Keine Rettung durch Roboter

Nach dem Brexit muss Großbritannien möglicherweise mit weniger ausländischen Arbeitskräften auskommen. Theoretisch könnten Roboter und künstliche Intelligenz die Lücken schließen, doch dafür müsste viel geschehen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Jamie Condliffe
Inhaltsverzeichnis

Wenn Großbritannien aus der Europäischen Union austritt, werden womöglich viele Einwanderer gezwungen sein, das Land zu verlassen. Dabei handelt es sich bei vielen dieser Menschen um dringend benötigte Arbeitskräfte, und die Hoffnung, sie durch Automatisierung ersetzen zu können, könnte sich als unrealistisch erweisen.

18 Monate nach dem britischen Votum, die EU zu verlassen, sind viele Details des Ausstiegs immer noch ungeklärt. Eine Folge wird aber mit großer Sicherheit erwartet: weniger Einwanderung aus den EU-Ländern. Tatsächlich ist die Immigration schon seit dem Brexit-Beschluss zurückgegangen: laut dem Office of National Statistics per Saldo von 336.000 in den 12 Monaten bis Juni 2016 auf 230.000 bis Juni 2017. Drei Viertel dieses Rückgangs waren auf weniger Einwanderung aus der EU zurückzuführen, also aus Ländern, die vom Brexit direkt betroffen sind.

Mehr Infos

Auf den Arbeitsmarkt wird das tief greifende Auswirkungen haben. Nach Angaben der Beratungsfirma Accenture sind derzeit 1,6 Millionen EU-Bürger in Großbritannien beschäftigt, und volle 88 Prozent sind nach neuen Regeln möglicherweise nicht für Visa qualifiziert. Wenn die Beschäftigung im Land niedrig wäre, ließen sich die frei werdenden Stellen rasch wieder besetzen. Aber dem ist nicht so. Die Arbeitslosigkeit in Großbritannien befindet sich auf ihrem niedrigsten Stand seit 1975.

Einige Politiker der britischen Regierungsseite haben die Hoffnung geäußert, Automatisierung könne helfen. Es gebe „eine ganze Reihe von neuen Technologien zur Ergänzung menschlicher Belegschaften“, sagte Andrea Leadsom, damals Staatssekretärin für Umwelt, Lebensmittel und ländliche Fragen, in diesem Februar. Und Alan Mak, ein konservativer Parlamentsabgeordneter, argumentierte, künstliche Intelligenz und Massenautomation könnten nach dem Brexit Stützen der britischen Industrie sein.

Die Vorstellung hat ihren Reiz. Doch Robotik und künstliche Intelligenz werden Arbeitskräfte-Mangel in Großbritannien nach dem Brexit nicht einmal ansatzweise beheben können.

Dies liegt zum großen Teil daran, dass die Jobs, bei denen es an Arbeitskräften mangelt, nicht leicht zu automatisieren sind. Eine Analyse der Berufe und Sektoren mit der höchsten Zahl an im Ausland geborenen Arbeitnehmern in Großbritannien durch das Migration Observatory der University of Oxford hat gezeigt, dass Tätigkeiten wie Reinigung, Herstellung von Kleidung, Gastgewerbe und Gesundheitsdienste mit am stärksten vom Brexit betroffen sein werden. Doch für das Reinigen von Büros oder Häusern oder Kleiderherstellung braucht man manuelles Geschick, wie es bei Robotern bislang nicht vorhanden ist. Gastgewerbe und Gesundheit wiederum erfordern zwischenmenschliche Fähigkeiten, die selbst die modernsten KI-Systeme noch nicht bieten.

In anderen Sektoren kann es möglich sein, Prozesse zu automatisieren – doch zum Teil fällt es hier schwer, das nötige Investitionskapital zu beschaffen. Benedict Dellot vom britischen Think-Tank RSA erklärte gegenüber Technology Review, dass beispielsweise Arbeiter in der Landwirtschaft von strengeren Einwanderungsregeln stark betroffen sein würden. Doch Maschinen für die Ernte, die auch mit weichen Früchten zurechtkommen, können Hunderttausende Euro kosten. „Viele Bauern haben keinen Zugang zu solchen Summen“, sagt Dellot.

Und selbst wenn Verfügbarkeit und Kosten nicht im Weg stehen, zeigt Großbritannien noch keinen großen Appetit auf Automatisierung. Tatsächlich steht das Land hier keineswegs an vorderster Front: Laut der International Federation of Robotics hat es derzeit die niedrigste Roboter-Dichte unter allen G10-Staaten.

Ebenso gaben in einer Befragung für die aktuelle RSA-Studie The Age of Automation nur 14 Prozent der britischen Unternehmenslenker an, schon in KI oder Robotik investiert zu haben oder dies in naher Zukunft zu planen. Weitere 20 Prozent sagten, sie würden gern investieren, bis dahin werde es aber noch „mehrere Jahre“ dauern. 14 Prozent würden gar nicht zu solchen Technologien greifen, weil sie zu teuer sind, und 15 Prozent finden sie noch nicht gut genug erprobt.

Die Unsicherheit im politischen Klima nach dem Brexit-Beschluss könnte das Problem noch verschärfen. „Unternehmen werden Investitionen in Roboter möglicherweise verschieben“, sagt Philippe Schneider, Visiting Fellow bei der britischen Innovationsstiftung Nesta und Co-Autor ihrer Studie The Future of Skills: Employment in 2030. „Sie werden vielleicht stärker dazu neigen, Arbeitskräfte einzustellen, die sie je nach Bedarf auch wieder entlassen können.“

Hinzu kommt der Aspekt der nötigen menschlichen Ressourcen. Der Einsatz von automatisierten Systemen erfordert Fachwissen in Robotik und KI. Doch trotz hervorragender Universitäten, die viele Ingenieure und Informatiker hervorbringen, zieht es viele technische Talente aus Großbritannien nach Amerika und China. Bei einer Anhörung eines Oberhaus-Ausschusses in London erklärte Joseph Reger, Technikvorstand des internationalen Geschäfts von Fujitsu, vor kurzem, es sei schwierig, für KI-Projekte in Großbritannien „die richtigen Leute zu finden“. „Der Markt ist im Grunde leer“, sagte er.

Der britische Digitalminister Matt Hancock scheint die Situation pragmatischer zu sehen als viele seiner Kollegen. „Es wäre übermäßig vereinfacht, zu denken, es könne einen Eins-zu-Eins-Ersatz“ von menschlichen Arbeitskräften durch Roboter geben, sagt er. Doch die Regierung könne daran arbeiten, im ganzen Land ein Umfeld zu schaffen, dass positiv für die Einführung von Automation ist. Es sei zwar nicht Aufgabe des Staates, die Strategie von Unternehmen zu bestimmen, doch er könne dafür sorgen, dass es einen kompetitiven Markt gibt.

Hancock verweist auf neue KI-Inititativen, die es Unternehmen einfacher machen sollen, sich für Automatisierungsprojekte zu entscheiden. Ebenso sollen höhere Investitionen in Robotik und KI-Forschung dazu beitragen, die verfügbare Technologie besser zu machen. Auch der Brexit selbst könnte nach den Worten des Ministers eine Hilfe sein – indem er Großbritannien von strengen EU-Vorschriften befreit, die in der Vergangenheit eine Bremse für Innovationen gewesen seien. Als Beispiel nennt Hancock vor allem die Entwicklung von autonomen Autos.

Doch bei vielen dieser Initiativen wird es noch eine Weile dauern, bis sie Früchte tragen, und manche Experten fürchten, dass sie Regierung schlicht nicht genug tun kann, um KI und Robotik in politisch so unruhigen Zeiten zu unterstützen.

„Der technische Fortschritt verläuft derzeit so schnell wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. In solchen Zeiten wäre mir recht, wenn sich unsere gesamte Regierung darauf konzentrieren würde, bei der Nutzung dieser neu entstehenden Technologien voranzugehen. Doch die meisten unserer Minister sind mit der Ablösung von Europa beschäftigt“, sagte Richards Susskind, IT-Berater des Lord Chief Justice of England and Wales, bei einer weiteren Anhörung des Oberhauses. „Es ist die denkbar schlechteste Zeit für so eine Trennung.“

Der Roboter, dein Freund und Helfer (28 Bilder)

Können Roboter Priester ersetzen? Oder gar etwas Göttliches repräsentieren? Der Robotiker Gabriele Trovato mit zwei Prototypen, die Gläubige durch "Gesten, Dialog und Blickkontakt beim Gebet ­begleiten" sollen. Die dafür notwendige Software ist allerdings noch nicht vollständig implementiert. (Bild: Gabriele Trovato/Waseda University)

(sma)