Kurznachricht statt Umfrage

Die professionellen Wahlforscher lagen bei den letzten großen Entscheidungen in den USA und in Großbritannien voll daneben. Dabei hätten sie sich nur an Twitter orientieren müssen, sagen Datenwissenschaftler.

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Von
  • Nanette Byrnes
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Egal ob Trump-Wahl oder Brexit – die Demoskopen hatten in diesem Jahr bei ihren Vorhersagen kein Glück. Ob es wohl sinnvoller gewesen wäre, die sozialen Medien zu durchsuchen, statt auf reguläre Umfragen zu setzen? Die Datenforscher der amerikanischen Onlineanalysefirma Right Relevance bejahen dies. Das Unternehmen hat sich die zur britischen Entscheidung für den EU-Austritt und den jüngsten US-Präsidentschaftswahlen vorliegenden Daten beim Kurznachrichtendienst Twitter angesehen und dabei einige interessante Signale ausgemacht, die in Zukunft für Vorhersagemodelle dienen könnten.

"Unsere Analysen zeigten etwas, aber wir selbst haben nicht daran geglaubt", so Vishal Mishra, CEO des Unternehmens, selbstkritisch. Right Relevance bietet seine Forschungsplattform zum sogenannten Einflussmarketing auch anderen Firmen an. "Wir dachten: Wie kann Trump nur gewinnen? Doch unsere Untersuchungen zeigten es immer wieder." Entsprechend habe man auch die Möglichkeit eines Überraschungssieges des US-Immobilienmilliardärs mehrfach in seiner Online-Berichterstattung angedeutet.

Zu den von Right Relevance verwendeten Signalen gehört die Anzahl der Unterstützer einer Seite auf Twitter – abzüglich möglicher Bots. Mindestens genauso wichtig war dem Unternehmen zufolge aber auch der Einfluss des jeweiligen Kandidaten / Themas auf der Plattform – gemessen an der Zahl der Tweet-Wiederholungen (Retweets), Erwähnungen (Mentions) und Tweet-Antworten (Replies). Zudem wurde die Qualität des Netzwerks eines Kandidaten / Themas in Form der vorhandenen Twitter-Verbindungen gemessen sowie die Frage untersucht, ob es dabei gelingt, unterschiedliche Communitys zu überbrücken.

Sowohl bei der Brexit-Entscheidung als auch bei der Trump-Wahl deuteten die von Right Relevance erfassten Signale daraufhin, dass die Seite gewinnen würde, die letztlich auch gewonnen hat. Deb Roy, Professor am MIT und Chief Media Scientist bei Twitter, der den Kurznachrichtendienst ebenfalls für Wahlanalysen nutzte, meint, dass es durchaus Signale gab, die in die richtige Richtung deuteten, doch als "glasklar" will er diese auch nicht bezeichnen.

Gegenüber Technology Review sagte Roy, man habe es mit "neuem Territorium in Sachen Mediendynamik" zu tun, das man im Jahr 2016 betreten habe. Und das liege zwischen sozialen Medien, den Leitmedien und jenen zunehmend wichtigen "Quellen des Randes" – womit er rechte wie linke Publikationen abseits des Mainstreams meint. Hinzu kämen "einzigartige Elemente" bei den Ereignissen des Jahres 2016. "Die machen es sehr schwierig, die Twitter-Signale klar zu interpretieren."

Bei politischen Fragen existieren schon seit längerem deutlich Divergenzen, was Mainstream-Medien twittern und was andere Personenkreise bei dem Kurznachrichtendienst kommunizieren. Anfang November fand die Right-Relevance-Analyse auf Twitter zunehmend gegen Clinton gerichtete Begriffe unter den am meisten geteilten Themen – etwa "FBI", "Podesta E-Mails" (die geleakten elektronischen Nachrichten von Clintons Wahlkampfchef) und "Comey" (der Name des FBI-Chefs, der die E-Mail-Affäre um Clinton kurz vor der Wahl wieder ins Gespräch brachte). Wichtige Medienquellen auf Twitter hätten sich dagegen deutlich weniger mit diesen Themen beschäftigt. (bsc)