Ich muss erfinden

Erfinder vom Rang Konrad Zuses sind rar. Das Verdienst, als Erster Digitalrechner entwickelt zu haben, wurde ihm erst lange nach dem zweiten Weltkrieg zugestanden. Dabei hat er außerdem die erste höhere Programmiersprache erfunden.

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Von
  • Henning Behme
Inhaltsverzeichnis

Zuse-Feierlichkeiten allerorten, fast das ganze Jahr über, von einem Kongress „Zuse 2.0“, den das Land Hessen veranstaltet hat, bis zu diversen Feierlichkeiten am 22. Juni, seinem Geburtstag. Und das nicht ohne Grund. Denn der 100. Geburtstag Konrad Zuses ist es allemal wert, sich an ihn und seine Leistungen zu erinnern – nicht zuletzt deshalb, weil seine Würdigung erst spät, lange nach dem zweiten Weltkrieg einsetzte.

Wahrlich Pech für Zuse, dass seine frühen Berufsjahre in die Dreißiger- und Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts fielen, denn durch das Dritte Reich war ihm der Austausch mit ausländischen Wissenschaftlern verwehrt, was zur Folge hatte, dass er weder Howard Aikens Mark I noch John von Neumanns Architekturforschung oder Alan Turings Arbeit „On Computable Numbers“ kannte. Auf sich gestellt beziehungsweise mit der Hilfe von Freunden und Kollegen hat er zunächst im Wohnzimmer seiner Eltern mechanische Rechenapparate zusammengebaut. Unter widrigen Umständen, nicht zuletzt, was die Beschaffung notwendiger Bauteile angeht, schaffte die kleine Gruppe es, zunächst ein mechanisches Rechenwerk (Z1), später den ersten Digitalrechner (Z3) und danach viele weitere Rechner zu bauen.

Während die US-Regierung die Entwicklung von Computern förderte, galt Zuses Arbeit nicht als kriegswichtig. Er musste auf Förderung verzichten und froh sein, über weite Strecken eine Unabkömmlichkeitserklärung zu bekommen, sodass er statt an die Ostfront zu müssen weiter arbeiten konnte. Und wie nebenbei hat er 1945 geheiratet und mit seiner Frau Gisela fünf Kinder in die Welt gesetzt.

1970 hat Zuse eine Vorfassung seiner Autobiografie veröffentlicht, die Springer seit 1984 in einer aktualisierten Form anbietet [1]. Darin beschreibt der Autor akribisch, wann er an welchem Rechner gearbeitet hat, darüber hinaus: mit welchen Versorgungsschwierigkeiten, vor allem in den Kriegsjahren, er zu kämpfen hatte.

Unauffällig lässt Zuse die Motivation für seine Arbeit einfließen. Aus des Schülers Experimentieren mit dem Stabilbaukasten entwickelt sich das Interesse am Ingenieurwesen. Gleichzeitig zeichnet der junge Zuse viel, vor allem Karikaturen, von denen einige in seiner Autobiografie enthalten sind. Die Entscheidung fällt letztlich allerdings für die Technik.

Rainer Maria Rilkes „Briefe an einen jungen Dichter“ vom Anfang des 20. Jahrhunderts beeindrucken den Studenten. Darin fordert Rilke von einem angehenden Schriftsteller, sich zu fragen, ob er wirklich schreiben müsse. Zuse begreift dies als wichtig für alle kreativen Menschen und entscheidet für sich, dass er erfinden muss. Das beginnt in der Schulzeit und setzt sich ein Leben lang fort.

Mit der noch in Berlin gebauten Z4 muss Zuse gegen Ende des Krieges eine gefährliche Reise nach Göttingen, später ins Allgäu unternehmen, um sie und sich zu retten. Dort beginnt er nach dem Krieg erneut, indem er bei Füssen ein Ingenieurbüro und später in Neukirchen beziehungsweise Bad Hersfeld (Hessen) die ZUSE KG gründet.

Mehr Infos

Konrad Zuse

1910

  • 22. Juni: Konrad Ernst Otto Zuse in Berlin geboren

1935

  • Abschluss des Ingenieurstudiums mit Diplom

1936 – 1938

  • Bau der Z1, eines mechanischen Rechenwerks auf der Basis binärer Zahlen

1941

  • 12. Mai: Vorstellung der Z3, des erstenprogrammierbaren, auf Binärbasis arbeitenden Digitalrechners

1942 – 1946

  • Entwicklung des Plankalkül, der ersten höheren Programmiersprache

1945

  • Heirat mit Gisela Brandes. Das Ehepaar bekommt in der Folgezeit fünf Kinder.

1956 – 1961

  • Entwicklung des Graphomaten (Z64), eines durch Lichtstreifen gesteuerten Zeichentisches, und Vorstellung auf der Hannovermesse

1969

  • Veröffentlichung von „Rechnender Raum“ – über den digitalen Charakter des Universums

1995

  • 18. Dezember: Zuse stirbt in Hünfeld bei Fulda

Wäre er Mitte der Vierzigerjahre bekannter gewesen, hätten ihn die US-Behörden nach dem Krieg sicherlich wie Wernher von Braun in die Vereinigten Staaten zu locken gewusst. Da die Computerei aber als US-Domäne galt, gab es hierfür keinen Grund.

Zuse hat deshalb in den Fünfzigerjahren in Deutschland weitere Maschinen, immer mit dem Z am Anfang, entwickelt und verkauft, bis er seine Firma schließlich aufgeben musste, weil der Kapitalbedarf zu hoch war, als dass er ihn, selbst mit Bankenhilfe, bewältigen konnte. Brown, Boverie & Cie. übernahm die ZUSE KG 1964, seit 1967 gehört sie zur Siemens AG.

Seine Arbeit war damit nicht beendet, denn nun hatte er Zeit und ausreichend Geld, den in den Vierzigerjahren entwickelten Plankalkül, die erste höhere Programmiersprache, weiterzuentwickeln. Eine diesbezügliche Veröffentlichung im Jahre 1972 konnte sie aber nicht mehr durchsetzen, denn mittlerweile war die Entwicklung anderer Sprachen so weit fortgeschritten, dass niemand den Plankalkül ernsthaft übernehmen wollte.

In den Sechzigerjahren begann Zuse, sich auf die Malerei zu konzentrieren, er malte oft Ölbilder berühmter Zeitgenossen. Und er beschäftigte sich wieder mit Ideen aus den Vierzigerjahren: ob das Universum nicht ein gigantischer Computer sei. Damals waren solche Gedanken nicht mehrheitsfähig, heute dürften sie einen frühen Beitrag zur modernen Physik darstellen. Seinen ersten Aufsatz zum rechnenden Raum hat Spektrum der Wissenschaft 2007 in ein diesbezügliches Sonderheft aufgenommen.

Nicht viele Computerei-Ikonen haben es „geschafft“, zu einem Romanhelden zu mutieren. Ein fiktives Gespräch im Hessischen, das ein Journalist mit ihm führt (wobei fraglich ist, wer da führt), hat Friedrich Christian Delius in „Die Frau, für die ich den Computer erfand“ [2] zu einem Porträt Zuses verwoben, das einige Aspekte des Erfinders und Erfindens hervorhebt. Die Frau im Titel ist Byrons Tochter Ada Lovelace, die Mitarbeiterin Charles Babbages, die als erste Programmiererin gilt. Und was Zuse in seiner Autobiografie nur kurz erwähnt – Rilkes „Ich muss“ und das Faustische im Erfinder – steht hier im Zentrum. Nicht der schlechteste Einstieg in die Beschäftigung mit Zuse.

Wer sich wundert, dass unter zuse.de nicht Konrad, sondern Horst zu sehen ist: Es handelt sich um den ältesten Sohn des Computererfinders. Er hält auf seiner Website viele Informationen zum Vater vor.

[1] Konrad Zuse; Der Computer – Mein Lebenswerk; Berlin, Heidelberg (Springer) 1984 und später

[2] Friedrich Christian Delius; Die Frau, für die ich den Computer erfand; Berlin (Rowohlt) 2009

iX-Link: www.ix.de/ix1007100 (hb)