Keine WHO-Notfallzulassung für Medicagos Corona-Impfstoff aus Tabakpflanzen​

Weil die kanadische Firma, deren Pflanzen-Bioreaktoren Virushüllen herstellen, auch Philip Morris gehört, verletzt sie das Abkommen zur Tabak-Eindämmung.​

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Die Tabakpflanze Nicotiana benthamiana kann als Bioreaktor dienen.

(Bild: Charles Andres / Wikipedia / cc-by-sa-3.0)

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat es abgelehnt, den Corona-Impfstoff des kanadischen Unternehmens Medicago für den Notfalleinsatz zu bewerten und in sein Präqualifizierungsprogramm aufzunehmen. Die WHO begründete die Entscheidung Mitte März damit, dass Medicago teilweise dem Tabakkonzern Philip Morris gehört. „Deshalb wurde der Prozess auf Eis gelegt“, sagte Mariângela Simão, Stellvertretende Generaldirektorin der WHO, was auch das aktuelle WHO-Statusdokument für COVID-19-Impfstoffe dokumentiert.

Die Gesundheitsorganisation habe genau wie die Vereinten Nationen „sehr strenge Regeln bezüglich Verbindungen zur Tabak- und Waffenindustrie, es ist also sehr unwahrscheinlich, dass es für das ‚emergency use listing‘ akzeptiert wird“, betonte Simão weiter. Die negative WHO-Entscheidung für Medicagos Vakzine Covifenz bedeutet nun auch, das der Impfstoff nicht in die globale COVAX-Initiative für eine gerechte Verteilung von Corona-Impfstoffen aufgenommen wird.

Covifenz ist ein Proteinimpfstoff und der weltweit erste Corona-Impfstoff, der in gentechnisch angepassten Tabakpflanzen (Nicotiana benthamiana) produziert wird. Nachdem ein Bakterium namens Agrobacterium tumefaciens die erforderlichen Gencodes in die Pflanzenzellen einschleust, fungieren diese als Bioreaktoren und stellen sogenannte virusähnliche Partikel her.

Diese imitieren nur die äußere Hülle des SARS-CoV-2-Virus, um das Immunsystem für die echten Viren zu sensibilisieren. Sie enthalten aber keinerlei Erbgut und sind damit nicht infektiös. Sie sind wie Walnussschalen ohne Nuss, erläutert das Unternehmen. Die leeren Hüllen werden anschließend aus den geernteten Blättern extrahiert, gereinigt und mit einem Wirkverstärker (Adjuvans) des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline versetzt.

Anders als etwa BioNTechs mRNA-Impfstoff, der tiefgefroren bei minus 80 Grad gelagert werden muss, reichen für Covifenz zwei bis acht Grad im Kühlschrank. Das würde also eine breitere Verteilung ermöglichen.

Weil nun aber der Hersteller Medicago nicht nur Mitsubishi Chemical, sondern zu 30 Prozent auch dem Marlboro-Hersteller Philip Morris gehört, verletzt das Unternehmen offenbar das WHO-Rahmenabkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs. Der völkerrechtliche Vertrag wurde 2003 von knapp 180 Ländern ratifiziert.

Die kanadische Regierung sieht in ihrer Investition von 173 Millionen US-Dollar in die Vakzinentwicklung und den Bau einer Produktionsfabrik keine Verletzung ihrer Vertragspflichten. Sie hat bereits 76 Millionen Dosen des Impfstoffs bestellt, der in Kanada für Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren zugelassen ist und ab Mai verfügbar sein soll. Medicago betonte, dass die Entscheidung der WHO „nicht auf der Wirksamkeit und der Sicherheit des Impfstoffs basiert, die durch die Zulassung von Health Canada belegt wurde“. Die Wirksamkeit gegen alle SARS-CoV2-Varianten wurde mit 71 Prozent und die Wirksamkeit gegen eine Infektion mit jeglicher Schwere mit 75 Prozent beziffert.

Die WHO steht mit ihrer Kritik an dem Projekt allerdings nicht allein da. „Es ist nicht der stolzeste Moment für Kanadas öffentlicher Gesundheit“, sagte Les Hagen, Direktor von „Action on Smoking und Health“ in Edmonton gegenüber Bloomberg News. „Auch wenn es keine Verletzung des Vertragstextes ist, es verletzt definitiv seinen Geist.“

Der Fall zeigt zudem auch die von vielen Experten als problematisch angesehene Expansion der Tabakkonzerne in den Gesundheitssektor. So hat Philip Morris eine Reihe von Therapie-Unternehmen komplett übernommen. Seine Akquisition des britischen Asthma-Inhalator-Herstellers Vectura Group löste Proteste unter Ärzten aus. Auch British American Tobacco investiert mit seiner neuen Biotechnologie-Sparte KBio Holdings in die pflanzenbasierte Herstellung von Therapien und Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten und seltene Erkrankungen.

Dennoch plädiert etwa der Bioetiker Kerry Bowman von der Universität Toronto bei aller Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Problems – Philip Morris ist seit 2009 an Medicago beteiligt – für eine einmalige Ausnahmeregelung aufgrund der Pandemie. „Ich sage nicht, dass das nicht ethisch kompliziert ist. Das ist es. Ich kritisiere auch nicht die WHO oder die Vereinten Nationen für ihre Richtlinien“, sagte Bowman gegenüber CBC News.

Das „emergency use listing“ (EUL) der Weltgesundheitsorganisation dient in Zeiten von öffentlichen Gesundheitskrisen der Bewertung noch nicht zugelassener Diagnostikmittel ebenso wie neuen Medikamenten und Impfstoffen, um ihre Verfügbarkeit zu beschleunigen. Das ist vor allem für Länder wichtig, deren „nationale Zulassungsbehörden nicht die technischen Kapazitäten für eine vollständige Bewertung haben“, erklärt Simão. Aber auch internationale Organisationen wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und ihr panamerikanisches Pendant PAHO, die Impfstoffe für viele Länder kaufen und verteilen, verlassen sich auf die WHO-Notfallbewertung.

Dabei prüft die WHO nach Abschluss der dritten und letzten klinischen Studienphase die Qualitäts-, Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten und führt eine Risiko-Nutzen-Analyse durch, um zu entscheiden, ob die Nutzen eventuelle Risiken überwiegen. Mit ihrem Präqualifizierungsprogramm versucht die Gesundheitsorganisation sicherzustellen, dass Impfstoffe auch ohne nationale Prüfung auf Länderebene eingesetzt werden können. Das ersetzt aber nicht bestehende nationale Notfallzulassungsverfahren etwa der amerikanischen FDA oder des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts.

(vsz)