Ist kontaktloses Bezahlen problematisch für soziale Randgruppen?

In den USA und anderswo setzen immer mehr ÖPNV-Systeme auf Kartenzahlungen oder NFC. Für arme Menschen und Minderheiten kann das zum Problem werden.

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(Bild: MTA)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Rachel del Valle
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Es gibt immer noch Teile großer ÖPNV-Systeme, in denen Münzen und Geldscheine akzeptiert werden. Doch heutzutage sieht man in fast jeder Großstadt Fahrgäste, die sich den Fahrschein in Bus und Bahn gleich per Handy kontaktlos holen.

Dieser Wandel hat sich schnell vollzogen. Wie bei so vielen Dingen, die die Verbraucher vor der Pandemie als unnötig kompliziert abgetan haben – QR-Codes, Abholung von Bestellungen in Einzelhandelsgeschäften ("Click & Collect"), Lieferung einfacherer Lebensmitteln aus dem Supermarkt –, hat sich auch die berührungslose Fahrpreiserhebung als praktisch erwiesen und ist vielerorts zur Normalität geworden, sei es nun in London, Tokio oder New York.

Doch was bedeutet dieser Fortschritt für die weniger privilegierten Fahrgäste – diejenigen ohne Smartphone oder Kreditkarte? Immerhin: Bargeld wird wahrscheinlich in einigen Ecken der Verkehrssysteme erhalten bleiben, sagt Candace Brakewood, Professorin für Bau- und Umwelttechnik an der University of Tennessee in Knoxville. Das liegt manchmal aber nur an staatlicher Regulierung.

In den USA sorgt die Verkehrsverwaltung Federal Transit Administration dafür, dass von großen städtischen Verkehrsnetzen verlangt wird, dass alle vorgeschlagenen Tarifänderungen keine unverhältnismäßigen Auswirkungen auf einkommensschwache Fahrgäste haben – sowie solchen, die Minderheiten angehören. Die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen könnten sogar helfen, es dieser Gruppe zu erleichtern, den ÖPNV zu nutzen.

Während viele Bussysteme mit dem Verkauf von Fahrscheinen im Fahrzeug experimentieren, müssen die Betreiber in den USA beispielsweise ihre Fahrscheinautomaten-Netze ausbauen, zu denen sowohl Automaten auf der Straße als auch solche in Drogerien und kleinen Läden zählen. In New York City, wo im größten ÖPNV-Netz der USA zuletzt das kontaktlose Zahlen von Fahrten gestartet wurde, läuft dies bereits.

Die Stadt stellt gerade von den dünnen MetroCards mit Magnetstreifen auf "OMNY" um, ein kontaktloses System, das Nahfeldkommunikation (NFC) nutzt. OMNY unterstützt "Open-Loop-Zahlungen" – eine spezielle Karte oder App ist nicht erforderlich, um einzusteigen. Stattdessen kann man einfach seine vorhandene kontaktlose Kredit- oder Debitkarte ans Gerät halten oder ein NFC-Smartphone nutzen, auf dem eine Karte hinterlegt ist. OMNY bietet zudem eine "Closed Loop"-Option in Form einer physischen NFC-Karte an, die mit Bargeld aufgeladen werden kann.

In einem Statement teilte der ÖPNV-Betreiber Metropolitan Transportation Authority (MTA) mit, dass sie ihr Einzelhandelsnetz seit der Markteinführung der OMNY-Karten im vergangenen Herbst "stark erweitert" habe und fast 1.000 Partner anführen kann, die die Karten verkaufen und aufladen lassen. Diese Zahl solle vervierfacht werden, sobald das System vollständig aktiv ist, denn noch fehlen einzelne Stationen.

Es ist leicht, die zunehmende Nutzung mobiler Zahlungssysteme als Widerspruch zum egalitären Ethos des öffentlichen Nahverkehrs zu sehen. Aber die Technik kann, wenn alles gut läuft, den Zugang zu Systemen eröffnen, die sonst nur schwer zugänglich wären. "Ich kann mir kaum ein Produkt vorstellen, das schwieriger zu kaufen ist, wenn man in eine neue Stadt kommt, als eine Fahrkarte für öffentliche Verkehrsmittel", sagt Joshua Schank, Managing Principal beim Beratungsunternehmen InfraStrategies und Senior Fellow am UCLA Institute for Transportation Studies. In jeder Stadt muss man anders vorgehen. Funktionieren Kredit- und Debitkarten direkt – und erhält man dafür den jeweils besten Tarif –, kann das Hürden senken.

Schank, der 2015 das "Office of Extraordinary Innovation", ein Büro für Innovationen, beim ÖPNV-System des Los Angeles County gründete und bis Januar dieses Jahres auch leitete, sieht das Endziel in der Zahlungsintegration zwischen Mobilitätssystemen. Das könnten Bike-Sharing, E-Scooter, Busse oder Züge sein – sowohl stadtübergreifend als auch innerhalb der Städte.

Solange nicht jeder ein Handy mit integrierter NFC-Funktion und hinterlegter Kredit- oder Debitkarte hat, bleiben Closed-Loop-Systeme eine Alternative. Dort wird wie eh und je Bargeld akzeptiert, wenn man den passenden Automaten findet – auch wenn man seine Karte zuvor aufladen muss. Nur gut erklärt muss das System sein.

(bsc)