings ist Ihr Talent, Codes zu knacken, ganz in Vergessenheit geraten.

Babbage: Spielen Sie etwa auf die Episode mit dem Zahnarzt John Thwaites an, der vor ein paar Jahren dreist eine Verschlüsselungsmethode vorschlug, die eigentlich auf den französischen Diplomaten Blaise de Vigenère aus dem 15. Jahrhundert zurückgeht?

TR: Genau. Die Vigenère-Chiffre galt als nicht zu knacken, und Thwaites forderte Sie auf, genau dies zu tun.

Babbage: Dazu kann ich nichts sagen.

TR: Weil Sie die Verschlüsselung brachen und damit Ihrem Land im Krimkrieg einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem russischen Gegner bescherten? Ich bitte Sie – Sie haben einen Meilenstein in der Kryptoanalyse gesetzt!

Babbage: Mein junger Herr, lassen Sie mich Ihnen eine wirkliche Neuigkeit anbieten: Ich hege den Gedanken, mein Gehirn nach meinem Ableben der Wissenschaft zu stiften.

TR: Mister Babbage, könnte es sein, dass die Arbeit an Ihren Maschinen nun ihren Tribut fordert?

Babbage: Nein, warum? Ich bin Wissenschaftler und Engländer. ()