Der Reboot von Microsoft

Experten sahen Microsoft schon auf dem absteigenden Ast, doch die neuen Quartalszahlen zeigen: Der Softwarekonzern ist wieder auf Erfolgskurs - dank CEO Satya Nadella.

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Microsoft:Der Reboot

Microsoft CEO Satya Nadella

(Bild: Official Leweb Photos / Flickr / cc-by-2.0
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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Helene Laube
Inhaltsverzeichnis

Bereits 2015 sah die Redaktion von Technology Review das Potenzial des Konzerns Microsoft und seines Firmenchefs Satya Nadella. Der CEO scheute keine radikalen Umbrüche des Unternehmens und setzte auf die Cloud, Offenheit und die Zusammenarbeit mit der Konkurrenz. Damit gehörte Microsoft für Technology Review 2015 zu den "Top 50"-Unternehmen des Jahres. Dass der Plan von Nadella aufgegangen ist, zeigen die aktuell veröffentlichten Quartalszahlen. Aus diesem Grund veröffentlichen wir an dieser Stelle erneut unseren Artikel aus der September-Ausgabe 2015.

Noch am Tag seiner Beförderung zum Chef von Microsoft gab Satya Nadella die neue Marschroute vor: "Unsere Branche respektiert nicht die Tradition, sondern zukünftige Innovation – darüber müssen wir uns im Klaren sein", sagte der neue CEO des 40-jährigen Technologiekonzerns. Hunderte Microsoftler hatten sich am 4. Februar 2014 im Atrium von Studio D auf dem Microsoft-Campus in Redmond versammelt, um Nadellas kurze Ansprache zu hören. Die Worte hatten Signalcharakter für die fast 118000 Mitarbeiter und die Außenwelt: Innovation und Erfindergeist sollen wieder im Vordergrund stehen. Ein müder Gigant sollte wieder aufwachen.

Der Schritt ist überfällig. Die Schwächen sind allzu bekannt: Den Erfolg des PC-beherrschenden Windows-Betriebssystems konnte Microsoft bei mobilen Geräten nicht annähernd wiederholen. Trotz Windows-Versionen für Dutzende Smartphone-Hersteller und der 9,5 Milliarden Dollar teuren Übernahme von Nokias Handysparte kommt der Konzern bei den schlauen Mobiltelefonen weltweit gerade einmal auf einen Marktanteil von drei Prozent. Bei Tablets sieht es nicht viel besser aus. Auch bei Cloud-Diensten für Privatkunden und Unternehmen überließ Microsoft das Feld lange Konkurrenten wie Amazon und Google.

Vor allem Investoren und Beobachter im Silicon Valley stänkerten, dass von Microsoft kaum mehr Bahnbrechendes zu erwarten sei. Microsoft sei "eine Wette gegen technische Innovation", lästerte etwa Peter Thiel, prominenter Risikokapitalgeber und Gründer. Die Probleme machen sich auch in den Bilanzen bemerkbar. Zwar wächst Microsoft noch und konnte im letzten Geschäftsjahr den Umsatz um acht Prozent auf fast 94 Milliarden Dollar steigern. Aber mit dem sinkenden PC-Absatz, der seit vier Jahren im Gange ist, schrumpft auch Microsofts Kerngeschäft mit Windows- und Officelizenzen.

Die Verkäufe an PC-Hersteller sackten im jüngsten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent ab, an Unternehmenskunden um 7 Prozent und an Privatkunden gar um 34 Prozent. Zudem brachte das glücklose Nokia-Abenteuer vergangenes Jahr einen Quartalsverlust von 3,2 Milliarden Dollar – den größten in der Geschichte des für gewöhnlich hochprofitablen Unternehmens. Als Folge strich es weitere 7800 Arbeitsplätze, zusätzlich zum vergangenes Jahr angekündigten Abbau von 18000 Stellen. Die Jobs fallen überwiegend in der Handysparte weg. Auch die Einführung von Windows 10 geriet zur Pannenshow. Wegen Sicherheitslücken jagte ein Patch das andere.

Nadella, geboren im indischen Hyderabad und seit 23 Jahren bei Microsoft, muss den weltgrößten Softwarekonzern also neu erfinden. Sein Schlachtruf lautet: "Mobile first, cloud first". Er hat den unter seinem Vorgänger Steve Ballmer eingeleiteten Strategiewandel konsequent vorangetrieben. Um sich inspirieren zu lassen, besucht er gern angesagte Start-ups und schließt Abkommen mit ihnen – oder kauft sie gleich ganz, selbst wenn sie gar nicht für Microsoft-Plattformen entwickeln. So hat er unter anderem die auf iOS und Android spezialisierten Jungunternehmen 6Wunderkinder, Sunrise, Mojang oder Acompli übernommen.

"Microsoft hat es geschafft, wieder als ein wichtiger Player wahrgenommen zu werden", lobt Wagniskapitalgeber Brad Silverberg, der von 1990 bis 1999 als Microsoft-Topmanager Produkte wie Windows 95, Explorer und Office verantwortete. "Überdies sind die Mitarbeiter wieder richtig mit Begeisterung dabei."

Kaum ein Produkt symbolisiert den Wandel so gut wie HoloLens: Seit fünf Jahren bastelt Microsoft an der Datenbrille, die holografische Bilder und Objekte in das Blickfeld ihres Trägers einblendet. Sie stellt einen zukunftsweisenden Einsatz für Windows jenseits von PC und Handy dar und sorgte seit ihrer Enthüllung Anfang des Jahres für euphorische Schlagzeilen und überzeugte Tester.

Ein Datum für einen Marktstart gibt es allerdings noch nicht. Die Einführung sei eine "fünfjährige Reise", sagte Nadella kürzlich. Innerhalb der nächsten zwölf Monate will Microsoft die Brille zunächst nur Entwicklern zur Verfügung stellen, später dann auch Unternehmen und zuletzt Privatanwendern. Die Datenbrille dürfte vor allem in Bereichen wie Gaming, Medizin, Architektur, Bildung oder mit Microsofts Internet-Telefondienst Skype angewendet werden. "Menschen werden damit aber kaum durch die Straßen spazieren", prophezeit Microsoft-Marketingchef Chris Capossela.

Nadellas Kurswechsel geht aber weit über solche einzelnen Produkte hinaus. Er will Microsofts ganzes Selbstverständnis verändern. Jahrzehntelang versuchte der Konzern, Kunden an seine Produkte zu binden, indem er die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen verweigerte. Viel Feind, viel Ehr schien das Prinzip zu sein. Nun öffnet sich der Konzern. Das einst Undenkbare ist unter Nadella Programm: Er macht konkurrierende Cloud-Dienste wie Box, Dropbox, NetSuite und Salesforce.com zu Partnern, um mehr Kunden für Microsofts eigene Cloud-Angebote zu gewinnen. Nutzer können nun etwa aus Office heraus direkt auf ihre Dropbox-Dateien zugreifen oder Office-Dateien in der Dropbox-App bearbeiten. Sie werden nicht mehr gezwungen, Microsofts eigenen Speicherdienst OneDrive zu nutzen. Nutzer, die bislang nichts mit Microsoft am Hut hatten, sollen so an die Produkte des Konzerns herangeführt werden.

Auch die konkurrierenden mobilen Betriebssysteme wer-den endlich als Startrampe für Microsoft-Produkte genutzt. Mittlerweile läuft die Büro-App Office 365 auch auf iOS und Android. Microsofts digitaler Assistent Cortana soll folgen. Die E-Mail-App von Accompli wurde in Outlook umgetauft und millionenfach von Nutzern auf iPhones und Android-Handys heruntergeladen. So mancher Tester ist der Meinung, dass Outlook aufgrund zusätzlicher Funktionen und einer "coolen Designsprache" Apples eigene E-Mail-Anwendung übertrumpft.

Microsoft hat sich auch Open Source weiter geöffnet. Das einst von Ballmer als "Krebs" verteufelte Linux etwa ist längst Bestandteil der Strategie. Microsoft war schon 2008 klar, dass vor allem Cloud-Angebote für Firmenkunden in weiten Teilen auf Linux beruhen werden. Heute ist Microsoft einer der größten Mitwirkenden bei der Weiterentwicklung des freien Betriebssystems. Selbst eigene Software wie die Entwicklungsumgebung ".Net" veröffentlicht der Konzern mittlerweile als Open Source.

Zudem öffnete Microsoft die eigene Cloud-Plattform Azure für Linux-Anwendungen freier Entwickler. Experten wie Florian Leibert sind begeistert: "Es ist ein fundamentaler Wandel, dass Microsoft Open-Source-Angebote wie Linux derart akzeptiert", sagt der Schweinfurter Mitgründer des Start-ups Mesosphere. Das Unternehmen hat eine Art Betriebssystem für Rechenzentren entwickelt, das verteilte Server wie ein einzelnes Gerät verwalten kann. Zu den Kunden gehören Airbnb und Twitter. "Unsere Software läuft nicht auf Windows, sondern auf Linux, aber sie kann jetzt auch auf der Azure-Plattform genutzt werden", sagt Leibert. Mittlerweile läuft etwa ein Fünftel der Azure-Anwendungen unter Linux.

"Satya macht Dampf", kommentiert auch Aaron Levie, Gründer und CEO des Online-Speicherdienstes Box. Nach Jahren der Misserfolge ist die Skepsis allerdings noch nicht verflogen. "Nadella muss sicherstellen, dass der Wandel tatsächlich fundamental ändert, wie Microsoft Innovationen umsetzt oder Partnerschaften und Open Source angeht."

Wie radikal der Wandel ist, zeigt ein Blick auf Windows 10. Das Update von Windows 7 oder 8.1 ist für Privatanwender und Kleinunternehmen innerhalb des ersten Jahres kostenlos. Der Konzern verzichtet also auf beträchtliche Lizenzeinnahmen, damit möglichst viele der weltweit 1,5 Milliarden Windows-Nutzer auf die neue Version umsteigen. Das Ziel sind eine Milliarde Geräte mit Windows 10 in den nächsten zwei bis drei Jahren. Nadellas Kalkül: Je mehr Anwender Windows 10 nutzen, desto größer die potenzielle Kundschaft für kostenpflichtige Spiele, Office-Versionen und anderer Zusatzprogramme. Und desto attraktiver wird Windows für die Entwickler von Apps, was das gesamte Microsoft-Ökosystem wiederum für Endkunden interessanter macht.

Insbesondere Unternehmen dürfte das bewegen, auf leistungsfähigere kostenpflichtige Windows-Versionen aufzurüsten. Eine Aufwärtsspirale käme in Gang. Viele Analysten sind zuversichtlich, dass die Rechnung aufgeht. "Wenn das neue Modell in Schwung kommt, wird der Markt seine Stärke erkennen", glaubt Todd Lowenstein, Portfolio-Manager beim Vermögensverwalter Highmark Capital Management, der Microsoft-Aktien besitzt. "Microsoft wird von stabileren Umsatzströmen, geringeren Lieferkosten, weniger Raubkopien und einem viel größeren Marktpotenzial profitieren, da Windows 10 auf allen Gerätekategorien läuft, nicht nur auf PCs." HoloLens mag also lediglich das Symbol des Wandels sein – aber ein durchaus passendes: Microsoft ist wieder drauf und dran, der IT-Welt eine neue Dimension zu öffnen.

(jle)