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Interview: "Neuer Maut-Plan ist realistischer"

Sascha Mattke

Hat die Lkw-Maut noch eine Chance? Jetzt schon eher, meint ein Experte für Verkehrsprojekte, aber eigentlich ist sie grundsätzlich falsch angelegt.

Sollte sie tatsächlich noch schief gehen, wird sie wohl als eine der peinlichsten Pleiten in die deutsche Wirtschaftsgeschichte eingehen: Die elektronische Erhebung der LKW-Maut durch das Konsortium Toll Collect. Technology Review aktuell sprach mit Hans Wilhelm Alfen, Professor für Betriebswirtschaftslehre im Bauwesen an der Bauhaus-Universität Weimar, über Probleme, Systemfehler und Konsequenzen.

Alfen verfügt über mehr als 15 Jahre Berufserfahrung in Planung, Finanzierung, Bau, Unterhaltung und Betrieb von Infrastrukturanlagen insbesondere im Verkehrsbereich. Er war bisher in rund 25 Ländern Europas, Afrikas, Asiens und Lateinamerikas tätig. Bevor er im Juli 2000 an der Bauhaus-Universität begann, war er sieben Jahre lang bei der Hochtief Projektentwicklung GmbH (HTP) als Geschäftsbereichsleiter Projektentwicklung "Infrastruktur" beschäftigt.

Technology Review: Herr Professor Alfen, das Mautkonsortium Toll Collect hat sich überraschend doch noch mit der Bundesregierung geeinigt. Glauben Sie, das für den Zusammenschluss aus DaimlerChrysler und Deutscher Telekom tatsächlich nun realistische Chancen bestehen, die Maut doch noch zu einem Erfolg zu machen?

Alfen: Ich bin zumindest guter Hoffnung, das es klappen kann. Der Fahrplan, den man nun verabschiedet hat, ist wesentlich realistischer, als der vorherige, auch scheint man ja nun auf die Forderungen aus dem Verkehrsministerium nach Haftung eingegangen zu sein. Das zeigt, dass man auch selber daran glaubt, zu den Zusagen stehen zu können. Die wirkliche vertragliche Situation kenne ich natürlich nicht.

Technology Review: Wie gut vorbereitet sind Konsortien Ihrer Erfahrung nach wirklich, wenn Sie solche Aufträge annehmen? Wie viel ist "Show", wie viel Substanz?

Alfen: Wenn die Ausschreibung und die vertragliche Situation professionell vorbereitet und die Unternehmen entsprechend aufgestellt sind, kann und wird sich keiner der Beteiligten eine "Show" leisten wollen. Bei dem Mauterhebungssystem als neuer Technologie gab es natürlich außergewöhnliche Risiken, die man nicht vorhersehen kann. Andererseits werden ähnliche Techniken seit 1994 getestet, beispielsweise auf der Autobahn zwischen Köln und Bonn. Insofern hätte da auf beiden Seiten ausreichend Sensibilität vorhanden sein müssen. Spätestens eine klare, durch entsprechende Sanktionen abgesicherte Risikoverteilung hätte die Wahrheit darüber, was geht und was nicht geht, rechtzeitig an den Tag gebracht. "Show" kann sich dann keiner mehr leisten.

Genau dies scheint aber bei Vertragsschluss nicht gewollt oder zumindest nicht gelungen zu sein. Ich sehe da aber eine "unheilige Allianz" aus Politik und Industrie: Die Politik wollte kurz vor der Wahl noch den Milliardensegen verheißenden Maut-Erfolg verkünden, nachdem Jahre vorher das Wort "Maut" nicht in den Mund genommen werden durfte. Entsprechend leidenschaftslos wurde die Technologieentwicklung seit 1994 vorangetrieben.

Dann entstehen eben Verträge wie diese, die das Papier nicht wert sind, auf denen Sie gedruckt sind. Einerseits kann man solche Verträge natürlich unterschreiben, auch wenn man weiß, dass man die Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann. Rechtlich gibt es ja keine Handhabe. Andererseits hätte man von professionellen Unternehmen wie Telekom und DaimlerChrysler nicht erwartet, dass sie eine solche "Show" mitspielen. Nun ist der Imageschaden für Politik, Verwaltung und Wirtschaft, ja für den gesamten Technologiestandort Deutschland groß.

Technology Review: Wie hoch ist die Kompetenz in den Fachbehörden wie dem Bundesverkehrsministerium? Können sie derart neuartige Angebote wie die digitale Maut überhaupt realistisch vergeben?

Alfen: Wer sonst soll ein solches Projekt auf den Weg bringen. Natürlich sollte sich ein schlanker Staat nicht mit technischer Detailkompetenz belasten Dazu gibt es externe Berater. Aber die erforderliche Managementkompetenz muss der Staat schon aufbringen. Genau daran fehlt es allerdings. Zu viele vom Staat in den letzten Jahren initiierten Großprojekte sind entweder viel zu teuer geworden oder sind gescheitert. Ich denke nur an den Transrapid oder den immer wieder verschobenen Großflughafen Berlin Schönefeld. Vor dem Hintergrund meiner umfangreichen Auslandserfahrung behaupte ich einmal, dass Länder wie England oder Frankreich diesbezüglich einfach besser sind.

Technology Review: Was ist mit dem guten Ruf der deutschen Ingenieure?

Alfen: Ich bin mir nicht sicher, ob die Ingenieure wirklich die Projekte verschulden. Technologisch ist das System enorm ehrgeizig. Das erfordert eine seriöse Entwicklungsarbeit, das heißt entsprechend Kapazitäten und Zeit. Wenn diese Bedingungen aus den oben genannten Gründen nicht erfüllt werden können kann ein Projekt eben nur nach hinten losgehen. Offensichtlich hat man dann ab irgendeinem Zeitpunkt nach dem Prinzip Hoffnung gelebt. Als ich die siegessicheren Ankündigungen der Verantwortlichen im Herbst letzten Jahres - noch wenige Tage vor dem endgültigen Eingeständnis - hörte, habe ich auch gedacht: Na toll, die haben tatsächlich das schier Unmögliche geschafft. Aber leider war das Prinzip Hoffnung eher ein Hasardeur-Spiel.

Technology Review: Wird der Ruf von Public-Private-Partnerships durch Probleme wie bei der Maut ruiniert?

Alfen: Leider ist es so, dass das stark im Zusammenhang gesehen wird. Dinge werden vermengt, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Nach der weit beachteten Veröffentlichung des Bundesgutachtens "PPP im Hochbau" durch Minister Stolpe titelte eine renommierte Wirtschaftszeitung am anderen Tag "Stolpe verlangt nun Maut für Schulen". Außerdem ist das Mauterhebungssystem mit seiner komplexen neuen Technologie eher ein Beispiel aus dem Lehrbuch für Projekte, die für PPP-Modelle völlig ungeeignet sind. Ein wesentliches Anliegen von PPP ist die Etablierung von Anreizstrukturen durch eine ausgewogene aber klar definierte Risikoverteilung. Das macht sie zum Beispiel in England, aber auch in vielen anderen Ländern zur Erfolgsstory. Wenn die Risiken aber nicht bekannt beziehungsweise sogar nicht einmal erkennbar sind, kann man sie auch nicht benennen, quantifizieren und geeignet zuordnen. Feste Leistungs- und Zeitzusagen kann man nur vor dem Hintergrund konkreter Erfahrungen machen.

Technology Review: Toll Collect riecht recht stark nach "New Economy" - einer Ära, in der auch viel versprochen, aber fast nichts gehalten wurde.

Alfen: Das sehe ich nicht. Wir reden ja schließlich nicht von Luftblasen sondern von Technologiekonzernen, die international wohl zu den anerkanntesten auf ihren Gebieten gehören. Die zur Abdeckung der gesamten Wertschöpfungskette - von der Entwicklung über die Realisierung bis zum Betrieb aller das Gesamtsystem "Lkw-Mauterhebung" ausmachenden Elemente - notwendigen Kompetenzen werden durch die Sponsoren in Toll Collect eingebracht.

Vom "Viel Versprechen und nichts halten" kann man im Übrigen leider auch nicht reden. Das Maut-Konsortium hat ja eben fast nichts versprochen und musste somit auch nichts halten. Ein echter Risikotransfer hat ja eben gerade bisher nicht stattgefunden. Nun geht man offensichtlich so vor, wie man es am besten zu Anfang gemacht hätte: Schrittweise, mit Übergangslösungen und angestrebten Zwischenergebnissen. Da bin ich optimistischer.

Technology Review: Wie muss man sich die Koordinierung bei Projekten dieser Größe vorstellen? Sind diese mit derlei vielen Einzelteilen überhaupt adäquat zu managen?

Alfen: Es gibt sicherlich noch wesentlich komplexere Projekte, die nicht so dilettantisch auf den Weg gebracht wurden. Schauen Sie doch mal in die Raumfahrt! Bei allem Respekt vor der Komplexität des Mauterhebungssystems. Bewältigen lässt sich das sicher. Nur erfordert es die notwendige Konsequenz, politische Rückendeckung und eben offensichtlich mehr Zeit.

Technology Review: Eine ähnliche Riesenpleite scheint der "Virtuelle Arbeitsmarkt" der Bundesanstalt für Arbeit zu sein. Hier wundern sich Experten, wie hoch die Fachbehörde die Kosten angesetzt hatte, ohne dass jemand anmerkte, dass sich solche Projekte heutzutage wesentlich günstiger finanzieren lassen. Oder sieht es "von innen" dann ganz anders aus?

Alfen: Die Fachbehörden müssen wissen, was so etwas kostet oder sich kompetente Berater suchen, die wirklich unabhängig in Ihrer Meinungsbildung sein können und sollen. Die sind aber in Deutschland viel zu häufig "Hoflieferanten". Die Behörden begreifen Berater als verlängerten Arm, der ihnen das bestätigt, was sie selbst schon zu wissen glauben oder als politische Vorgabe verstehen. Hier muss sich die Mentalität ändern. Wir brauchen selbstbewusstere, fachlich versierte Berater und Behörden mit Managementkompetenz.

Interview: Ben Schwan (sma [1])


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