KI gegen das Bienensterben

(Bild: Ale Zea / BWKI)
Die Sieger des Bundeswettbewerbs KI stehen fest, den Hauptpreis erhält der technikbegeisterte Hobby-Imker Sebastian Steppuhn für seine clevere Milbenerkennug.
Varroamilben gelten als einer der Hauptgründe für das Bienensterben. Der Schüler Sebastian Steppuhn aus Pforzheim hat einen cleveren Apparat gebaut, um befallene Bienen zu erkennen und gezielt zu behandeln – und erhält dafür den mit 1500 Euro dotierten Hauptpreis des Bundeswettbewerbs Künstliche Intelligenz (BWKI) sowie einen Praktikumsplatz beim Robotik- und Automationsunternehmen FANUC.
Der bereits zum sechsten Mal vom Tübingen AI Center ausgerichtete BWKI [1] stand in diesem Jahr unter dem Motto „Welche Freiheit gibt dir KI?“. Am vergangenen Freitag durften zehn Teams nach Tübingen reisen und ihre Projekte präsentieren – sowohl der Jury als auch der interessierten Öffentlichkeit. Dazu gab es ein Rahmenprogramm mit KI-Makerspace, Holobox, einer interaktiven Murmelbahn und Alumni-Treff, also insgesamt eine lockere Veranstaltung mit Event-Charakter und gespannter Erwartung auf die Entscheidungen.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war angereist und zeigte sich beeindruckt, nicht nur von den technischen Errungenschaften: „Am bewundernswertesten sind die jungen Leute – Mädchen und Jungs – die sich mit großer Kreativität, mit Mut und Fantasie ihren Entwicklungen widmen und die meisten noch neben ihrer normalen Schule in ihrer Freizeit.“
Die Milbe im Bienenhaufen
Sie ist nur 1,1 Millimeter lang und 1,6 Millimeter breit – aber ein großes Problem: Die Varroamilbe setzt sich auf Brust oder Rücken erwachsener Honigbienen und saugt an deren Fettkörper. Dabei kann sie Viren oder andere Krankheitserreger übertragen. Befallene Bienen werden schwach und sterben. Besonders verheerenden Schaden richten die Parasiten allerdings in den Brutzellen an, in denen die jungen Bienen heranwachsen. Ohne Behandlung stirbt das befallene Volk binnen weniger Jahre. Um die Milbe zu bekämpfen, muss das gesamte Volk behandelt werden, in der Regel geschieht das mit Ameisensäure.

(Bild: Ale Zea / BWKI)
Weil diese Methode auch viele gesunde Bienen einer unnötigen Behandlung aussetzt, machte sich der Hobby-Imker Sebastian Steppuhn an die Arbeit und entwickelte eine intelligente Schleuse für seinen Bienenstock, die befallene Bienen erkennt und automatisch zur Behandlung aussortiert. Mit seinem durchdachten System, das die vielfältigen Facetten des Problems von Anfang bis zum Ende erfasst und löst, überzeugte er die Jury des diesjährigen BWKI.
Der Start war alles andere als einfach. Steppuhn hatte einen Kasten mit einem schmalen transparenten Gang konstruiert. Diesen setzte er vor den Eingang seines Bienenstocks, um die Tiere systematisch mithilfe einer darüber angebrachten Kamera beobachten zu können. Sein Plan war, die Parasiten mithilfe eines klassischen Machine-Learning-Algorithmus zu erkennen und die befallenen Bienen direkt in ein „Behandlungszimmer“ zu schleusen. Ein geeignetes Machine-Learning-Modell für solche Echtzeitanwendungen war mit YOLO schnell gefunden – doch für sein Spezialproblem gab es weit und breit kein Trainingsmaterial.
Trainingsdaten: säen und ernten
Um in seinem eigenen Videomaterial mit bloßem Auge eine nennenswerte Anzahl von Aufnahmen mit Varroamilben auf Bienenkörpern zu finden und anschließend zu klassifizieren, hätte Steppuhn sehr, sehr viele mühsame Stunden investieren müssen. Deshalb dachte er sich einen Trick aus: Er generierte eine kleine synthetische Datensammlung, indem er Milben- auf Bienenbilder montierte und diverse Variationen daraus fertigte. Mit diesen Beispielen wiederum trainierte er das YOLO-System, um wenigstens ein paar Frames mit echten Darstellungen befallener Bienen in seinen Videos zu lokalisieren.
Aus diesen wertvollen realistischen Trainings-Samples konnte er weitere Variationen erzeugen, und so fort, bis er schließlich einen umfangreichen Datensatz beisammen hatte, der alle möglichen Winkel und Erscheinungsformen des Milben-Bienen-Gespanns abdeckte. Eine geschickt gewählte Kombination aus Plexiglas und Beleuchtung für den Durchgang gewährleistete störungs- und insbesondere reflexionsarme Aufnahmen. Der fertig trainierte Milbendetektor geht zweistufig vor: Erst markiert er Rücken und Bauch, anschließend sucht er die verräterischen Muster innerhalb dieser Region of Interest (ROI) – ähnlich wie es übrigens auch bei der Echtzeit-Kennzeichenerkennung geschieht, wo der Suchbereich zunächst auf das Fahrzeug und dann auf das Nummernschild eingegrenzt wird.

(Bild: Ale Zea / BWKI)
Befallene Bienen erkennen ist prima, aber ohne geeigneten Sortiermechanismus bleibt es eine akademische Übung. Auch bei der Lösung dieses Problems konnte der 17-Jährige nicht auf bewährte Verfahren zurückgreifen. Zwar gibt es bereits Maschinen, die pilzbefallene Getreidekörner im industriellen Maßstab aussortieren. Solche Hochgeschwindigkeitsverfahren eignen sich für die empfindlichen Insekten aber eher nicht; man will sie ja behandeln und nicht umbringen. Deshalb konzipierte er kurzerhand einen Druckluft-Mechanismus, der die Patienten sanft in einen separaten Behälter umleitet. Viele Teile seiner Bienenstockschleuse kamen aus dem 3D-Drucker, den heimischen Garten band der Tech-Imker mit High-Speed-Internet an.
In Steppuhns eigenem Stock mit 25.000 Bienen separierte das System am Ende 18 Exemplare mit Milben, bei rund 80 Fehltreffern. Dieses Verhältnis wirkt auf den ersten Blick nicht sonderlich gut, ist aber ein verbreitetes Phänomen bei Massenscreenings. Der Erfolg bemisst sich in solchen Szenarien nach einer Nutzen-Schaden-Rechnung, die hier zugunsten des Systems ausfallen würde: 24.900 gesunde Bienen nicht behandeln zu müssen und die Ausbreitung der Milbe verhindert zu haben.
Clevere Ampel, mutige Experimente
Auch die Preisträger der anderen Kategorien punkteten mit funktionierenden und zu Ende gedachten Systemen: Leonie Weiss aus Regensburg wurde für ihre intelligente Ampelschaltung TrafficAid mit dem Preis der Sonderkategorie „AI for Good“ ausgezeichnet. Das System erkennt Fahrzeuge aller Art und schaltet nur dann auf Rot, wenn es wirklich notwendig ist – womit unnötige Wartezeiten vermieden und CO₂-Emissionen reduziert werden könnten. Bei der Steuerung berücksichtigte die 18-Jährige auch Sicherheits- und Fairness-Aspekte, damit die jeweiligen Wartezeiten nicht allzu weit auseinanderklaffen, wenn aus einer Richtung sehr viele Fahrzeuge kommen und aus der anderen nur wenige.

(Bild: Ale Zea / BWKI)
Geradezu prädestiniert für die Kategorie „No risk, no fun!“ war das Projekt „KI aemazing“ von Anna Perkovic und Nicholas Dahlke aus dem baden-württembergischen Lörrach. Die beiden 17-Jährigen hatten sich zum Ziel gesetzt, ein noch ungeklärtes wissenschaftliches Rätsel mithilfe von KI zu lösen: Warum gefriert heißes Wasser schneller als kaltes? Was in der Projektbeschreibung recht harmlos klingt, entpuppte sich als äußerst ambitioniertes Experiment mit sehr aufwendigem Versuchsaufbau. Auf der einen Seite einer Röhre wurde Wasser mit Öl zusammen eingespritzt, sodass sich 0,5 Millimeter große, mit einem Ölfilm umhüllte Tröpfchen bildeten. Weiter ging es durch ein minus 40 Grad kalte Kühlanlage, dahinter klassifizierte eine zuvor trainierte Bilderkennung jedes Tröpfchen: gefroren oder nicht. Tatsächlich stellte sich heraus, dass bei der Verwendung von heißem Wasser deutlich mehr Tröpfchen gefroren als bei kaltem Wasser. Zugute kam den Nachwuchsforschern dabei sicherlich die Ausstattung des Schülerforschungszentrums Phaenovum in Lörrach, aber auch ihr Organisationsgeschick: Diverse Spezialgeräte liehen sie sich bei Firmen.

(Bild: Ale Zea / BWKI)
Der Sonderpreis „KI-Forschung“ würdigte die Arbeit von Lorenz Rutkevic aus dem niedersächsischen Leer. Sein System optimiert und analysiert mikroskopische Aufnahmen von Zellen. Zum einen sollen damit auch weniger präzise digitale Mikroskope gestochen scharfe Aufnahmen liefern. Zum anderen unterstützen die von Rutkevic trainierten und angepassten Algorithmen den Arzt bei der Diagnose von Krankheiten, indem sie nach typischen Mustern suchen und diese in der Aufnahme markieren beziehungsweise segmentieren. Auch der Publikumspreis ging nach Niedersachsen, nämlich an den „FolderCopter“ des sechzehnjährigen Peter Fuchs aus Hannover: ein lokal auf dem Rechner laufendes Sprachmodell, das Fragen zur eigenen Dokumenten- und Wissenssammlung beantwortet.
Strenger Kühlschrank
Großen Unterhaltungswert hatte auf jeden Fall der intelligente Kühlschrank des erst 15-jährigen Fabian Then aus Aidlingen. Das System hat anhand von Beispieldaten gelernt, welche Lebensmittel in welchem Fach gelagert werden müssen, damit sie möglichst lange halten – und ließ sich auch vom Bundespräsidenten nichts unterjubeln: „Die Ananas soll nicht in den Kühlschrank“, teilte der Schrank mit, als Steinmeier herausfinden wollte, in welcher Klimazone des Geräts die Frucht am besten aufgehoben ist.
heise Medien ist 2024 Kooperationspartner des BWKI. c't-Redakteurin Andrea Trinkwalder war in diesem Jahr Teil der Jury.
(atr [4])
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