Kryptowährungen: Kommt 2020 die Killer-App?

Dank Libra & Co. könnte das neue Jahr die Blockchain endlich groß machen – nicht nur zur Freude der User.

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Libra

(Bild: dpa, Kay Nietfeld)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Mike Orcutt
Inhaltsverzeichnis

Noch vor zwei Jahren war das Segment der Kryptowährungen wie aufregend wie eine Achterbahnfahrt – aufregend, aber scheinbar relativ ungefährlich. Dann platzte die Bitcoin-Blase und es sah plötzlich so aus, als handele es sich dabei um eine schnell vergehende Modeerscheinung. Das ging zumindest vielen Menschen so. Echte Bitcoin-Gläubige blieben jedoch dabei – von den Entwicklern, die leise vor sich hinwerkeln, um die Technik weiterzubauen, ganz schweigen.

Doch dann gab es eine Veränderung. Im letzten Juli ging Facebook mit Libra an den Start – oder zumindest mit der Vision seiner eigenen, "globalen" digitalen Währung. Das generierte jede Menge negative Reaktionen – nicht nur von Datenschützern, sondern auch von Zentralbankern auf der ganzen Welt. Es scheint sogar dafür gesorgt zu haben, dass China die Entwicklung einer eigenen Digitalwährung beschleunigt hat. Nun, im beginnenden Jahr 2020, sieht es so aus, als stünden die Kryptowährungen kurz davor, ihre "Killer-App", ihre Killeranwendung zu finden.

Doch so spaßig und aufregend wie noch vor wenigen Jahren wird es kaum werden. Im Gegenteil, die Technik könnte bei den Nutzern für unangenehme Gefühle sorgen. Und je nach persönlicher Perspektive sogar für echte Wut.

Wem es bislang gelang, die durchaus merkwürdige und verwirrende Kryptoszene zu ignorieren, kann das in diesem Jahr wohl nicht mehr. Mark Zuckerberg ist daran schuld. Der Facebook-Gründer mit seinen Milliarden Nutzern will mit Libra "die Welt zu einem besseren Ort" machen. Die Währung, deren Technik von Systemen wie Bitcoin inspiriert wurden, soll "finanzielle Inklusion" vorantreiben und den Menschen helfen, "sich selbst aus der Armut zu erheben", wie Zuckerberg im Oktober vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses sagte.

Seiner Meinung nach könnte ein Verbot des Libra-Starts durch die Vereinigten Staaten sogar dazu führen, dass die USA weltweit an Einfluss verlieren. Denn "China bewegt sich schnell, um ähnliche Ideen in den kommenden Monaten" zu starten. Und Libra werde "hauptsächlich mit US-Dollars gedeckt", was wiederum die "finanzielle Marktführerschaft Amerikas" sowie die "demokratischen Werte" des Landes und dessen Kontrollfunktion weltweit auf ein neues Niveau heben soll.

Die PR-Masche von Facebook hat ein klares Ziel: Libra soll nicht nur als humanitäres Projekt verkauft werden, sondern in den USA auch als Patriotismus. Wie kann, sagen die Lobbyisten des Social-Media-Giganten, das denn eine schlechte Idee sein?

Da wäre zum einen das Problem, das viele Menschen Facebook schlicht nicht mehr trauen – egal ob mit den eigenen Daten oder bei der Verteidigung der Demokratie. Nun will der Konzern auch noch eine eigene Währung? Ist das ein Trollangriff?

Facebook würde auf solche Bedenken mit der Argumentation reagieren, dass man doch nicht selbst Oberaufseher von Libra sei, sondern dies an ein Non-Profit, die Libra Association, abgegeben habe. Die Gruppe, an der 20 weitere Firmen neben Facebook beteiligt sind, wird die "Devisenreserve" aus von Regierungen ausgegebenen Währungen managen, die Libra sicher und stabil machen soll. Die Hälfte davon soll in US-Dollar sein, der Rest in Pfund, Yen, Euros und Singapur-Dollar. Das sei schön, sagen Kritiker, doch wenn selbst Politiker nicht verstehen, was Libra eigentlich ist, wird es schwierig.

Kryptoveteranen kritisieren zudem, dass Libra doch eigentlich überhaupt keine Kryptowährung sei. Doch das ist erst der Anfang. Und das hat nicht nur mit Facebook zu tun, sondern auch mit der Zentralbank Chinas. Peking scheint – ganz wie von Zuckerberg vorhergesehen – 2020 erstmals eine Digitalversion des Yuan etablieren zu wollen. Und die Zentralbanker deuten an, dass sich ihre Idee an dem orientiert, was man von Libra kennt.

Viele Kryptofans meinen, dass echte Kryptowährungen das Produkt eines dezentralen, "genehmigungslosen" Netzwerks wie Bitcoin sind. Bitcoin ist so entwickelt worden, dass es unabhängig von Zensur durch Konzerne oder Regierungen ist. Die Kontrolle obliegt einem globalen öffentlichen Netzwerk aus Tausenden Rechnern.

Libra wiederum wurde von einer gigantischen Firma erdacht und das Netzwerk wird durch eine kleine Anzahl vorher bestimmter Privatorganisationen gesteuert. Chinas digitaler Yuan wird ähnlich arbeiten, aber von der Zentralbank selbst kontrolliert. Dennoch werden die Schlagzeilen weiterhin von Kryptowährungen sprechen, egal, was die Veteranen davon halten. Ein neuer Begriff würde die vielen Neulinge, die sich künftig mit dem Thema beschäftigen müssen, vermutlich auch nur verwirren. "Digitale Währung" und "Kryptowährung" werden austauschbar.

Als Angehöriger der US-Regierung dürfte der Begriff "Krypto" Sie 2020 ebenfalls triggern. Im letzten Jahr zeigte sich, dass kleine Anbieter es schaffen könnten, den weltweiten Einfluss der Vereinigten Staaten auf das Finanzsystem zumindest teilweise zu reduzieren. Das Phänomen wird weitergehen.

Da der US-Dollar bislang die weltweit beliebteste Reservewährung ist, haben die Vereinigten Staaten bislang einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf den Geldfluss des Planeten. China versucht, seinen Yuan als Alternative durchzudrücken und einige Analysten vermuten, dass die digitale Version hierbei eine wichtige Rolle spielen könnte. Das könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass die Zentralbank gleich nach der Libra-Bekanntgabe in Aktion getreten ist.

Neben China wollen sich auch der Iran und Russland auf dem Gebiet der Kryptowährungen tummeln – und ein paralleles Finanzsystem aufbauen, dass die USA nicht kontrollieren können. Die Regierungen von Venezuela und Nordkorea wollen die Technik zudem einsetzen, um Sanktionen zu umgehen.

Wie die Vereinigten Staaten darauf künftig reagieren könnten, ist unklar – es gibt aber erste Andeutungen. So klagte das US-Justizministerium im November Virgil Griffith an, einen Angestellten der Ethereum Foundation, einem Non-Profit, das die zweitwertvollste Kryptowährung hinter Bitcoin weiterentwickelt. Er habe durch seine Tätigkeit Nordkorea "Dienste" bereitgestellt, mit denen das Land US-Sanktionen unterlaufen könne. Griffith war zuvor auf einer Krypokonferenz in Pjöngjang aufgetreten und soll auch danach Kontakt zu Nordkoreanern gehabt haben, um ihnen "bei der Geldwäsche zu helfen". Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Ist ein solches Vorgehen exzessiv? Sollten die USA soviel Macht haben, andere Nationen vom Finanzsystem abzuschneiden? Wie wichtig ist dies für die nationale Sicherheit? Und könnte China eine eigenen digitale Währung nutzen, um die USA zu unterminieren? Vom möglichen geopolitischen Einfluss des Privatvergnügens Libra ganz abgesehen. Es zeigt sich: Im Krypomarkt wird es weiter brodeln.

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