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Jute statt Wüste

Karsten Schäfer

Bremer Wissenschaftler haben ein Verfahren entwickelt, das die Wüsten stoppen soll. Kein Scherz: Das Geheimnis liegt in der Füllung alter Kaffeesäcke.

Der Winter hat das Versuchsgelände mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Auf dem hügeligen Areal der Uni Bremen heben sich kopfkissengroße Buckel vom Boden ab, auf denen dünnes Gras wächst. Aufmerksam betrachtet Hartmut Koehler das winterliche Grün. Doch sein größtes Interesse gilt dem Untergrund, in dem die Gräser wurzeln: Es sind alte Kaffeesäcke, und Koehler will mit ihnen Menschenleben retten.

Das Problem, dessen sich der Forscher am Zentrum für Umweltforschung und Umwelttechnologie (UFT) der Uni Bremen angenommen hat, heißt Desertifikation: Jedes Jahr werden weltweit rund 41000 Quadratkilometer Ackerland zur Wüste – eine Fläche in etwa so groß wie die Schweiz. Nach Angaben des Forschungsverbundes DesertNet sind mehr als 250 Millionen Menschen direkt davon betroffen – langfristig bedroht die Wüstenbildung die Lebensgrundlage von einer Milliarde Menschen. Koehlers Kaffeesäcke sollen diese Entwicklung stoppen helfen.

Je früher, desto besser. Denn Desertifikation vollzieht sich in einer Art Teufelskreis. In Gang gebracht wird sie vor allem durch falsche Bodennutzung, etwa in der Landwirtschaft und der Weidetierhaltung. Die Folgen sind Erosion und so der Verlust der fruchtbaren Muttererde. Der Boden kann dann nur noch wenig Wasser aufnehmen, das Grundwasser sinkt weiter ab, Salze lagern sich an. Dadurch können sich immer weniger Pflanzen halten, und die Erosion nimmt weiter zu. Besonders in Entwicklungsländern ist die Wüstenbildung durch eine falsche Bewirtschaftung der ohnehin oft kargen Böden ein riesiges Problem. Aber auch in Europa gibt es viele Gebiete, die im Sommer mit großer Hitze und Trockenheit zu kämpfen haben und immer wieder von verheerenden Bränden heimgesucht werden. Deren Zahl hat in der vergangenen Zeit stark zugenommen, und Wissenschaftler fürchten, dass auch die Brände zu einer Verschlechterung der natürlichen Funktionen des Bodens beitragen.

Um gegenzusteuern, hat Koehler mit seiner Gruppe "ReviTec" entwickelt. In alte Kaffeesäcke füllen die Bremer ein Substrat aus Sand, Kompost und anderen organischen Materialien. Hinzu kommt ein Wasser zurückhaltender Stoff, ein so genanntes Hydrogel – ein dreidimensionales Polymernetzwerk aus Polyacrylamid, das mehr als das Hundertfache seines Eigengewichts an Wasser speichern kann, aber biologisch abbaubar ist. All diese Zutaten sind im Gegensatz zu natürlichen Böden unbelebt: Selbst bei dem zugefügten Kompost achten die Forscher darauf, dass keine Bodenorganismen in die fremden Ökosysteme eingeschleppt werden.

Vor dem Einsatz hauchen die Forscher den Säcken dann aber doch ein bisschen Leben ein. "Wir besiedeln die Substrate mit für den Standort typischen, also vor Ort gewonnenen Organismen", erklärt Koehler. Die genaue Rezeptur variiert dabei je nach Projekt, bislang sind aber immer bestimmte Pilze mit im Sack, die mit Pflanzen in eine Symbiose treten. In Form der so genannten Mykorrhiza verhelfen die Pilze der Pflanze auch unter schwierigen Bedingungen zu Wachstum. Sie stellen ihr Nährstoffe und Wasser zur Verfügung, verweben den Boden und schaffen so einen Erosionsschutz. Als Gegenleistung versorgen sich die Pilze aus den Wurzeln der Pflanze mit Kohlenhydraten. Auch die Pflanzen liefert ReviTec gleich mit. Sie kommen entweder in Form von Gras- und Kräutersamen direkt in den Sack oder werden als Setzlinge von außen durch die Jutewand gesteckt. Auf den degradierten Böden werden die abgefüllten Kaffeesäcke in Form von Wällen, Halbmonden oder Gittern ausgelegt. Diese Strukturen – von Bauern aus extrem regenarmen Gebieten abgeschaut – halten bei Regen das abfließende Wasser auf.

Dass die Wahl auf Kaffeesäcke gefallen ist, hat nicht nur regionale – die Hafenstadt Bremen ist ein wichtiger Umschlagplatz für den Koffeinlieferanten – Gründe, sondern auch praktische. Neben ihrer leichten Verfügbarkeit spricht für die Säcke, dass sie aus Jute sind und grob gewirkt sind. So lösen sie sich mit der Zeit auf, liefern Nährstoffe und haben so weite Maschen, dass die Gräser bequem durch sie hindurchwachsen können – zugleich aber sind die Säcke so dicht, dass der Inhalt nicht vom Regen weggespült wird.

Zwei Jahre nach dem Auslegen haben die Bodenorganismen die Jute abgebaut, und die natürliche Vegetation hat den Erosionsschutz übernommen. Von den ReviTec-Inseln sollen sich die neu angesiedelten Pflanzen dann weiter ausbreiten, denn die Kaffeesäcke bedecken nur zehn Prozent der verödeten Fläche. Die ReviTec-Säcke selbst sind ein hervorragender Untergrund für neue Gewächse, wie die Forscher von Koehlers UFT-Zentrum mit einer Pilotstudie schon gezeigt haben: In einem mehr als 1000 Hektar großen Gebiet auf Mallorca, das immer wieder von Waldbränden zerstört wurde, ist es den Bremer Biologen gelungen, einheimische Steineichen wieder anzupflanzen. Die Baumart bereitet den Förstern oft arge Probleme – sie wächst nur langsam, und viele der angepflanzten Bäumchen sterben gleich wieder ab. Jeweils fünf bis sieben ReviTec-Säcke haben die Forscher auf einer ehemaligen Waldbrandfläche zu Inseln zusammengelegt und in die Mitte einen Steineichensetzling gesteckt. Ringsherum pflanzten sie weniger anspruchsvolle Ammenpflanzen. Ergebnis: Etwa 80 Prozent der empfindlichen Steineichen überlebten auf dem verödeten Boden.

"Natürlich gibt es bei einer solchen Technologie, die mit der Komplexität des Ökosystems Boden umgeht, noch viele, viele Wissenslücken", räumt Koehler ein. Um herauszufinden, was genau in den Jutesäcken passiert, haben die Forscher des UFT die Versuchsfläche in Bremen eingerichtet. Hier messen sie ständig verschiedene Bodenkenngrößen wie die Temperatur, die Feuchte, die Konzentration von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor, die Anzahl der Raubmilben, die ein wichtiger Bioindikator für die allgemeine Belebung des Bodens sind, und die Entwicklung der Mykorrhiza.

"Wir müssen den Boden erst mal richtig kennen lernen. Wir arbeiten zwangsläufig mit bruchstückhaftem Wissen", sagt Koehler. "Aber es ist an der Zeit, dieses Wissen in Anwendungen wie ReviTec einzubinden. Wir können da nicht fünfzig Jahre warten." In Namibia werden bereits Komponenten von ReviTec erprobt; demnächst startet auch in China, wo ein Drittel des Landes von Wüsten bedroht ist, ein neues Projekt. Viel Zeit haben weder die Forscher noch die verantwortlichen Politiker - und am wenigsten die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten.

Text entnommen aus TR 02/2006. Das neue Heft ist ab dem 28. Januar am Kiosk zu haben. Online im Volltext verfügbare Features finden Sie hier [1]; das Heft können Sie hier [2] bestellen.) (wst [3])


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