Immunität der Bevölkerung verlangsamt die Pandemie in Teilen der USA

Die große Anzahl von Covid-19-Infizierten in den USA könnte in den schwer betroffenen Bundesstaaten langsam für ein Abbremsen der Ausbreitung sorgen.

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Immunität der Bevölkerung verlangsamt die Pandemie in Teilen der USA

Wegen Corona geschlossen.

(Bild: Photo by Edwin Hooper on Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Antonio Regalado

Millionen US-Bürger haben sich mit dem Sars-CoV2-Virus infiziert, das Covid-19 verursacht, und mehr als 170.000 sind bereits an der Infektion gestorben. Die extrem hohe Zahl der Betroffenen, die die Krankheit durchgemacht haben, scheint nun den Pool der anfälligen, also noch nicht infizierten Personen in vielen Gebieten so weit verkleinert zu haben, dass sich die Pandemie dort zu verlangsamen scheint. Viele Infektionsexperten nehmen derzeit an, dass Menschen nach der Infektion zumindest für einige Monate immun werden und sich dann nicht nochmal anstecken und das Virus auf andere übertragen können.

„Ich glaube, dass die erheblichen Epidemien in Arizona, Florida und Texas genügend Immunität erzeugen werden, um die Kontrolle von COVID-19 aufrechtzuerhalten“, twitterte Trevor Bedford, ein Pandemieanalyst an der University of Washington, am 7. August. „Dieses Maß an Immunität ist jedoch noch nicht mit einer vollständigen Rückkehr zu jenem gesellschaftlichen Verhalten vereinbar, wie es vor der Pandemie existierte.“

Was aber führte zu der Annahme, dass sich die Pandemie durch die hohen Infiziertenzahlen langsamer ausbreiten könnte? Bekannt ist, dass nach einem seit Mai andauernden, alarmierenden Anstieg neuer Covid-19-Fälle ihre Zahl in einigen Staaten wie Florida wieder fällt. Ein Teil davon mag auf das Abstandhalten zu anderen zurückzuführen sein. Doch laut dem freiberuflichen Informatiker Youyang Gu von Covid19-Projections, dessen Modellierungen zu jenen 34 Pandemiemodellen gehören, die die US-Zentren für Kontrolle und Prävention von Krankheiten (CDC) verfolgt, sind auch steigende Immunitätsraten ein Faktor. Zumindest bis zum Vorhersage-Horizont seines Modells im Herbst, so glaubt Gu, „wird es in den südlichen Bundesstaaten keinen weiteren Anstieg von Infektionen geben.“

Forscher hoffen nun, genau bestimmen zu können, wie groß die Rolle des Immunitätsanstiegs ist. „Mit abnehmender Anfälligkeit sinkt eindeutig die Ausbreitung von Krankheiten“, sagt der Statistiker Tom Britton, der die Pandemie an der Universität Stockholm modelliert. „Die Frage ist, inwieweit der Effekt auf Interventionen und inwieweit auf Immunität beruht. Für Regionen mit sehr großen Ausbrüchen – New York, Mailand, Madrid und London – bin ich überzeugt, dass es eine Kombination ist.“

Ein Virusausbruch wird irgendwann auch ohne Kontrollmaßnahmen nicht weiter wachsen, wenn jene Schwelle erreicht wird, die als Herdenimmunität bezeichnet wird. Dann sind so viele Menschen immun, dass das Virus nicht schnell genug neue Wirte finden kann. Für das neue Coronavirus ist die Schwelle allerdings unbekannt. Die Schätzungen variieren stark zwischen zehn und 80 Prozent, je nachdem, wie stark sich das Virus verbreitet, aber auch wie stark soziale Faktoren wie Kontaktdichte der Menschen unter normalen Bedingungen hineinspielen.

Der Begriff Herdenimmunität ist längst zum Blitzableiter in politisch polarisierten Debatten über die wirtschaftliche Wiedereröffnung geworden. In den sozialen Medien bestehen einige Kommentatoren darauf, dass die Herdenimmunität bereits erreicht ist und damit Lockdowns und Schulschließungen nicht nötig seien. Andere sehen genug Gründe für Zweifel daran, dass die Herdenimmunität ohne Impfstoff erreichbar sei, und warnen, dass das Verlassen darauf zu Millionen von Todesfällen führen kann.

„Wenn die Krankheit selbst eine Herdenimmunität verursacht, geschieht dies effizienter als wenn wir zufällig Impfstoffe abgeben“, sagte Marc Lipsitch, ein Modellierer für öffentliche Gesundheit an der Harvard University, dem politischen Experten Bill Kristol letzte Woche in einem Podcast-Interview. Der Grund dafür ist, dass das Virus genau diejenigen Menschen gefunden und infiziert hat, die – ob nun aufgrund ihres Verhaltens, Umstände oder ihrer Biologie – höchstwahrscheinlich Teil von Übertragungsketten sind. Sobald diese Personen infiziert sind und durch Tod oder Immunität nicht mehr in die Berechnung einfließen, ist die Auswirkung auf die Pandemie übergroß. Im Gegensatz dazu könnte die Impfung einer geschützten älteren Person diese Person schützen, tut jedoch relativ wenig, um die Übertragung zu stoppen. In dieser Gleichung sind allerdings die langanhaltenden und zum Teil schweren Nachwirkungen bei einigen Überlebenden nicht mit enthalten.

Trotzdem könnte laut Britton ein besseres Verständnis darüber, wie die Immunität der Bevölkerung Ausbrüche beeinflusst, dazu beitragen, das Ausmaß und die Intensität sozialer Interventionen besser zu bestimmen. Das Ziel sei, die Reproduktionszahl R für das Virus unter dem Wert von eins zu halten. Das bedeutet, dass jeder Infizierte im Schnitt weniger als eine weitere Person ansteckt. Unter diesen Bedingungen schrumpft ein Ausbruch.

„Herdenimmunität ist, wenn alle Einschränkungen gelockert werden können und Sie immer noch unter 1 sind“, sagt Britton. „Aber Immunität muss nicht auf diesem Niveau sein, um eine Wirkung zu erzielen.“ In einigen Städten wie New York und Miami zeigen Blutuntersuchungen, dass 20 Prozent oder mehr der Bevölkerung das Virus bereits hatten. In noch wenig betroffenen Regionen wie Kleinstädten oder ländlichen Gebieten bleibt jedoch ein größerer Teil Bevölkerung anfällig. Hier kann und wird das Virus weiterhin neue Ausbrüche verursachen.

Die geografische Ungleichmäßigkeit der Pandemie ist einer der Gründe, warum Britton nicht glaubt, dass Schweden, das keine Lockdown-Maßnahmen verordnet hat, schon zur Normalität zurückkehren kann. „Auf nationaler Ebene ist die Immunität nicht so hoch, sie könnte [erst] 20 Prozent betragen.“ (vsz)