Materialwissenschaft: KI hilft, 17 neue Metall-Legierungen zu identifizieren

Forschende des Max-Planck-Instituts suchten Legierungen, die sich wenig ausdehnen. Ihr Verfahren könnte der Materialwissenschaft frischen Antrieb geben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 45 Kommentare lesen

Die Suche nach neuen Legierungen mit gewünschten Eigenschaften ist normalerweise ein Prozess, der unweigerlich mehr Fehlschläge als nützliche Ergebnisse hervorbringt.

(Bild: RHJPhtotoandilustration/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tammy Xu
Inhaltsverzeichnis

Maschinelles Lernen wird schon jetzt in zahlreichen Branchen eingesetzt. Bald könnte es dazu beitragen, neue Arten von Metallwerkstoffen mit nützlichen Eigenschaften zu entwickeln. Die Anwendungsbereiche sind vielfältig: Legierungen, die bei niedrigeren Temperaturen gut funktionieren, könnten etwa Raumfahrzeuge verbessern. Werkstoffe, die besonders korrosionsbeständig sind, könnten dagegen beim Bau von Schiffen und U-Booten zum Einsatz kommen.

Derzeit führen Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der Regel aufwändige Experimente im Labor durch, um Metalle zu kombinieren und somit sogenannte Legierungen zu schaffen. Normalerweise beginnen sie mit einem gut erforschten Element wie Eisen, das günstig und formbar ist, und fügen ein oder zwei andere Elemente hinzu, um deren Auswirkungen auf das ursprüngliche Material zu untersuchen. Das ist ein mühsamer Prozess, der unweigerlich mehr Fehlschläge als nützliche Ergebnisse hervorbringt.

Die neue Forschung, die Anfang des Monats im Fachmagazin "Science" veröffentlicht wurde, legt jedoch nahe, dass Forschende mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) viel genauer und vor allem schneller vorhersagen können, welche Kombinationen von Metallen für neue Legierungen vielversprechend sein könnten.

Forschende des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung (MPIE) gelang es mit dieser Methode, 17 vielversprechende neue Metalle zu identifizieren. Das Team war auf der Suche nach neuen Eisen-Nickel-Legierungen, Invar genannt, mit einem besonders niedrigen Wärmeausdehnungskoeffizienten. Er gibt an, wie stark sich Materialien ausdehnen oder zusammenziehen, wenn sie hohen oder niedrigen Temperaturen ausgesetzt sind.

Metalle und Legierungen mit niedrigem Ausdehnungskoeffizient ändern ihre Größe bei extremen Temperaturen kaum. Sie werden deshalb häufig in Branchen eingesetzt, in denen diese Eigenschaft von Nutzen ist – zum Beispiel beim Transport und der Lagerung von Erdgas, erklärt Ziyuan Rao, Materialwissenschaftler am MPIE und Mitautor der Studie.

Mehr über Künstliche Intelligenz

Das Team fand diese neuen Legierungen durch eine Kombination aus KI und Laborexperimenten. Zunächst mussten sie allerdings eine Hürde meistern: Es fehlte an Daten, mit denen sie die Machine-Learning-Modelle trainieren konnten. Sie fütterten die Modelle schließlich anhand hunderter Datenpunkte, die die Eigenschaften bestehender Metalllegierungen beschreiben. Das KI-System nutzte diese Daten, um seinerseits Vorhersagen für neue Legierungen zu treffen, die einen mutmaßlich niedrigen Ausdehnungskoeffizient aufweisen würden.

Die Forscher stellten die vorgeschlagenen Werkstoffe dann in einem Labor her, analysierten die Ergebnisse und speisten die Erkenntnisse wieder in das maschinelle Lernmodell ein. Der Prozess wurde mehrfach wiederholt; das Modell schlug Metallkombinationen vor, die Forscher testeten sie und spielten die Daten zurück – bis sie die 17 vielversprechenden neuen Legierungen gefunden hatten.

Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, den Weg für eine stärkere Nutzung des maschinellen Lernens in der Materialwissenschaft zu ebnen, traditionell ein Bereich, der immer noch stark auf Laborversuche angewiesen ist. Außerdem könnte das Verfahren für Entdeckungen in anderen Bereichen wie der Chemie oder Physik angepasst werden, sagen Experten auf dem Gebiet der Materialwissenschaft.

Um zu verstehen, warum es sich um eine bedeutende Entwicklung handelt, müsse man einen Blick auf die bisherige Art und Weise zu werfen, wie neue Verbindungen normalerweise hergestellt werden, sagt Michael Titus, Assistenzprofessor für Werkstofftechnik an der Purdue University, der nicht an der Forschung beteiligt war. Der Prozess des Tüftelns und Ausprobierens im Labor sei mühsam und ineffizient.

"Materialien zu finden, die eine besondere Eigenschaft aufweisen, ist wirklich wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagt Titus. Er sage seinen neuen Doktoranden oft, dass es eine Million möglicher neuer Materialien gebe, die bloß darauf warten, entdeckt zu werden. Maschinelles Lernen könnte den Forschenden bei der Suche helfen.

Easo George, Professor für Materialwissenschaften und Ingenieurwesen an der University of Tennessee, der nicht an dieser Forschung beteiligt war, ist ebenfalls überrascht, was das Team mit der neuen Technik erreichen konnte. "Es ist sehr beeindruckend", sagt er.

In Zukunft möchte das Team des Max-Planck-Instituts maschinelles Lernen einsetzen, um neue Legierungen mit mehr als nur einer wünschenswerten Eigenschaft zu entdecken. George stimmt zu, dass solche neuen Berechnungsmethoden für die Zukunft der Materialwissenschaft entscheidend sein werden. "Maschinelles Lernen wird wahrscheinlich zunehmend dort dominant sein, wo es sehr große Forschungsräume gibt. Denn diese rein experimentell zu scannen, ist sehr zeitaufwändig und teuer", sagt er. "Die Frage ist natürlich, ob man etwas Nützliches findet."

(jle)