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Immun gegen die Impfung

Nike Heinen
Immun gegen die Impfung

(Bild: Shutterstock)

Infektionsforscher beschäftigen sich mit einer beunruhigenden Frage: Verliert die Medizin eine ihrer wirksamsten Waffen? Besiegt geglaubte Krankheiten tauchen plötzlich wieder auf – trotz Impfung.

Die Hühner im beschaulichen Düppel müssen keine Eier legen oder besonders viel Fleisch ansetzen. Sie geben nur ihr Blut. Es wandert, fest verschlossen in kleinen Plastikhütchen, vom Stall auf Jakob Trimperts Labortisch. Der Tierarzt arbeitet im Institut für Virologie an der Freien Universität Berlin. Er sucht in den roten Tropfen nach Erbgutabschnitten, die das Geheimnis eines unsichtbaren Feindes bergen.

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Es geht um das Marekvirus, den Killer der Hühnerhöfe. Und darum, wie diese Viren immer wieder Impfstoffe austricksen. "Dieses Virus hat schon ein paar Impfstoffgenerationen überwunden", sagt Trimpert. "Wir möchten verstehen, warum es das so mühelos schafft und wie man verhindern könnte, dass es dabei immer gefährlicher wird."

Die Mareksche Krankheit ist gerade für junge Hühner fatal. Sie stecken sich an, wenn sie die pulverisierten Hinterlassenschaften ihrer Artgenossen einatmen. Dicht besetzte Ställe sind nach etwa vier Wochen fast leergefegt. Nur jedes fünfte Hähnchen überlebt die Krankheit. Denn das Virus kapert ausgerechnet die Zellen, die eigentlich für seine Beseitigung zuständig sind: Sobald sich eine Immunzelle, egal welchen Typs, mit ihm befasst, wird sie infiziert.

Die Viren schleusen ihre Gene in die DNA der Zelle ein und sorgen dort so lange für Vervielfältigung des eigenen Genmaterials, bis das Immunsystem des Vogels zusammenbricht. Als in den 1960er-Jahren der erste Impfstoff eingeführt wurde, waren die Hühnerbarone glücklich. Aber nur 20 Jahre später war Marek zurück. Mit einem neuen Stamm, der auch geimpfte Hühner tötete.

Immun gegen die Impfung

(Bild: Technology Review, Shutterstock)

Ein weiterer Impfstoff kam, angeblich viel besser als der alte. Doch diesmal dauerte es nur zehn Jahre, bis neue Viren da waren. Heute versucht man es mit Impfstoff Nummer drei. Wie lange noch? Bereits 2013 schaffte es ein Marekvirus im chinesischen Shandong, 40 Prozent aller geimpften Hühner einer Massentierhaltung zu töten. Die Impfstoffe werden nicht besser. Die Viren schon.

Die heutigen Versionen der Krankheitserreger töten ungeimpfte Tiere schneller und in viel größerer Zahl als jene der 1907 erstmals von dem Veterinärmediziner Josef Marek beschriebenen Krankheit. Ist das ein Einzelfall? Kaum etwas macht Impfexperten derzeit so nervös wie diese Frage. Sollten auch andere Impfungen Viren oder Bakterien aggressiver machen, sollten gar Erreger betroffen sein, die Menschen infizieren, werden sich Impfgegner sofort auf diesen Zusammenhang stürzen. Die Impfraten – schon jetzt bei einigen Infektionskrankheiten wie Masern auf gefährlich niedrigem Niveau – könnten generell weiter sinken.

Nimmt also die Geschichte der Marekschen Erkrankung die Zukunft anderer Impfungen vorweg? Trimpert antwortet vorsichtig. "Auf jeden Fall ist das Marekvirus ein Beispiel für eine ungewöhnlich rasante Evolution, und die Impfung ist höchstwahrscheinlich der Motor seiner Entwicklung." Das belegte er gerade im Fachmagazin "Evolutionary Applications", indem er das Genpaket auseinandernahm, das die Viren umhertragen. Die DNA enthält alles, was Marek für seine Attacke auf Hühnerzellen braucht. Trimpert entwickelte eine Evolutionskarte des Virenerbguts, die 100 Millionen Virengenerationen – von 1940 bis heute – umfasst.

Dabei verglich er vier besonders gefährliche der aktuell kursierenden Stämme mit 18 Stämmen aus der Vergangenheit. An zwölf Abschnitten fand der Virologe eine auffällig hohe Verwandlungsaktivität. Bei den meisten handelt es sich um sogenannte Transkriptionsfaktoren. Sie enthalten die Baupläne für Proteine, die Weichen im Stoffwechsel der befallenen Hühnerzellen neu stellen. Weg von dem, was die Zellen so tun sollten, hin zu dem, was das Virus für seine Vermehrung benötigt.

Immer wenn ein neuer Impfstoff eingeführt wurde, tauchten kurz danach vermehrt neue Varianten dieser Steuereinheiten auf, noch effektiver darauf ausgerichtet, die Wirtszelle auf Linie zu bringen. Trägt ein Erreger solche Gene, spielt es keine Rolle mehr, ob Antikörper nach dem Eindringling fahnden. Bevor sie das Virus eliminieren können, überschwemmen schon neue Viren aus den umprogrammierten Zellen das Blut.

Dass die Erreger gerade die Antikörper so zielgerichtet austricksen können, ist bedenklich: Die großen Abwehrmoleküle standen bisher immer im Mittelpunkt der Impfstoffentwicklung. Sie werden als Teil der Immunreaktion des Körpers passgenau zu einzelnen Oberflächenmolekülen von Krankheitserregern zusammengebaut. Sobald die Antikörper dort binden, ist der Eindringling markiert, Immunzellen erkennen ihn und greifen an. Für neue Impfstoffe ist deswegen der sogenannte Immobilisierungstest die Nagelprobe: Die Forscher überprüfen, ob die nach der Impfung gebildeten Antikörper fest genug an das Pathogen binden, um es eindeutig zu markieren. Nicht untersucht wird, ob ein Erreger Fähigkeiten hat, mit denen er das Markiersystem nach einiger Zeit umgehen könnte.

"Irgendwie gingen immer alle davon aus, dass Evolution bei Impfungen keine Rolle spielt", sagt Andrew Read, Leiter des Zentrums für die Dynamik von Infektionskrankheiten an der Pennsylvania State University. "Tja, tut sie aber. Und heute sind wir alle live dabei beim größten Experiment, das die Evolutionsforschung je veranstaltet hat."

Zoologe Read interessiert sich für das feine Gleichgewicht, das sich in Jahrmillionen zwischen dem Erreger und seinem angestammten Wirt eingependelt hat. "Natürliche Selektion führt dazu, dass Pathogene niemals extrem tödlich werden", sagt Read. "Denn am besten können sie sich dann ausbreiten, wenn die meisten ihrer Wirte die Infektion überleben."

Read glaubt nun, dass die Impfstoffe diese Spielregeln ändern. "Geimpft wird ja, um den tödlichen Ausgang der Erkrankung zu verhindern", sagt er. "Das bedeutet, dass der Wettbewerbsnachteil, den zu aggressive Erreger normalerweise haben, wegfällt." Besonders schädlich zu sein, wird jetzt zum Vorteil: Wer schnell den Sprung in die Wirtszelle schafft und dort besonders verheerend wirkt, vermehrt sich unter den Bedingungen einer Impfung am besten. Ihr eigentliches Potenzial zeigen diese Viren erst, wenn sie auf Ungeimpfte treffen: Ihre hochgerüsteten Kontrollgene können sie zu gnadenlosen Killern machen.

Für Read ist Marek kein Einzelfall, sondern ein Hinweis auf die Zukunft. Er fürchtet, dass sich die Menschheit gerade nur ein paar Jahrzehnte Ruhe vor ihren alten Feinden verschafft. In trügerischer Sicherheit wiegen uns die Erfolge, mit denen die Geschichte der Immunisierung aus der Spritze begann. Trügerisch, denn am Anfang standen Sonderfälle der Evolution: Die frühen Impfstoffe zielten auf Krankheiten, die man nur einmal im Leben haben kann, wie Masern oder Pocken. Diese Erreger haben sich offenbar auf nicht immunisierte Individuen spezialisiert und so Tricks zum Umgehen der Immunabwehr verlernt. Wer sie überlebt, erlangt lebenslängliche Immunität – und wer gegen sie geimpft wird auch. Gerade der bei Impfgegnern so unbeliebte Schutz gegen Masern ist nach allem, was man heute weiß, beruhigend evolutionsfest.

Die meisten anderen Infektionen sind wohl nur bedingt für Impfungen geeignet. Denn die Erreger verfügen über ein breites Repertoire an Strategien, mit denen sie die Front aus Antikörpern unterlaufen und so den eigentlich schon immunisierten Wirt ein weiteres Mal anfallen können. Vom Grippevirus ist die Strategie bekannt: Es verändert immer wieder seine Außenansicht, damit es die Antikörper nicht aufspüren können. Andere lenken das Immunsystem ab: Es gibt zum Beispiel Bakterien, die gezielt die Kommunikation der Immunzellen stören. Manche Viren tragen Ablenkungsmoleküle auf ihrer Oberfläche.

"Wir haben kein generelles Problem mit Impfungen", betont Read. "Wir haben ein Problem bei den Erregern, die mit dem Immunsystem interagieren können." Denn für sie ist es ganz naheliegend, auf diesen Weg zu setzen, wenn alle anderen verbaut sind. Der Wissenschaftler sammelt solche Beispiele: "Es gibt immer mehr Erreger, die auf die Impfungen mit Anpassungen reagieren", sagt er. Auch Standardimpfungen für Menschen sind betroffen: Hepatitis-B-Viren und Pneumokokken-Bakterien haben sich seit der Zulassung der Impfungen vor 20 Jahren verändert.

Am Anfang fielen vor allem die veränderten Zelloberflächen auf, mit denen sie sich vor den Impf-Antikörpern tarnten. Inzwischen gibt es auch Fälle, in denen solche getarnten Erreger auch aggressiver sind. Die südostasiatischen Mutanten der Hepatitis-B-Viren, mit denen sich auch Geimpfte anstecken können, verursachen viel häufiger Leberkrebs als altbekannte Varianten. Oder die neuesten Vertreter gegen die Speicheldrüseninfektion Mumps: Gegen sie werden die Kinder seit fast 60 Jahren geimpft. Seit etwa zehn Jahren können einige Viren einerseits den Impfschutz umgehen und sich andererseits gefährlich erfolgreich auf die Hirnhäute ausdehnen.

Auffällig ist: Bei all diesen Impfstoffen entsteht entweder keine dauerhafte oder keine vollständige Immunität. Mal nimmt wie bei Mumps der Impfschutz nach Jahrzehnten plötzlich ab – oder die Impfung verhindert nicht die Ansteckung, sondern unterdrückt nur den Krankheitsausbruch, wie bei der Marekschen Krankheit. Ein besonders beunruhigendes Beispiel ist Keuchhusten. Das Bakterium Bordetella pertussis befällt die Schleimhaut der Atemwege und löst heftigen Husten mit starker Atemnot aus. Das Impfen begann vor fast 80 Jahren, inzwischen sind 82 Prozent aller Menschen geimpft. Trotzdem gibt es jährlich 16 Millionen neue Fälle. Und es sterben vor allem Kinder – rund 200.000 im Jahr.

Bisher galt in der Seuchenforschung als ausgemacht, dass diese Ausbrüche von der Großelterngeneration verursacht wurden. Das schwächer werdende Immunsystem der Senioren zusammen mit einer vielleicht nicht vollständig wirkenden Impfung würde für ein gefährliches Reservoir der Bakterien sorgen. Gesundheitsbehörden wie das Robert Koch-Institut empfahlen deswegen ab 2009 eine zusätzliche Keuchhusten-Impfung im Erwachsenenalter. Trotzdem kam es zu weiteren Ausbrüchen. Teils gingen sie auf veränderte Bakterienvarianten zurück.

So war es auch bei dem bislang größten Ausbruch in Großbritannien 2012. Fast 10.000 Personen erkrankten, eine Epidemie, die 14 Kinder nicht überlebten. Dafür verantwortlich war ein Bakterienstamm, der in seinem Erbgut eine Mutation am sogenannten Pertussis-Toxin-Promoter trug. Schon damals vermuteten Forscher der Universität Bath, dass sich die Bakterien als Reaktion auf die Impfung aufgerüstet hatten: Denn der Promoter reguliert, wie viel sogenanntes Pertussis-Toxin die Bakterien freisetzen. Der Stoff wirkt wie eine molekulare Nebelkerze und hindert Immunzellen daran, den Weg zu den Keuchhustenbakterien zu finden.

Auffallend ist, dass mit diesen neuen und neuartigen Keuchhustenfällen ausgerechnet die gut versorgten Industrieländer zu kämpfen haben. In den Entwicklungsländern Afrikas hingegen hält die Impfung die Krankheit gut unter Kontrolle, trotz hygienischer Probleme. Eine Erklärung wäre Evolution: In der westlichen Welt hatten die Bakterien Jahrzehnte mehr Zeit, Strategien gegen den Impfschutz zu entwickeln.

Für einige Experten hat die Beweiskette jedoch Lücken. "Es gibt zwar Hinweise auf eine Evolution der Bakterien", sagt Pejman Rohani, Populationsbiologe an der Universität von Georgia. "Aber ihre Assoziation mit der Impfung ist alles andere als eindeutig." Rohani ist ein Mann der Zahlen. Er sucht seit 2010 in den Daten der Gesundheitsbehörden, in Impfraten und Krankenregistern nach den Ursachen der neuen Ausbrüche. Seiner Einschätzung nach ist es noch zu früh, um bei Keuchhusten von impfstoffgetriebener Evolution zu sprechen.

"Bisher habe ich keine zwingenden Beweise für Selektion als Ergebnis der Impfung gesehen", meint er. Denn dafür müsse man wissen, ob an den schweren Erkrankungen und Todesfällen tatsächlich Bakterienarten mit veränderten Toxinen beteiligt waren – und das hat noch niemand untersucht. "Mehr Toxin muss nicht mehr Tote heißen", argumentiert der Epidemiologe. "Genauso ist es möglich, dass diese Veränderung nur zu mehr leichten Erkrankungen führt."

Ein Keuchhustenausbruch im US-Bundesstaat Massachusetts bot die Gelegenheit, seine These zu testen. Die Gesundheitsbehörde dort führt besonders sorgfältige Register zu Krankheitsfällen und Impfraten. Für den Zahlenmann Rohani ein Glücksfall. Er brachte diese Daten erstmals mit einer Untersuchung zur Häufigkeit von Generationenkontakten zusammen. Das Resultat seiner Berechnungen war, dass zumindest dieser Bundesstaat wohl eher ein Problem mit dem Impfschema als mit immunschwachen Senioren und wild gewordenen Bakterien hat: Nach den ersten drei Impfungen bis zum ersten Lebensjahr waren die Kleinen vollständig geschützt.

Am Ende der Grundschulzeit nahm dieser Schutz bei einigen Kindern plötzlich wieder ab. Sie konnten diejenigen Säuglinge anstecken, die noch nicht vollständig geimpft waren. "Diese Impflücke hat den Ausbruch verursacht", sagt Rohani. "Sie war uns unbekannt, und man könnte sie mit einer einfachen Auffrischung schließen."

"Nicht zu impfen ist keine Lösung", sagt Read. "Impfungen retten viele Leben. Nur sollten wir aufhören, sie als Wundermittel zu betrachten. Fangen wir endlich an, uns mit der Resistenzlage zu beschäftigen – wie bei den Antibiotika!" Schon lange ist bekannt, dass Bakterien bei der Behandlung mit keimtötenden Medikamenten neue Fähigkeiten entwickeln, mit denen sie den Angriff der giftigen Keule überstehen können. Doch während es hier möglich ist, die Wirkstoffe nur noch sparsam und gezielt einzusetzen, braucht es bei Impfungen eine andere Strategie.

Denn schließlich sind sie die einzig mögliche Vorsorge gegen lebensgefährliche Krankheiten. Nach Reads Meinung sollte man den Erregern durch möglichst hohe Impfraten möglichst viele Wirte und damit die Chance auf Evolution nehmen. Virologe Trimpert plädiert zusätzlich für ein Überwachungssystem, das gezielt nach impfresistenten Stämmen fahndet. "Außerdem sollten wir uns frühzeitig um Reserveimpfstoffe kümmern, damit die schon da sind, wenn es zu neuen Ausbrüchen kommt."

Welche Erreger sind betroffen?
Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut legt fest, welche Impfungen nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand die Menschen in Deutschland im Laufe ihres Lebens erhalten sollten. Zurzeit werden 14 Impfungen ab dem Kindesalter und eine Impfung für Senioren (gegen Influenza) empfohlen. Die Tabelle zeigt, welche dieser Impfungen ihre Wirksamkeit zu verlieren scheinen.*
Krankheit Hinweise auf impfstoffgetriebene Evolution?
Diphtherie (Corynebacterium diphtheriae)

Geimpft wird seit 1923
Ja – aber offenbar sind die Bakterien zahm geworden. Der Grund: Die Immunisierung beruht auf Antikörpern gegen ein Toxin, das die Bakterien mithilfe eines Parasiten, einem sogenannten Phagen, bilden. Dort, wo geimpft wird, tragen immer mehr Bakterien diesen Phagen nicht mehr, können kein Toxin bilden – und richten weniger Schaden an.
Grippe (Influenzavirus A, Influenzavirus B)

Geimpft wird seit 1945
Die Viren verändern sich sehr stark, sie können sogar zwischen verschiedenen Wirtsarten – Menschen, Vögeln, Schweinen – wechseln. Der Einfluss der Impfung ist dabei wahrscheinlich vernachlässigbar – sie muss ohnehin jedes Jahr neu zusammengesetzt werden.
Hepatitis B (Hepatitis-B-Viren)

Geimpft wird seit 1994
Ja. Neue Stämme können sich auch unter Geimpften verbreiten.
Erkrankte bekommen häufiger Leberkrebs.
HIB (Haemophilus
influenza Typ B)
Bisher keine Hinweise für die aktuelle Impfung.
HPV (Humane Papillomviren)

Geimpft wird seit 2006
Zu früh für ein Urteil. Da sich die Viren aber von Haus aus manipulativ gegenüber dem Immunsystem verhalten, sollte gezielt nach neuen Varianten unter Geimpften gesucht werden.
Keuchhusten (Bordetella pertussis)

Geimpft wird seit
ca. 1945
Ja, wenn ihnen das Impfschema zu große Spielräume lässt. Denn bei Kindern verhindert der Impfschutz nur wenige Jahre effektiv die Ansteckung. Ob die neuen Stämme virulenter sind, wird gerade untersucht.
Kinderlähmung (Polioviren)

Geimpft wird seit 1955
Ja. 2010 brach die Kinderlähmung in Kongo auch unter Geimpften aus. Die neuen, impfresistenten Polioviren haben seitdem einen Namen: VDPV – vaccine-derived polioviruses. Sie konnten sich vor allem in Ländern mit geringen Impfraten entwickeln. Inzwischen gibt es diese Varianten auch in Syrien und der Ukraine. Unklar ist, ob sie gefährlicher sind.
Masern (Masernviren)

Geimpft wird seit
ca. 1960
Nein. Wer Masern einmal hatte, bekommt sie nicht mehr – das scheint auch bei der Impfung so zu sein.
Meningokokken C (Neisseria meningitidis)

Geimpft wird seit
ca. 1970
Bisher keine Hinweise.
Mumps (Mumpsvirus)

Geimpft wird seit 1967
Die Impfung schützt nur eine Zeit lang vor Ansteckung. Umstritten unter Experten ist zurzeit, ob die Ausbrüche nur auf eine Impflücke zurückgehen – oder ob die Viren durch Veränderungen an ihrer Hülle der Immunantwort entgehen.
Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae)

Geimpft wird seit 1977
Es kursieren über 100 verschiedene Stämme der Bakterien, die Impfung deckt nur wenige davon ab. So führt das Impfen langfristig dazu, dass sich die Zusammensetzung der Bakterienpopulation ändert. Es gibt Indizien, dass die Bakterien in geimpften Ländern aggressiver werden könnten.
Röteln (Rötelnvirus)

Geimpft wird seit 1969
Nein.
Rotaviren (Rotaviren)

Geimpft wird seit 1998
Ja. Bisher gibt es aber keine Hinweise auf eine größere Gefährlichkeit.
Windpocken (Varizella-Zoster-Virus)

Geimpft wird seit 1995
Evolution ist denkbar, denn die Impfung verhindert bei den Geimpften nur schwere Verläufe, nicht die Ansteckung mit dem Virus.
Wundstarrkrampf
(Clostridium tetani)

Geimpft wird seit 1924
Bisher keine. Allerdings sind das Bakterium und die Immunität dagegen noch kaum erforscht.
*) Quelle: Literaturrecherche in Pubmed, Stichwörter u.a. „vaccine driven evolution“, „vaccine-escape“/„immune-escape“/„vaccine-derived mutants“

(bsc [5])


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