Junges Blut für alternde Gehirne

Als Forscher alten Mäusen das Blut junger Tiere spritzten, stieg deren geistige Leistungsfähigkeit. Ob sich damit auch Demenz beim Menschen behandeln lässt, sollen nun klinische Studien klären.

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Von
  • Christian Honey

An einer viel befahrenen Straße am Rande Münchens fiel im April 2014 einem Streifenpolizisten ein geparkter VW Sharan auf, dessen Hauptuntersuchung mehrere Monate überfällig war. Über das Kennzeichen identifizierte der Wachmann als Besitzer einen 83-jährigen Rentner. Der konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte am Heiligabend des Vorjahres vergessen, wo er sein Auto geparkt hatte, und die Suche längst aufgegeben.

Erinnerungslücken erleben natürlich auch jüngere Personen. Aber mit dem Alter nehmen Anzahl und Heftigkeit solcher Episoden zu. Und bei Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer gehört der Verlust des Kurzzeitgedächtnisses zu den ersten Symptomen. Eine ursächliche Behandlung solcher Demenzen gibt es derzeit noch nicht – es können allenfalls die Symptome verzögert werden.

Wissenschaftler suchen derzeit an der Universität Stanford nach einem ganz anderen Weg, das Erinnerungsvermögen zu erhalten – mit Methoden, die einem Vampirfilm entlehnt sein könnten. Bereits im Jahr 2014 hatten die Forscher zusammen mit dem Team von Saul Villeda von der University of California in Los Angeles (UCLA) einer Gruppe alter Mäuse täglich Blutplasma junger Artgenossen injiziert, also Blutflüssigkeit ohne Zellen wie rote Blutkörperchen. Einer zweiten Gruppe verabreichten sie das Plasma alter Tiere. Nach 24 Tagen mussten beide Mäuse-Seniorengruppen ein Training absolvieren und durch ein Wasserlabyrinth schwimmen, um eine rettende Plattform wiederzufinden.

Die Frage war, ob junges Blutserum das Erinnerungsvermögen der alten Mäuse fördert. Tatsächlich fanden die Tiere die Plattform deutlich schneller, so als wären sie etliche Mäusejahre jünger. "Etwas im Blut der jungen musste die kognitiven Fähigkeiten der alten Tiere verbessert zu haben", sagt Saul Villeda. Die Fähigkeit, sich zu orientieren und neue Erinnerungen zu bilden, hängt vom Hippocampus ab, einer Hirnstruktur, die in beiden Hirnhälften etwa auf Höhe der Ohren liegt. Bei Menschen und Mäusen ist der Hippocampus aber besonders empfindlich gegenüber dem Altern. Hatte das Blutserum junger Mäuse also den Hippocampus der alternden Tiere in ein jüngeres Stadium versetzt?

Dass junges Blut altes Gewebe auffrischen kann, hatten Forscher von der Universität Stanford bereits im Jahr 2005 herausgefunden. In einem an Frankenstein erinnernden Experiment nähten sie je eine alte und eine junge Maus an der Flanke zusammen. An der Schnittstelle zwischen Jung und Alt verbanden sich innerhalb kurzer Zeit die Venen und Arterien der beiden Tiere. Das Blut der jungen Maus floss nun auch durch den Körper der alten Maus und umgekehrt.

Forscher nennen diesen Zustand Parabiose. "Durch Transplantationen wussten wir schon, dass sich die Funktion alten Gewebes verbessert, wenn es von jungem Gewebe umgeben ist", sagt Amy Wagers, Autorin der Studie und heute Stammzellforscherin an der Harvard-Universität. "Mit dem Parabiose-Experiment wollten wir herausfinden, ob auch junges Blut allein diesen Effekt erzielt." Die Vermutung stellte sich als goldrichtig heraus: In den alten Tieren begannen Leber und Muskeln sich wieder wie junges Gewebe zu verhalten: Stammzellen ersetzten schneller geschädigte Zellen, und Entzündungen gingen zurück. Andere Forschergruppen zeigten in den folgenden Jahren, dass sich bei einer Parabiose auch Herz, Bauchspeicheldrüse und Knochen verjüngen.

Im Jahr 2013 dann fand Wagers Team im Blut alter Mäuse, deren Herz sich durch die Parabiose regeneriert hatte, eine mögliche Ursache für den Jungbrunnen-Effekt: Ein Protein namens GDF11 kam in ihrem Blutserum in viel höherer Dosis vor als vor dem Experiment. Und als die Forscher alten Mäusen, statt sie einer Parabiose auszusetzen, nur das Protein injizierten, erholte sich das Herz der Tiere gleichermaßen gut.

Im Jahr 2014 untersuchten Wagers und ihre Kollegen schließlich parallel zu Villeda, ob eine Parabiose auch auf das Gehirn alter Mäuse verjüngend wirkt. Tatsächlich erhöhte sich die Aktivität von Stammzellen, diesmal in der sogenannten subventrikulären Zone. Sie ist neben dem Hippocampus eine der wenigen Bereiche im Gehirn, die neue Nervenzellen herstellen, und versorgt bei Menschen und Nagern unter anderem den Riechkolben damit. Bei einem Unterscheidungstest für Gerüche schnitten die verjüngten Tiere besser ab als ihre Rentnerkollegen – ein erster Hinweis, dass junges Blut die kognitiven Leistungen verbessert. Denn der Riechkolben nimmt nicht nur die Geruchsinformation auf, sondern ist auch wesentlich an deren Verarbeitung beteiligt. Und wieder hatte ein Parallelversuch mit einer täglichen Injektion von GDF11 denselben Effekt auf das gealterte Gehirn.

Könnte die belebende Wirkung von GDF11 auf Stammzellen auch die Ursache für das verbesserte Erinnerungsvermögen alter Mäuse sein, das Saul Villeda beobachtet? Das ist durchaus möglich, sagt er. "Allerdings bewirkt junges Blutserum im Hippocampus von Mäusen viel mehr, als nur Stammzellen zu aktivieren. Seine Parabiose-Experimente zeigten, dass auch in den bereits vorhandenen Zellen Gene aktiviert werden, die neue Verknüpfungen zwischen Nervenzellen fördern." Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, neue Erinnerungen erzeugen zu können. Deshalb vermutet Villeda, dass junges Blut auch solche Gehirnteile regenerieren könnte, in denen keine neuen Zellen gebildet werden.

Was noch hinzukommt: In Wagers und Villedas Parabiose-Experimenten zeigte sich, dass nicht nur verjüngende Faktoren in jungem Blut, sondern umgekehrt auch alterungsfördernde Faktoren in altem Blut eine Rolle spielen: Erhalten junge Mäuse das Blutserum älterer Artgenossen, altern sie rascher. "Es gibt wahrscheinlich Dutzende Faktoren im Blutserum, die in verschiedenen Geweben den Alterungsprozess beschleunigen – und das auch noch von Gewebe zu Gewebe unterschiedlich. Welche es sind und wie genau sie wirken, das müssen wir noch herausfinden", sagt die Harvard-Forscherin. Deshalb müsse man für effektive Behandlungen mehr tun, als lediglich verjüngende Faktoren zu injizieren. "Wir müssten gleichzeitig die Altersfaktoren blockieren", fügt Saul Villeda hinzu.

Wie aber lassen sich diese Erkenntnisse auf den Menschen übertragen? An der Universität Stanford geht in diesen Wochen gerade eine klinische Studie an Alzheimer-Patienten zu Ende, die genau das herausfinden will. Dabei erhielten die Probanden über neun bis zwölf Wochen Blutserum junger Spender und wurden danach auf kognitive und hirnstrukturelle Verbesserungen hin untersucht. Erste Ergebnisse werden in sechs Monaten erwartet. Wie sich die Serumtransfusionen allerdings auswirken, wenn sie über sehr lange Zeit gegeben werden, ist bislang noch nicht bekannt, warnen die Forscher. Sich heute schon Blutserum vom eigenen Enkel abzuzweigen, um nicht dasselbe Schicksal wie der Münchner Rentner zu erleiden, macht also keinen Sinn. "Noch nicht", sagt Villeda. (bsc)