KIM-Dienst: Ungepflegtes Adressbuch führt Arztbriefe ins "Lumpenpostfach"

Viele E-Mails landen in "Lumpenpostfächern" von Krankenhäusern und erreichen die gewünschten Empfänger nicht. Was es damit auf sich hat.

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Laptop in den viele Hände Briefe stecken können.

Der E-Mail-Dienst KIM ist für die sichere Kommunikation im Medizinwesen über das Gesundheitsnetz gedacht. Ob tatsächlich alle Mails bei den gedachten Empfängern ankommen, ist fraglich.

(Bild: Tetiana Xurchenko/ Shutterstock.com)

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Über den KIM-Dienst (Kommunikation im Medizinwesen), einer an die Telematikinfrastruktur angebundenen E-Mail für das Gesundheitswesen, wurden laut Dashboard der künftigen Digitalagentur Gesundheit inzwischen mehr als 350 Millionen KIM-Nachrichten verschickt. Über KIM-Adressen in einem Verzeichnisdienst sollen laut Bundesgesundheitsministerium "Praxen, Zahnarztpraxen, Apotheken, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser adressierbar werden". Unklar ist allerdings, wie viele KIM-Nachrichten tatsächlich beim intendierten Empfänger landen.

Die Zahlen zu versendeten KIM-Nachrichten auf dem TI-Dashboard der Gematik sehen vielversprechend aus.

(Bild: TI-Dashboard der Gematik)

Der KIM-Dienst stellt neben weiteren Digitalisierungsvorhaben des Gesundheitsministeriums speziell Krankenhauspersonal vor Herausforderungen. Ein Problem beim Versand einer KIM Nachricht ist, dass die KIM-Empfängeradressen schwer zu unterscheiden sind. Kliniken und größere MVZ haben Adressen angelegt, die teilweise nur die Unternehmung oder Einzelnamen und keine Fachabteilung ausweisen. Im zentralen Verzeichnisdienst (VZD) ist es oft nicht zu ermitteln, welche Adresse für den Anwendungsfall (etwa die elektronische Krankschreibung oder der elektronische Arztbrief) zu nutzen ist – derzeit gibt es für einzelne Nachrichtentypen, wie die eAU meist ein gesondertes KIM-Postfach im Adressatenkreis des Empfängers.

Im VZD unterscheiden sich die Adressen aber häufig nur an der eigentlichen Mail-Adresse, über die Suche lässt sich der gesuchte Empfänger daher oft nicht ermitteln. "Es wurde vernachlässigt, bei der Anlage der KIM-Adressen in Deutschland Kriterien aufzustellen, die eine genaue Zuordnung einzelner Empfänger möglich machen", kritisiert Andreas Hempel, Solution-Architekt bei der Asklepios Service IT GmbH. Gerade bei Krankenhäusern oder größeren MVZ ist dies Betroffenen zufolge sehr auffällig.

Krankenhäuser sind verpflichtet, die E-Mails der Ärzte anzunehmen. "Alle E-Mails kommen dann in einem Lumpenpostfach" an, erklärt Gudrun Liß, eHealth-Abteilungsleitung bei der Asklepios Service IT GmbH. Mit dem Begriff Lumpenpostfach wird ein Postfach bezeichnet, in dem zentral alle KIM-Mails landen. Ein Berechtigungskonzept gibt es laut Hempel nicht. Abhilfe könnte Hempel zufolge das Abbilden der Organisationsstruktur in Verzeichnisdienst schaffen, etwa auf Grundlage von Fachrichtungen. In Kombination mit der Dienstkennung sei das Auffinden des Empfängers differenzierter möglich.

In der Vergangenheit wurden, wohl aufgrund fehlender Prüfmechanismen, mehr als 100.000 Krankschreibungen an eine Arztpraxis und nicht an eine Krankenkasse gesendet. Erst Ende des Jahres sprachen Sicherheitsforscher auf dem 37C3 davon, dass acht Krankenkassen denselben Schlüssel für KIM-Nachrichten erhalten hatten.

Für Dr. Florian Brenck, Schmerztherapeut in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), nimmt die Suche nach KIM-Adressen im zentralen Verzeichnisdienst (VDZ), den Gelben Seiten der TI – wie Beteiligte sie nennen – viel Zeit in Anspruch. "Zwar ist in unserem Praxisverwaltungssystem eine Suchmaske nach Kolleginnen und Kollegen gut in das Programm und den Arbeitsablauf integriert, oft entsprechen die Einträge aber nicht den dafür vorgesehenen Feldern. Gemeinschaftspraxen sind mit allen Ärzten im Feld "Name" eingetragen, manchmal steht dort auch der frei gewählte, klangvolle Name der Praxis. Eine Option gezielt nach Gemeinschaftspraxen oder MVZ zu suchen gibt es nicht. Bei vielen Einträgen im KIM-Verzeichnisdienst ist das am meisten interessierende Feld 'KIM-Adresse' leer".

Für ihn sei unklar, warum es solche sinnlosen Einträge gibt. Dadurch habe er schon öfter Praxen über die Internetsuche ausfindig machen müssen und diese dann per E-Mail nach ihrer KIM-Adresse gefragt. "Das erleichtert den Ablauf des elektronischen Arztbriefversands leider gar nicht", resümiert Brenck. Dies alles führt dazu, dass Versender oft nicht merken, dass ihre Kommunikation gar nicht den richtigen Empfänger erreicht hat. Die Empfangsbestätigungen kommen zwar an, aber in vielen Fällen erreichen die Nachrichten die beabsichtigten Empfänger nicht.

Auch Sven Lindenau, Betriebsleiter für Klinische Systeme bei der Alexianer DaKS GmbH, kritisiert gegenüber heise online die Umsetzung des VZD und die Unklarheiten bezüglich der Rollenverteilung und Betriebsstättennummern. Die Primärsysteme gehen mit Dienstkennungen (Gematik Fachportal) unterschiedlich um. Es gibt zwar einen Implementierungsleitfaden für KIS, aber keine Verpflichtung. IT-Dienstleister mit verschiedenen Primärsystemen stelle das vor Herausforderungen.

"Sobald der Sender die KIM-Adresse frei wählen kann, bekommen wir bereits Probleme", moniert Lindenau. An inoffiziellen Übergangslösungen haben er und weitere Kollegen monatelang gearbeitet, bis insbesondere der strukturierte Informationsaustausch (etwa über die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) zufriedenstellend funktionierten.

Der VZD werde von mehreren Verbänden und Institutionen für ihre jeweiligen Interessengruppen gepflegt, allerdings seien keine Anleitung zur Anlage und Pflege der Daten und auch keine Clearingstelle vorhanden. Die Einträge zu prüfen und zu ändern, sei ebenfalls schwierig. Dabei gibt es bereits Beispiele, wie das Krankenhausstandortverzeichnis oder das Krankenhausarztnummerverzeichnis (KHANR-Verzeichnis) funktioniert. Das KHANR-Verzeichnis setzt laut Lindenau sehr hohe Hürden bei der Vergabe der Nummern. "Da gibt es bereits Rückfragen, wenn nicht alle Vornamen im Antrag aufgeführt wurden", erklärt Lindenau. Nur wenn alle Angaben der Beteiligten stimmig sind, wird die KHANR laut gesetzlichen Krankenkassen im Verzeichnis vergeben, bei Klärungsbedarf erfolgt eine manuelle Prüfung der Daten.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die für die Spezifikation des elektronischen Arztbriefes verantwortlich ist, habe den Prozess nicht auf Krankenhausseite mitgedacht, so Hempel. Dass Prozesse rund um die Telematikinfrastruktur nicht sektorübergreifend geplant werden, wird immer wieder kritisiert. Sofern der Prozess im Behandlungsprozess im Krankenhaus startet, sei es für die Verantwortlichen kein Problem, den elektronischen Arztbrief an die Praxis zu schicken. Wenn der Behandlungsprozess jedoch in der Arztpraxis startet, wird der Arztbrief an das Krankenhaus verschickt, meist, ohne dass der Patient dem Krankenhaus bekannt ist.

"Den analogen Prozess zu elektrifizieren, ist nicht ausreichend", so Liß. Statt den Prozess direkt digital zu denken, sei vorgeschlagen worden, den ehemaligen Poststellenmitarbeiter mit dem Sortieren der Mails zu beauftragen. "Prozesse digital denken" war auch die Absicht des Bundesgesundheitsministeriums mit seiner Digitalstrategie zur Beschleunigung des Gesundheitswesens. "Das ganze System der Telematikinfrastruktur ist für kleine Praxen ausgelegt", erklärt Liß. "Eine Krankenhaus-IT hat die Vorgabe, IT-Systeme mit einer Ausfallsicherheit von 99,9 Prozent zu betreiben. Da sind wir in der TI noch nicht. Dies macht es ungleich schwieriger in kurzer Zeit zusätzliche Fachanwendungen aufzuschalten, wenn die bisherigen in der Verfügbarkeit und auch in den Supportstrukturen nicht ausreichend handelbar sind." Viele Fehler seien nicht zuordenbar – Nachbesserungen der TI sind laut Liß unumgänglich.

Ähnlich sieht das auch Monika Schindler von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern. Bei Störungen sei oft unklar, wo der Fehler liegt. Ihrer Ansicht nach sei die Telematikinfrastruktur ein zu komplex aufgesetztes "Riesenkonstrukt von Anbietern und Dienstleistern", wie aus einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung hervorgeht. Beim nächsten Ausfall wird dann wieder wochenlang nach Schuldigen gesucht.

Die Probleme wachsen mit immer mehr TI-Anwendungen und TI-Nutzern, auch bei der elektronischen Patientenakte sehen die Kliniken viele unbeantwortete Fragen. Das zeigt sich unter anderem auch am Start des E-Rezepts. Mit dem wachsenden Bedarf an Signaturvorgängen zum Start des E-Rezepts habe ein Anbieter nicht gerechnet, daher kam es zu regelmäßigen Störungen beim Ausstellen des E-Rezepts. Die Weiterentwicklung zur Telematikinfrastruktur 2.0 soll Hoffnung machen, doch die Frage nach der Gesamtverantwortung bleibt.

Nach Sicht des Bundesgesundheitsministeriums brauchen einige Einrichtungen noch Zeit, "um ihre innerorganisatorischen Prozesse auf KIM umzustellen. Die Gematik führt daher regelmäßig Informationsveranstaltungen und Sprechstunden durch, um Fragestellungen der unterschiedlichen Sektoren zu beantworten", heißt es von einer BMG-Sprecherin auf Anfrage. Für die Datenpflege arbeite die Gematik laut BMG-Sprecherin "eng mit den für die Pflege der Inhalte zuständigen Stellen zusammen, um die Qualität und Vollständigkeit der Daten im VZD weiter zu verbessern".

Darüber hinaus biete der VDZ den Praxisverwaltungs- und Krankenhausinformationssystemen "viele Möglichkeiten zur Durchsuchung an (zum Beispiel Ort, Fachrichtung, Betriebsstättennummer, Region), damit Nutzerinnen und Nutzer möglichst gute Suchergebnisse finden und somit zielgerichtet per KIM zu kommunizieren", so die Sprecherin. Linderung soll zudem die kommende KIM-Version (1.5.3) verschaffen. Mit dieser werde "ein Anwendungskennzeichen eingeführt, das die Möglichkeit einer besseren Zuordnung von E-Mailinhalten mit sogenannten Dienstkennungen, wie elektronische Arbeitsunfähigkeit (eAU) oder eArztbrief, zu speziell dafür eingerichteten Postfächern des Empfängers ermöglicht. Diese Anwendungskennzeichen werden im VZD den entsprechenden Postfächern zugeordnet", teilt die Sprecherin mit.

(mack)