Interview: Über die Start-up-Szene und was das neue Jahr bringen mag

Darüber, was die Voraussetzungen und Entwicklungen in der deutschen Start-up-Szene so besonders macht, haben wir mit Dominik Gross gesprochen.

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Coworking Space mit vielen Notizzetteln im Hintergrund

(Bild: Founders Foundation)

Lesezeit: 10 Min.
Inhaltsverzeichnis

Fachkräftemangel, wenig Kapital und eine Konjunkturflaute führten 2023 zu einem geschwächten Markt. Kürzlich haben die Founders Foundation und der 2012 in Berlin gegründete Startup-Verband zusammen den Startup-Monitor über die Wirtschaftsregion Ostwestfalen-Lippe herausgebracht. Wir haben mit Dominik Gross, Mitgründer und Geschäftsführer der Founders Foundation (FF) – die Tech Start-ups ausbildet und unter anderem bei der Hinterland of Things Conference mit Mittelständlern vernetzt – über aktuelle Entwicklungen der Startup-Szene gesprochen.

(Bild: FF)

Wie sieht die Start-up-Landschaft in Deutschland aus?

In Deutschland gibt es zwei bekannte Startup-Hotspots: Berlin und München. Auch in Hamburg oder beispielsweise Köln tut sich Start-up-technisch einiges, genauso wie in der Region Ostwestfalen-Lippe. Allein die Tatsache, dass wir in Deutschland von mehreren Hotspots sprechen, ist schon sehr besonders.

Zu den Start-up-Ökosystemen, die noch sehr jung und im Wachstum sind, zählt auch eine Region wie Ostwestfalen-Lippe dazu. Für eine optimale Weiterentwicklung der Ökosysteme brauchen wir eine solide Datenbasis, um die Entwicklung und den Wirkungskreis eines Ökosystems zu verstehen. Der Anteil von Berlin als Hauptstadt am deutschen Bruttoinlandsprodukt ist im Vergleich zu anderen europäischen Hauptstädten und Ländern eher gering: Der Anteil am BIP von Stockholm – Schwedens Hauptstadt - ist da beispielsweise bedeutend größer. Auch in Frankreich zeigt der Anteil von Paris am BIP, wie zentralisiert die Wertschöpfungskette ist. Deutschland ist da anders, wie die Zahlen zeigen: hier findet alles sehr dezentral statt und die Wertschöpfung entsteht in der Fläche.

Das heißt, wir müssen auch den Anspruch haben, dass sich Innovation und Technologie dezentral entwickelt. Um diese Entwicklung zu erkennen – und fördern zu können - müssen wir wissen: Wo entwickelt sich was gut und wo entwickelt sich das Gleiche weniger gut. Nur so können wir voneinander lernen, Synergien nutzen und unsere Stärken gebündelt für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands einsetzen.

Was ist an OWL besonders? Die Landwirtschaft?

Tatsächlich ist die Region eine Art Reallabor für die Fläche und Industrie Deutschlands. Es gibt hier nicht genau diesen einen technologischen Schwerpunkt. OWL ist vielfältig. Zu dieser Vielfalt zählt natürlich auch die Landwirtschaft, mit Agrar-Industrieunternehmen wie Claas zum Beispiel, vor allem aber auch der Bereich Maschinenbau, der hier eine lange Tradition hat.

Dann gibt es einen großen Sektor der Automatisierer, das sind die Hidden Champions wie Phoenix Contact, die Milliarden Umsätze machen, aber die tatsächlich weniger bekannt sind. Und gibt es Unternehmen wie Dr. Oetker in der Foodbranche oder große Vertreter der Baubranche wie Hagedorn und Goldbeck.

Insgesamt haben wir neun verschiedene Industrie-Cluster und nicht nur eines wie beispielsweise Stuttgart, das vor allem von Automobil- und Zulieferindustrie geprägt ist. Die Region OWL wird nicht umsonst das "Herz des deutschen Mittelstands" genannt. Hier sind bis heute viele familiengeführte Industrie-Unternehmen mit langer Tradition beheimatet. Wenn also B2B-Startups und -Technologien hier in der Region von Unternehmen und dem Markt angenommen werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihr Produkt natürlich auch von anderen Unternehmen angenommen wird. Hier gibt es einen Querschnitt entlang der industriellen Wertschöpfungskette über sämtliche Branchen hinweg, die sich gerade mit der digitalen Transformation beschäftigen. Ein spannendes Pflaster also, wenn man aus verschiedenen Sektoren Kunden im B2B-Bereich gewinnen will.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Wir haben zum Beispiel ein bereits etabliertes Start-up: Valuedesk. Die haben sich auf Einsparungen im Einkaufsbereich spezialisiert. Jedes Unternehmen – egal ob Automobilzulieferer, Maschinenbauer, Automatisierung oder Lebensmittelindustrie – hat eine große Abteilung, die für den Einkauf von Waren, etwa Rohstoffen für die Produktion, zuständig ist. Früher wurde das immer mit Excel gemacht. Mit Valuedesk gibt es jetzt eine spezielle Software, die das vereinfacht.

Nach der ersten Testphase bei uns im Ökosystem erschließen lokal ansässige Startups oftmals schnell mindestens die DACH-Region. Wenn ein B2B-Start-up in Bielefeld funktioniert – weil die Region hier so industriell geprägt ist – dann geht das auch im Rest von Deutschland. Das lässt sich gut transferieren.

Studien zeigen, dass Kooperationen zwischen Mittelstand und Startups hier deutlich besser funktionieren als an anderen Standorten. Wir brauchen eine Antwort darauf, welche technischen Entwicklungen in Deutschland jetzt, aber vor allem auch in Zukunft, funktionieren könnten – und wo diese am besten entstehen.

Apropos Zukunft, die KI-Verordnung ist beschlossen. Sind schon Entwicklungen im Startup-Markt zu erkennen?

Ja. Tatsächlich haben wir mit Aleph Alpha ein Vorzeige-KI-Startup in Deutschland. Hieran lässt sich gut die Erfolgs-Kombination aus Risikofinanzierung in der Frühphase und Kooperationen mit etablierten Unternehmen wie beispielsweise SAP, Bosch oder Schwarz-Gruppe ableiten. Das Produkt kann direkt in die industrielle Umsetzung kommen. Es gibt also auch europäische Antworten auf OpenAI.

Das auf den E-Commerce-Bereich spezialisierte Start-up Vision AI, ein Alumnus aus unseren Programmen, hat beispielsweise vor kurzem eine Finanzierung in Höhe von fünf Millionen Euro erhalten, die wachsen gerade stark. Der Markt ist interessiert daran, eigene, europäische Lösungen im KI-Bereich aufzubauen, denn KI-Startups aus Europa gelten mit Blick auf die Risiken der Technologien und die Datensouveränität als seriös und sicher.

Bei dem hohen Finanzierungsbedarf und Investmentrisiken dieser neuen Technologiefelder und -Startups ist politische Unsicherheit, wie zuletzt zum Beispiel rund um die Haushaltsdiskussion, Gift.

Ist das ein Grund, warum die Investitionen zurückgegangen sind?

Mit Sicherheit auch. Politische Unsicherheit ist ein klassischer Auslöser von Zurückhaltung in der Startup-Szene. Dann schauen die Menschen mit Gründungspotential in der Regel nämlich erstmal auf ihre individuelle Sicherheit und kündigen ihren Job dann vielleicht doch nicht, um sich selbstständig zu machen. Oder wenn sie aus der Hochschule kommen, nehmen sie vielleicht doch erstmal den sicheren Job an, bevor sie sich in die Gründung stürzen.

Die Zahl der Gründerinnen ist geringer als die der Gründer. Sind Frauen da weniger risikobereit?

Nein, das ist mir zu einfach. Es gibt viele inspirierende Beispiele von Gründerinnen in Deutschland, die als großartige Vorbilder vorangehen! Eine der bekanntesten davon ist sicherlich Verena Pausder, die sogar gebürtig aus einer Unternehmerfamilie in Bielefeld kommt und mittlerweile nicht nur Unternehmerin, Investorin eines Frauen-Fußball-Clubs in Berlin - sondern auch neue Vorstandsvorsitzende des deutschen Startup Verbandes ist (und damit Christian Miele, ebenfalls aus unserer Region, nachfolgt). Aber auch Elisabeth L‘Orange ist ein tolles Beispiel als Gründerin des KI Startups Oxolo, das sich gerade erst eine grosse Finanzierung gesichert hat!

Allgemein müssen wir in Deutschland früher ansetzen, um schon Jugendliche und Studenten für Unternehmertum zu begeistern. Da kommt Schulen und Universitäten eine besondere Verantwortung zu, damit eben nicht klassische Karrierepfade eingeschlagen werden, sondern Gründungsbegeistere frühzeitig gefördert werden.

Welche weiteren Bereiche gibt es noch, von denen Sie sprachen?

Wenn wir in den B2B-Bereich schauen, müssen wir das ganze Thema Künstliche Intelligenz einen Schritt weiterdenken. Wir nennen das Productivity, weil der ganze Bereich Automation und Robotics und weitere da auch mit hineinspielen.

Ein zweiter Bereich ist das ganze Thema Industrial Tech. Da geht es vor allem darum, dass Deutschland Industrieland bleibt. Die Frage ist: Haben wir eine Zukunftsstrategie, die sich auch wirklich trägt? Wir arbeiten bereits heute daran, dass auch die Industrialisierung in Deutschland zukunftsfähig wird, mit allem, was dazugehört.

Der dritte Bereich hängt wiederum sehr eng mit Climate Tech zusammen. Eine Wirtschaft mit Zukunft wird in Deutschland nur funktionieren, wenn wir das CO₂-neutral oder auch klimapositiv hinbekommen.

Der vierte Bereich sind Bildungs-Start-ups. Lebenslanges Lernen und damit die Aus- und Weiterbildung unserer Talente ist Deutschlands wichtigster Rohstoff. Diese vier Themen müssen zusammenpassen, damit eine nachhaltige Wirtschaft wachsen kann.

Gibt es für die Zukunft schon einen Ausblick, welche Themenbereiche nochmal stärker anziehen?

Alle vier Themenbereiche werden sich wahnsinnig entwickeln. Gerade das Thema KI ist erst am Anfang. Die ganzen Themen rund um Robotik und Automation werden wachsen, bei ClimateTech sind wir ebenfalls mittendrin, aber da ist noch viel Luft nach oben.

Bei einer Analyse der Metatrends sehen wir, dass die Bevölkerung in Deutschland auch in den nächsten Jahren weiter schrumpfen wird. Gleichzeitig haben wir bundesweit nur 21 Prozent Gründerinnen und in OWL sogar aktuell gerade mal 9 Prozent. Entsprechend müssen wir den Talentpool erweitern, mit Female-Entrepreneurship und Migration.

Wenn wir die wirtschaftliche Produktivität hochhalten wollen, müssen wir technologisch produktiver werden. Wahr ist aber auch, dass wir dazu Menschen für die Umsetzung brauchen. Wir müssen zum Beispiel die, die bereits im Land sind, besser ausbilden und aktivieren. Andere Länder haben das schon begriffen und sind uns hier schon weit voraus, indem sie zum Beispiel bereits in der Schule praxisnah agieren oder Unternehmertum und Technologie auf den Lehrplan setzen. Oder in dem sie bürokratische Hürden rund um Gründungen minimiert und Prozesse digitalisiert haben.

Für die Gestaltung der Zukunft müssen wir uns in Deutschland endlich von alten Denkmustern lösen, internationaler und langfristiger denken. Wir müssen aufhören uns auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen und Sätze wie "das haben wir aber schon immer so gemacht" vergessen. Außerdem tut uns eine Portion Mut und Positivität garantiert auch gut: Herausforderungen nicht wegzureden, sondern zu sagen: Ja, das wird nicht leicht und trotzdem legen wir los.

(mack)