Japan ist Feuer und Flamme

Nach dem Schiefergas-Boom geht das Comeback der fossilen Energien in die nächste Runde: Erstmals haben japanische Forscher erfolgreich ein riesiges Methanhydrat-Reservoir angebohrt. Und schon richten sie ihr Augenmerk auf die nächste hoffnungsvolle Gasquelle.

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Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Nach dem Schiefergas-Boom geht das Comeback der fossilen Energien in die nächste Runde: Erstmals haben japanische Forscher erfolgreich ein riesiges Methanhydrat-Reservoir angebohrt. Und schon richten sie ihr Augenmerk auf die nächste hoffnungsvolle Gasquelle.

Japans Bohrschiff Chikyu (Weltenkugel) ist der stahlgewordene Traum eines jeden Meeresforschers. Das Schiff, für das Japans Regierung im Jahr 2002 rund 600 Millionen Euro bezahlt hat, trägt einen riesigen, 70 Meter hohen Bohrturm in seiner Mitte. Kräftige Turbinen halten es bei Seegang punktgenau auf der Stelle, damit Forscher selbst in sieben Kilometern Tiefe noch bis zu 2000 Meter in den Untergrund bohren können. Eigentlich ist die Chikyu ein Forschungsschiff und soll unser Verständnis des Erdmantels vertiefen. Doch Japans Regierung geht es auch um handfeste wirtschaftliche Interessen. Im März 2013 bohrte das Schiff in der Nankai-Senke, 80 Kilometer südlich der Atsumi-Halbinsel an der Küste Zentral-Japans, erstmals in industrieller Größenordnung einen faszinierenden Rohstoff an, der die nächste Runde der globalen Gasrevolution einläuten könnte: Methanhydrat.

Das brennbare Eis ist eine gar nicht so seltene Laune der Natur. Bei Methanhydrat handelt es sich um sorbetartige Strukturen gefrorener Wassermoleküle. Wie in einem Käfig haben sie in ihrem Inneren Methan eingefangen. Das brennbare Eis bildet sich bei sehr tiefen Temperaturen von minus 80 Grad oder unter sehr hohem Druck, beispielsweise in den Permafrostböden der Arktis. Dort ab 300 Metern Wassertiefe, in den Tropen liegt es noch tiefer, bei 600 Metern. Obwohl es vielen Stellen vorkommt, wurde es aufgrund seiner tiefen Lagen erst 1971 entdeckt und 1997 vor der US-Küste erstmals wissenschaftlich angestochen. Das Methan stammt aus Regionen im Erdmantel, in denen Hitze oder Bakterien organische Masse zersetzen. Die Dichte des Gases ist sehr hoch: Ein Kubikmeter Methanhydrat setzt an der Erdoberfläche 160 bis 170 Kubikmeter Gas frei.

In Japan ist der Jubel groß. "Dies ist ein großer Schritt zur kommerziellen Ausbeutung des Methanhydrats", sagt Koki Nomura in sicherer Entfernung vom Meer. "Andere Länder waren überrascht über das Ergebnis." Nomura muss sich freuen, er ist Beamter im mächtigen Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti). Als stellvertretender Leiter der Öl- und Gas-Abteilung von Japans Behörde für Naturressourcen und Energie ist er für das Projekt verantwortlich. Aber auch Professor Hitoshi Tomaru, Methanhydrat-Spezialist an der Universität Chiba, stimmt Nomura zu. Die Fachwelt schaue mit großem Interesse nach Japan, sagt der Forscher. "Denn Methanhydrat gibt es wahrscheinlich an sehr vielen Stellen auf der Welt."

Und in ungeheuren Mengen. Denn an allen Kontinentalhängen werden die Bedingungen erfüllt, unter denen sich das brennbare Eis formt. Dass in Japan die bislang größten Vorkommen entdeckt wurden, hat die Welt der ständigen Erdbebengefahr zu verdanken. Um die Beben besser verstehen und möglicherweise voraussagen zu können, erforscht Japan seine tektonischen Problemzonen seit Jahrzehnten – und fand dabei ganz nebenbei die Lagerstätten.

Ein Glücksfall, denn das bislang als ressourcenarm geltende Inselreich war stets auf Rohstoffimporte angewiesen. Die Atomkatastrophe von 2011 verschärfte die Lage noch mal dramatisch: Derzeit laufen nur zwei von 50 noch funktionsfähigen Reaktoren. Die abrupte riesige Atomstromlücke musste Japan mit Öl-, Gas- und Kohlekraftwerken füllen, was jährlich mit zig Milliarden Euro zu Buche schlägt. "Strategisch ist die Ausbeutung von Methanhydrat für uns von hoher Bedeutung", erklärt Ichiro Asahina, Chef der Denkfabrik Aoyama Shachu, der 2009 an der Rohstoffstrategie Japans mitgeschrieben hat. Allein das Feld in der Nankai-Senke besitzt genug Methanhydrat, um den Gasbedarf für elf Jahre zu decken. Das jedenfalls schätzt Japans nationale Öl-, Gas- und Metall-Gesellschaft Jogmec, die die Probebohrung geleitet hat. Und um Japan herum wird genug Methanhydrat für die nächsten hundert Jahre vermutet.

Doch lange Zeit war das Land nur ein theoretischer Gasriese, weil unklar war, wie man den Brennstoff fördern sollte. Anders als beim Schiefergas reicht es nicht, das Vorkommen einfach anzubohren, damit das Gas nach oben schießt. Japans Forscher haben mit zwei Methoden experimentiert: Die erste ähnelt dem Fracking, man pumpt heißes Wasser ins Eis, um es aufzutauen. Der erste Test japanischer Forscher im Permafrostboden Nord-Kanadas im Jahr 2002 zeigte jedoch, dass diese Methode nicht zur profitablen Ausbeutung taugt. Der Energieaufwand ist zu hoch, und der Sand verstopft die Pumpen zu schnell.

In der Nankai-Bohrung wurde daher die zweite Methode verwendet, die Druckentlastung. Vom Schiff wurden durch das Rohr große Pumpen ins Bohrloch gelassen, die den Druck im Sorbet von 130 auf 50 Hektopascal senkten, um so die Käfige des Hydrats aufzusprengen. Diese Methode ist billiger und kann mit konventionellen Fördertechniken durchgeführt werden. Täglich befreite das Bohrteam 20000 Kubikmeter Gas aus dem Sorbet, neunmal mehr als in Kanada. Allerdings ist der Erfolg nicht ungetrübt. Eigentlich wollten die Japaner zwei Wochen Gas fördern. Doch wegen schlechten Wetters und Problemen war schon nach sechs Tagen Schluss. Sand hatte die Pumpen verstopft. Aber das Meti ist trotzdem glücklich: "Wir hatten den Druck versuchsweise auch weit tiefer als 50 Hektopascal abgesenkt, die für eine Förderung vorgesehen waren", erklärt Nomura.

Man habe austesten wollen, wann es zu Problemen kommt. Da die Förderung ansonsten gut funktioniert hat, ist er positiv gestimmt. "Unser nächstes Ziel ist, bis 2018 die Technik für eine kommerzielle Gasförderung zur Reife zu entwickeln. In fünf bis zehn Jahren hoffen wir dann, mit den ersten kommerziellen Projekten zu starten." Bei Schiefergas seien zwischen ersten Versuchen und der profitablen Großförderung ganze 30 Jahre verstrichen. Mit einem Zeitraum von 20 Jahren seit der ersten Methanhydrat-Bohrung wäre Japan damit noch sehr schnell.

Zeitgleich will er eine zweite Methanhydrat-Revolution einleiten: die Ausbeutung flach sitzender Vorkommen direkt unter dem Meeresboden. Die haben sich bisher dem Zugriff der Menschheit entzogen, weil sie viel kleiner und instabiler als die tief im Ozeanboden eingeschlossenen Lagerstätten sind. Um sie zu fördern, müssten aber neue Techniken entwickelt werden.

Betraut mit dem Projekt wurde unter anderen Professor Tomaru aus Chiba. In den kommenden Jahren will er in den flacheren Gewässern in der japanischen See nördlich der Präfektur Niigata nicht nur die Vorkommen erfassen, sondern auch ihr Potenzial als Rohstoff bewerten. Der Reiz der flachen Lagerstätten, so Tomaru, läge darin, dass sie viel einfacher zugänglich seien als die tief im Boden gefangenen Reserven. "Besonders interessant am Methanhydrat ist, dass es sich neu bilden kann", sagt er. In den flachen Vorkommen deutlich schneller als in den tiefen. Schließlich produziert die Erde weiter Methangas. Wie schnell sich die Methanhydrat-Vorkommen regenerieren, ist allerdings unklar. Wissenschaftler gehen von Jahren bis Jahrzehnten aus.

Ein Problem, das Tomaru noch lösen muss, sind die Umwelteingriffe bei der Förderung. Schon bei den tief sitzenden Vorkommen gelten Erdrutsche als ein Risiko, das Tomaru allerdings für gering erachtet. Bei den flachen Vorkommen aber ist das Risiko weitaus höher, weil der Meeresboden leichter kollabieren kann als in der Tiefe. Darüber hinaus kann es zu Gasausbrüchen kommen. Die Folge: Das Methan reagiert mit dem Sauerstoff im Meerwasser. Und das raubt den Fischen die Luft zum Atmen.

Die große Preisfrage allerdings ist, ob sich der Methanhydrat-Abbau jemals rechnen wird. Nach einer Kalkulation der Jogmec aus dem Jahr 2004 würde Gas aus dem Eis mit 46 Yen pro Kubikmeter doppelt so viel kosten als damals das Erdgas. "Die Daten sind nicht wichtig, weil inzwischen völlig überholt", meint jedoch Nomura vom Meti. Neue Berechnungen will er noch nicht verraten, aber er gesteht zu, dass man sich noch ein wenig den Kopf zerbrechen müsse, um das brennende Eis wirtschaftlich profitabel zu nutzen. Trotzdem ist Nomura optimistisch, dass es irgendwann klappen wird: "Bei Schiefergas glaubte auch vor zehn Jahren niemand, dass eine wirtschaftliche Förderung möglich sei. Und nun ist es die große Überraschung." Warum sollte es nur beim Schiefergas gelingen? ()