Impfung durch die Nase

So genannte Nanoemulsionen sollen zu neuen Waffen im Kampf gegen HIV, Hepatitis B und zahlreiche andere Erreger werden.

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Von
  • Jocelyn Rice

Nanoemulsionen aus klitzekleinen Sojaöltröpfchen, die mit Teilstücken von Krankheitserregern überzogen werden, könnten bald herkömmliche Impfverfahren wie Injektionen oder orale Aufnahme ablösen. Der Impfstoff wird dabei ganz einfach in das Naseninnere getupft. "Die Technik ist bei einer Anzahl verschiedener Krankheiten enorm viel versprechend", sagt Mansoor Amiji, Co-Direktor des "Nanomedicine Education and Resarch Consortium" an der Northeastern University, der sich seit längerem mit dem Thema beschäftigt.

Das Grundkonzept stammt eigentlich aus der Kosmetikindustrie, wo solche Emulsionen entwickelt wurden, um Hautcremes das leichtere Durchdringen von Poren und Haarschäften zu ermöglichen. Und genau diese Eigenschaft macht die Technik nun auch für Impfstoffe so interessant, erläutertJames Baker, der in den letzten Jahren an der Anpassung der Technik für den Medizinbereich gearbeitet hat und zu den Topforschern auf dem Gebiet gehört. Er leitet das "Michigan Nanotechnology Institute for Medicine and Biological Sciences" an der University of Michigan.

Jeder der klitzekleinen Öltröpfchen, die nur einen Durchmesser von 200 Nanometern haben, trägt auf seiner Oberfläche entweder den gesamten oder nur einen Teil des Krankheitserregers, der mit dem Impfstoff bekämpft werden soll. Wenn die Nanoemulsion in die Nase gelangt, graben sich die Tröpfchen tief in das Schleimhautgewebe und werden von Immunzellen aufgenommen, die sich dendritische Zellen nennen. Es erfolgt anschließend eine direkte Immunreaktion durch diese Zellen.

Die meisten traditionellen Impfstoffe benötigen hingegen einen Hilfsstoff, um das Immunsystem ausreichend zu stimulieren, um wirklich eine bleibende Immunität zu erzeugen. Zerschnittene oder anderweitig außer Kraft gesetzte Erreger reichen dafür nicht aus. Da die Nanoemulsion die Erreger jedoch direkt zu den dendritischen Zellen bringt, sind solche das Stimuli nicht mehr nötig, wie Baker sagt.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Durch die Gabe in die Nase wird die Immunität nicht nur in der Blutbahn erzeugt, sondern eben auch im Schleimhautbereich von Riechorgan, Mund, Lunge und Urugenitalbereich. Und genau diese Gewebearten dienen oft als erste Barriere gegen Infektionen, was die neue Impfmethode bei einer breiten Zahl von Krankheiten nützlich macht.

Beispiel HIV: Beim Aids-Erreger zeigen jüngste Studien, dass sich das Virus insbesondere direkt nach der Infektion in der Genitalschleimhaut stark repliziert. Eine deutliche Immunantwort in diesem Bereich würde diese wohl unterbinden und das Virus verlangsamen oder sogar stoppen, bevor es die Blutbahn erreicht. "Das Beste, was man tun kann, ist HIV am Eintrittspunkt zu neutralisieren", meint Baker, noch bevor es im Körper Fuß fassen könne. In einer Studie beschreibt der Forscher denn auch, wie im Tierversuch eine Nanoemulsion eine HIV-Immunität im Genitalschleimhautbereich von Mäusen erzeugen konnte.

"Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem viele Forscher ihre Impfansätze in Sachen HIV überdenken", sagt Baker. Fehlschläge gibt es genug – zuletzt kam es zu Schwierigkeiten bei den ersten Tests am Menschen mit dem Experimental-Impfstoff V520 vom Anbieter Merck. Doch jenes neuerliche negative Ergebnis aus dem vergangenen September ist nur eines in einer langen Serie. Baker glaubt nun, dass sein Ansatz, bei dem die Abwehr direkt im Schleimhautbereich wirksam werden kann, die Suche nach einem funktionierenden HIV-Impfstoffkandidaten neuen Auftrieb geben könnte.

Trotz der interessanten Erkenntnisse aus Bakers Studie seien Mäuse allerdings kein gutes HIV-Modell, gibt Amiji zu bedenken. Die Technologie müsse zunächst im Test an Primaten und später auch am Menschen bestehen. Die Nanoemulsionstaktik löse zudem nicht ein zentrales Problem bei HIV: Dass sich das Virus so schnell verändere.

Baker setzte in seinem Versuch deshalb ein HIV-Protein ein, das sich normalerweise nicht weiterentwickelt und deshalb in ähnlicher Form in den meisten Stämmen der Krankheit vorkommt. Dies könnte dem Immunsystem erlauben, selbst hochgradig angepasste Varianten des Virus zu erkennen.

Neben der Forschung an HIV-Impfstoffen eignet sich die neue Technologie auch bei anderen Krankheiten – und hat das Potenzial, etwa die Impfung gegen Pocken radikal zu verändern, weil dort dann keine lebenden Viren mehr notwendig wären. Obwohl die gefährliche Seuche vor Jahrzehnten ausradiert wurde, sind doch noch große Impfstofflager vorhanden, die eventuell eine Bioterrorismusgefahr darstellen. 2002 kündigte US-Präsident Bush deshalb an, bestimmte Militärkräfte und wichtige Personen aus der Gesundheitsvorsorge vorsorglich zu impfen. Doch die Sicherheit bestehender Impfstoffe gilt als umstritten.

Jede Pocken-Impfung setzt auf ein Virus namens Vaccinia, eine weniger gefährliche Variante des Pockenerregers, der aber ähnlich genug ist, um eine passende Immunreaktion hervorzurufen. Soll der Körper eine Pocken-Infektion überstehen, ist die wichtigste Komponente des Immunsystems die so genannte zelluläre Immunität, bei der infizierte Zellen erkannt und zerstört werden. Da bestehende Impfstoffe ein lebendes Vacciniavirus benötigen, um eine ausreichende zelluläre Immunität herzustellen, kommt es nicht selten zu teils starken Nebenwirkungen. Aus diesem Grund verweigerten sich viele der Personen, die die US-Regierung eigentlich impfen lassen wollte.

Bei der Nanoemulsion sähe das anders aus. Diese tötet das Vacciniavirus durch die zerstörerische Oberflächenspannung der verwendeten Öltröpfchen, die eine gut wirksame antimikrobielle Lösung darstellen. Weil nun aber die toten Viren direkt zu den dendritischen Zellen gelangen, erfolgt die zelluläre Immunität laut Baker doch. In seinen Experimenten konnte er zeigen, dass so geimpfte Mäuse plötzlich Dosen von Vaccinia vertrugen, die bei ungeimpften Tieren tödlich waren.

"Wir unterbinden die Virenreplikation vollständig, erhalten aber trotzdem die starke Immunantwort, die man sonst bei einer Infektion mit einem lebendigen Virus erhielte", sagt Baker. "Das ist die beste aller möglichen Welten."

Die neuen Pocken- und HIV-Erfolge erweitern das Repertoire an Krankheiten, für die sich Nanoemulsions-Impfstoffe eignen könnten – obwohl sie bislang noch nicht am Menschen getestet wurden. In einer früheren Arbeit zeigte Baker die Effizienz der Technik bei der Impfung gegen Influenza und Milzbrand bereits an Tiermodellen. Er arbeitet derzeit außerdem zusammen mit der Stiftung von Bill und Melinda Gates an einem neuen Impfstoff für Hepatitis B. Nanoemulsionen eignen sich besonders gut für Länder der Dritten Welt, weil ihre Proteinbestandteile stets stabil bleiben, weder Nadeln noch teure Inhalatoren notwendig sind und die Impfstoffe auch hohe Temperaturen überleben. Baker glaubt, dass Studien am Menschen mit seinem neuen Hepatitis B-Impfstoff bereits Ende 2008 beginnen könnten. (bsc)