Letzte Fragen: Mathematik

Albrecht Beutelspacher, Jahrgang 1950, lehrt Mathematik an der Universität Gießen

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Von
  • Holger Fuß

Foto: Mathematikum Gießen / Rolf K. Wegst

Technology Review: Herr Professor Beutelspacher, was ist an Mathematik eigentlich so faszinierend?

Albrecht Beutelspacher: Mathematik ist die Kunst, scheinbar komplizierte Dinge ganz einfach zu beschreiben.

Und warum sind mathematische Formeln dann so unverständlich?

Das ist kein Widerspruch. In einer Formel ist ein Wissen hochkonzentriert formuliert. Wie bei einem Tropfen Tabasco: an sich ungenießbar, aber richtig angewendet, unglaublich hilfreich.

Aber wie verschafft eine derart konzentrierte Formel das einfache Verständnis?

Beim Mathematikunterricht fangen wir ja nicht mit der Formel an, jedenfalls sollten wir das nicht. Sondern wir beginnen mit realen Erfahrungen und versuchen diese zu verstehen. Zunächst beschreiben wir sie sprachlich, dann halbformal, und am Ende kann die konzentrierte Formel stehen. So kann man auch den Wert einer solchen Beschreibung erkennen.

Mathematik soll die Sprache des Universums sein. Was ist damit gemeint?

Ein spannendes Problem, das seit Beginn der Mathematik eine Rolle spielt: Entdecken wir die Mathematik in der Natur, im Universum? Oder interpretieren wir die Mathematik in die Natur hinein. Ich meine, die mathematischen Gesetze sind in der Natur.

Was macht Sie da so sicher?

Unlängst war dieser Venus-Durchgang, und wir konnten auf die Millisekunde genau vorhersagen, wann die Venus vor der Sonne stand - weil wir kapiert haben, nach welchen mathematischen Gesetzen sich die Himmelskörper bewegen. Das mathematische Modell stimmt eben hundertprozentig. Und im Kosmos noch viel genauer als auf der Erde.

Warum denn das?

Weil wir die Sterne nur aus der Ferne anschauen. Wenn wir die Saturnringe aus der Nähe betrachten, dann beginnen Chaos und Zufälligkeiten. Solange wir einen Stern aber nur als Punkt sehen, bewegt er sich auch nur wie ein mathematischer Punkt. Die Mathematik ist eben auch die Kunst der Abstraktion, der Unterscheidung zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem.

Können Sie sich vorstellen, dass es andere Wirklichkeiten gibt, die sich durch Mathematik nicht beschreiben lassen?

Natürlich kann ich mir Welten vorstellen, die ganz anders als unsere Wirklichkeit sind. Ich kann mir auch intelligente Lebewesen vorstellen, die keine Mathematik machen. Aber wenn Mathematik bedeutet, durch eigenes Denken Erkenntnisse zu erzielen, dann macht dies das Wesen des Menschen aus.

Wobei das Denken stets mit Logik verbunden ist.

Genau. Ich meine keine rauschhaften Erkenntnisse.

Aber ist dann unsere innere Welt, sind unsere Gefühle und Leidenschaften nicht bereits eine Welt, in der die Mathematik nicht gilt?

Sicherlich. Trotzdem versuchen wir Menschen, dieses Informationschaos, das wir durch unsere Sinne aufnehmen, zu strukturieren und auf wenige Sachverhalte zurückzuführen. Dadurch wird auch die Liebe überschaubar. Ich weiß doch nach einiger Zeit, was meine Frau wünscht und was mich erwartet, wenn ich heute Abend nach Hause komme. Überraschungen sind dann umso schöner.

Es gibt also auch eine Logik der Erfahrung: Aus dem Ungeordneten baut unser Gehirn neurologisch unentwegt Ordnungsstrukturen. Wie das Wort Information besagt: Wir formatieren den Input.

Genau. Wir sind nicht wie eine Qualle, die ungefiltert alles in sich aufnimmt. (sma)