Innovationsfindung per Algorithmus

Ein Start-up analysiert Patente, Investments, Tweets und diverse andere Datenquellen, um das "nächste große Ding" im Bereich Forschung und Entwicklung zu ermitteln.

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Von
  • Jim Giles

Ein Start-up analysiert Patente, Investments, Tweets und diverse andere Datenquellen, um das "nächste große Ding" im Bereich Forschung und Entwicklung zu ermitteln.

Per Definition sind "disruptive" Technologien eigentlich solche, die die Welt unvorbereitet treffen. Das kalifornische Start-up Quid will nun mit Hilfe einer speziellen Software vorab herausfinden können, was das sein könnte. Dazu analysieren eigens entwickelte Algorithmen Daten über bestehende Firmen, Ideen und Forschungsergebnisse.

In den vergangenen 18 Monaten hat Quid dafür ein System entwickelt, das die Beziehungen zwischen existierenden Techniken analysiert und Bereiche identifiziert, in denen einflussreiche neue Ideen entstehen könnten. "Unser Ziel ist es, die technische Welt zu kartographieren, um zu verstehen, wo es künftig weitergehen könnte", erklärt Sean Gourley, Technikchef bei Quid. Für einen menschlichen Beobachter seien diese Felder mittlerweile zu unübersichtlich geworden.

Die Software von Quid soll beispielsweise Geldgebern bei Frühphaseninvestitionen helfen, mehr erfolgreiche Unternehmen auszuwählen und bestehenden Firmen dabei unterstützen, potenziell lukrative Forschungsbereiche zu identifizieren.

Quid hat dazu eine Datenbank aufgebaut, die Informationen über zahlreiche Start-ups und ihre Erfolge und Misserfolge enthält. Außerdem werden Patentdokumente und Daten über die Vergabe von Fördermitteln erfasst. Selbst Jobanzeigen und Tweets will Quid auswerten. Diese Infosammlung wird schließlich verwendet, um die Aussichten von rund 35.000 Firmen und Forschergruppen zu ermitteln, die an neuer Technik arbeiten.

Praktisch heißt das, dass mit semantischen Algorithmen Wörter und Formulierungen aus den gesammelten Dokumenten extrahiert werden, um ein sogenanntes Technikgenom zu schaffen, das den Hauptfokus jeder der 35.000 in der Datenbank befindlichen Entitäten umfasst. Eine Kartendarstellung mit den Verbindungslinien zwischen diesen Eigenschaftsgruppen kann dann von Investoren genutzt werden, um interessante Firmen und Ideen zu entdecken, sagt Gourley. Die meisten Entitäten "clustern" sich dabei um etablierte Sektoren, doch einige finden sich auch in noch unausgefüllten Nischen zwischen Hauptclustern. Diese wertet Quid dann als mögliche Ausgangspunkte für Innovationen.

Eine Karte, die Quid für Technology Review aufbereitete, zeigte beispielsweise das Unternehmen superDimension, das sich genau zwischen den Clustern für Medizin- und Navigationstechnik befindet. Die Firma entwickelt Geräte aus dem Bereich der Bronchoskopie, mit der Lungen und Bronchien untersucht werden. Dabei nutzt sie einen ähnlichen Ansatz wie GPS-Chips: Mindestens drei Referenzpunkte werden verwendet, um zu untersuchende Bereiche zu triangulieren.

Selventa, eine junge Pharmafirma aus Cambridge, Massachusetts, befindet sich wiederum im Segment zwischen neuer Werbetechnik und der Genomik. Die Firma analysiert große Mengen an Patientendaten mit Ideen, wie sie sonst nur von Internetfirmen für personalisierte Reklame eingesetzt werden.

Natürlich ist der Grad, mit dem eine Firma eine Nische zwischen zwei Trendbereichen belegt, keineswegs Garant für einen Erfolg. Quid erfasst deshalb auch Trends wie die Investments, die eine Firma erhält oder wie viele Patentanträge ein Labor gestellt hat. Außerdem wird überprüft, ob andere Unternehmen in die Nische vorstoßen. Gibt es irgendwo Wachstum, bleibt ein Feld nämlich nicht lange unterbesetzt. Quid hofft auf längere Sicht, ein Modell zu entwickeln, das den Grad der Genauigkeit einer Vorhersage erfasst. "Wir sind gerade dabei, ein Notensystem einzurichten", sagt Gourley.

Ajay Royan von der Investmentfirma Clarium Capital aus San Francisco testet Quid gerade aus, um interessante neue technische Bereiche zu identifizieren. Besonders spannend findet er dabei die Fähigkeit der Software, Verbindungen zwischen scheinbar voneinander unabhängigen Forschungsbereichen zu identifizieren. Fortschritte im Energiebereich hingen beispielsweise von Entwicklungen in den Materialwissenschaften ab. Quid könne hier Start-ups oder Forschungslabore auffindbar machen, die dieses Verbindungsglied darstellten. "Die Software macht die Knoten im Techniknetzwerk deutlich", sagt Royan, "das hilft uns, Beziehungsgeflechte zu identifizieren".

Noch sei es aber noch zu früh, zu sagen, ob Quid die Erfahrung von Risikokapitalgebern eines Tages ersetzen könne. Eine Symbiose zwischen Mensch und Algorithmus sei aber wahrscheinlich. "Die Auswahl durch den Experten sollte davon nicht ersetzt, sondern ergänzt werden." Die Möglichkeit, mehr Daten in höherer Bandbreite vorzusortieren, sei aber eine echte Chance für solche Werkzeuge.

Gourley hat für Quid mittlerweile acht "Beta"-Kunden versammeln können, will aber noch keine Namen nennen. Zwei davon nutzen Quid für ihre Investmentstrategie, die anderen setzen die Software ein, um neue Forschungsbereiche zu identifizieren. (bsc)