Mikromaschinen als Helfer im Körper

Ein MIT-Spinoff testet so genannte "smarte Implantate", die Wirkstoffe direkt im Körper ausliefern können – automatisch und auf Anweisung von Sensoren.

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Von
  • Kevin Bullis

Nach fast einem Jahrzehnt Arbeit an mikroelektromechanischen Systemen (MEMS) für medizinische Implantate kann das US-Start-up MicroChips erstmals Prototypen für seine kommerzielle Produktion zeigen. Bis Anfang Januar sollen Tierversuche mit einer Komponente starten, mit der sich Knochen, die durch Osteoporose geschädigt wurden, heilen lassen. In anderthalb Jahren könnten außerdem klinische Studien an einem Implantat zur ständigen Überwachung des Zuckerspiegels bei Diabetikern beginnen.

Das Gerät, mit dem ein Anti-Osteoporose-Medikament automatisch abgegeben wird könnte langwierige tägliche Injektionen durch eine einzige ambulant vorzunehmende Implantation ersetzen. Der Glukose-Sensor soll wiederum durch die ständige Überwachung des Körpers Spitzen im Blutzucker-Niveau erkennen, die sonst unentdeckt blieben. Genau diese können, sollten sie unbehandelt bleiben, nämlich zu Organschädigungen führen – auch zum Erblinden.

MicroChips-CEO John Santini begann Mitte der Neunzigerjahre während seiner Zeit als Masterstudent am MIT damit, kleine Geräte zu entwickeln, die Chemikalien aus einem von Dutzenden Reservoirs abgeben können. Sie werden mit herkömmlichen lithographischen Verfahren aus der Chiptechnik hergestellt. Die Überführung dieser Technologie in kommerziell tragfähige Produkte erwies sich allerdings als langwieriger Prozess.

Santini und sein Team mussten viele Hürden überwinden. Dazu gehörte, Medikamente (und Sensoren) so lange zu schützen, bis sie freigegeben (oder ausgefahren) werden. Um dies zu erreichen, musste der gesamte elektronische Bereich hermetisch verschlossen werden – darunter der Funkempfänger zur Kontrolle und die MEMS-Reservoirs und Deckel. Würde man diese nur verschweißen, wären Temperaturen notwendig, bei denen die verwendeten Enzyme und Peptide beschädigt würden. Deshalb entwickelte MicroChips einen Prozess der so genannten "kalten Kompression", die nicht zu zerstörende Bindungen schafft.

Die weiteren Herausforderungen hatten damit zu tun, passende Anwendungen zu finden, die von der MEMS-Technologie tatsächlich profitieren konnten. MicroChips fand heraus, dass die Technologie eine Antwort auf ein "enorm ärgerliches Problem" sein könnte, dass die Forscher bei Medtronic seit Jahren beschäftigt. Der mehrere Milliarden Dollar schwere Implantate-Hersteller plante einen Sensor, der das Glukose-Niveau im Körper ständig überwacht. Das sei lange nicht möglich gewesen, sagt Stephen Oesterle, Senior Vice President für Technologie bei dem Unternehmen und heute Mitglied im MicroChips-Aufsichtsrat. Der Grund: Die enthaltenen Komponenten zersetzten sich mit der Zeit.

Höchstens einen Monat lang lieferten die Sensoren verlässliche Daten. MEMS könnte hier eine Lösung sein: So ließe sich eine ganze Sammlung von Sensoren zusammenfassen, von denen jeweils nur einer aktiviert werden muss. Er wird dann von einer eingebauten Elektronik ausgelesen und die Daten per Funk an einen externen Monitor weitergegeben. Nach einer gewissen Zeit wird dann einfach der nächste frische Sensor aktiviert.

Im Fall der Osteoporose-Behandlung ermöglicht die MEMS-Technik, Medikamente abzugeben, für die sonst zahlreiche Injektionen notwendig wären. Das Nebenschilddrüsenhormon ist der einzige in den USA zugelassene Wirkstoff, der dem Körper helfen kann, Schäden, die durch die Krankheit entstanden, wieder zu reparieren – es stoppt die Osteoporose also nicht nur. Das Problem laut Santini: Das Medikament kann nicht schrittweise mit einem konventionellen Injektionssystem abgegeben werden. Verbleibt der Stoff ständig im Körper, wird sogar der Abbau von Knochen befördert – der Zustand des Patienten wird also schlimmer als besser. Deshalb sind regelmäßige Injektionen im Krankenhaus notwendig, bis zu 500 an der Zahl. Die MicroChips-Technologie ermöglicht nun, jeweils kleine Stöße des Wirkstoffes automatisch abzugeben. Der enthaltene Chip kann so programmiert werden, dass er das Medikament in regelmäßigen Intervallen abgibt. Auch hier ist eine Kontrolle per Funk möglich.

Diese beiden Anwendungen sind nur der Anfang einer ganzen Reihe praktischer Anwendungen für die Technologie. Sie ließe sich für diverse weitere Sensoren nutzen – etwa zur Früherkennung von Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Möglich wäre auch die Abgabe von Medikamenten als Antwort auf die Signale integrierter Sensoren. Sprich: Bei Diabetes könnte der Glukose-Sensor mit einer Insulinpumpe verknüpft werden. Ein solches System würde laut Oesterle stärker dem entsprechen, wie der Körper selbst den Blutzucker reguliert. (bsc)