Mediziner will Krankheiten voraussagen

Ein amerikanischer Arzt arbeitet in Manhattan am Spital der Zukunft.

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Von
  • Inge Wünnenberg
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Joel Dudley scheut vor Visionen nicht zurück. Was der Genetiker vom New Yorker Mount Sinai Hospital will, ist nicht einfach eine schrittweise Weiterentwicklung von Kliniken. Er hat das Krankenhaus der Zukunft schon errichtet. 2016 übernahm er die Gründung des Institute for Next Generation Healthcare am Mount Sinai. Im dortigen "Lab100" findet nun der Testbetrieb für das Krankenhaus des Jahres 2025 statt.

Dafür erhalten die Patienten ein umfangreiches Screening: Es umfasst eine Analyse des Genoms, der Mikroorganismen, des Stoffwechsels und weiterer molekularer Parameter. Ferner gehören quantitative Charakterisierungen der geistigen Funktionen, des Immunsystems sowie des Körperzustands dazu. Schließlich werden noch Langzeitinformationen über Schlaf, Fitness, Stoffwechsel und Umweltbedingungen erhoben. Alle Informationen werden in die IT-Plattform des Lab100 eingespeist. Am Ende sollen sie sich als wertvoll für Forscher, Ärzte und vor allem die Patienten erweisen.

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Dudleys großes Ziel: das Spezialistentum der Ärzte überwinden. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass es dem Therapieerfolg gern entgegensteht. Dudley leidet an der chronischen Speisewegserkrankung Morbus Crohn und hat selbst eine Odyssee von Facharzt zu Facharzt hinter sich. Der Darmspezialist interessierte sich nicht für den die Krankheit begleitenden Hautausschlag. Der Dermatologe wiederum habe sich nur mit den Hautproblemen beschäftigt, den Morbus Crohn aber ignoriert. Dudley möchte dieses "altertümliche Verständnis" von Erkrankungen, das sich nur an den Symptomen und der Anatomie orientiert, überwinden.

Wie es gehen kann, hat er Mitte 2016 gemeinsam mit seinem Kollegen Riccardo Miotto in der in "Scientific Reports" veröffentlichten Deep-Patient-Studie gezeigt. Das auf der Basis von neuronalen Netzwerken trainierte System soll das Erkrankungsrisiko für Patienten voraussagen können. Zu den recht zuverlässig prognostizierten Leiden zählen Leberkrebs, Schizophrenie und Diabetes. Bei Bluthochdruck dagegen sehen die Forscher Verbesserungsmöglichkeiten.

Die Datengrundlage für "Deep Patient" lieferten die elektronischen Akten von rund 700.000 Mount-Sinai-Patienten. Dabei legte Dudley Wert darauf, die Informationen nicht im Vorfeld zu kanalisieren. Als Beispiel nennt er Diabetes Typ 2. Wenn man etwa nur Parameter wie Blutzucker oder das Gewicht berücksichtige, ignoriere man all die anderen Angaben, die ebenso wichtig für eine Voraussage sein könnten.

Aber nicht nur Diagnosen, auch Therapien will Dudley mit "Deep Patient" verbessern. Für den sogenannten Alterszucker hat er das schon durchexerziert. Gemeinsam mit Li Li hatte er rund 11.000 Patientenakten analysiert und die Ergebnisse Ende 2015 im Journal "Science Translational Medicine" veröffentlicht.

Die Autoren entdeckten drei neue Diabetes-2-Subtypen: Die erste Kategorie zeichnet sich durch klassische Merkmale wie Nieren- und Netzhautprobleme aus, während die zweite Gruppe mehr Krebsbefunde und Herzkrankheiten aufwies und die dritte Gruppe oft von Herzerkrankungen, psychischen Leiden, Allergien oder HIV-Infektionen betroffen war. Zugleich konnte Dudleys Team zeigen, dass sich alle drei Typen genetisch unterscheiden. Das könnte zu Behandlungen führen, die besser auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten sind.

(inwu)