Missing Link: Das Phantom der Polizei, oder: die Digitalisierung der Phantombilder

Ein schwieriges Unterfangen: Zeugenaussagen zu Phantombilder machen, die dann möglicherweise in die Öffentlichkeit gegeben werden. Die Digitalisierung hielt auch hier Einzug - und neue Aspekte wie Datenspeicherung und Persönlichkeitsrecht.

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Missing Link: Das Phantom der Polizei, oder: Wie Phantombilder digital entstehen und wo die Probleme liegen
Lesezeit: 40 Min.
Von
  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

Zeichnen Sie mal ein Portrait! Wenn Sie nicht zufällig ein Naturtalent sind oder Ihnen mal jemand gezeigt hat, wie das funktioniert, dann merken Sie schnell, dass dies ganz schön kompliziert ist. Erstens sind vielen Menschen die Proportionen eines menschlichen Kopfes gar nicht bewusst – zum Beispiel platzieren sie beim Zeichnen die Augen nach oben, obwohl die sich ungefähr in der Mitte befinden. Zweitens ist es sehr schwierig, ein Gesicht, das man vor dem inneren Auge hat, zu Papier bzw. zu Computer zu bringen. Phantombildzeichner, genauer: Phantombildersteller (gezeichnet wird kaum noch) bei der Polizei haben den noch schwierigeren Job, aus der mündlichen Beschreibung eines Dritten ein Portrait von jemand zu entwickeln, den sie selbst womöglich nie gesehen haben.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Erstaunlicherweise nutzen die bundesdeutschen Polizeibehörden dafür ganz unterschiedliche Methoden und Computerprogramme: 2D oder 3D?Ausgehend von einzelnen Elementen oder von einem ganzen Gesicht? Sie verfolgen sogar unterschiedliche Ziele für die entstehenden Bilder: schwarz/weiß oder farbig? Möglichst ähnlich oder mit Raum zur Interpretation? Zudem blicken die Mitarbeiter auf sehr unterschiedliche berufliche Herkunft und Ausbildung zurück.

Und während die Öffentlichkeitsfahndung mit Phantombildern sich bundesweit nach §131b StPO richtet und unter Richtervorbehalt steht, unterscheiden sich die Gepflogenheiten der Landeskriminalämter je nach Polizeirecht darin, wann und warum sie Bilder erstellen lassen und wie lange sie diese speichern.

Einen Übeltäter fängt man leichter, wenn man weiß, wie er aussieht. Darum arbeitet die Polizei seit langem mit Beschreibungen. Zunächst fragte man Zeugen und arbeitete mit denen mündlichen Beschreibungen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fingen freie Künstler an, für die Polizei aus solchen Beschreibungen Portraits zu zeichnen. Das, so drei Mitarbeiter des LKA Hamburg, "etablierte sich recht schnell als unverzichtbarer Teil der Ermittlungsarbeit, sodass die Polizei bald eigene Grafiker beschäftigte," schreiben Jan Esdor, Enken Nissen und Norbert Schulz in "Erfindergeist im LKA 38. PHES - Das neue Phantombildsystem kommt aus Hamburg". (Polizei Hamburg: Polizeibericht 2010, Hamburg 2011, S. 78 ff.)

Allerdings brauchte man dafür geübte Zeichner, ihre Arbeit dauerte lange, und der Zeuge musste genaue erzählen, wie der Mensch aussah. Diese Aussagen waren schwierig zu bekommen, selbst wenn der Polizist oder Grafiker die Kunst beherrschte, Zeugen geschickt zu befragen: "Deshalb wurden Systeme erfunden, die mit Bildvorlagen arbeiten." So konnte ein Zeuge Beispielbilder betrachten und daraus auswählen, was er passend fand. Ein frühes derartiges System war das Stecksystem.

Seit den 1990er Jahren, also ungefähr 100 Jahre nach dem Aufkommen der Phantombilder, hat die Digitalisierung der Behörden auch dieses Feld erreicht. Dabei gibt es, grob gesagt, zwei Arbeitsweisen: die Elementmethode und die Ganzgesicht-Methode. Manche Programme wurden explizit zur Erstellung von Phantombildern entwickelt, andere werden von den Behörden genutzt, weil sie zufällig geeignet sind. Eine dritte Möglichkeit für Phantombilder sind Dummies.

Wohl alle LKAs arbeiten mit Adobe Photoshop. Adobe Bridge CC gibt es als Unterstützung, um die Inhalte – Dateien und Assets – zentral zu verwalten, persönliche Assets und Team-Assets zu organisieren, im Stapel zu bearbeiten, oder Fotos bei Adobe Stock heraufzuladen. Manche LKAs wie etwa Berlin nutzen Photoshop als Grundlage für ein Phantombild, andere wie zum Beispiel das LKA Hessen bearbeiten damit ein Phantombild, das mit einer anderen Software, dort FaceGen, quasi in Kladde erstellt wurde.

Antje Schumacher ist Phantombildzeichnerin beim Berliner LKA. Startbild ist ein 14 Zentimeter langer so genannter "Gesichtskanon", eine Vorgabe für die Proportionen. Sonst ist nichts vorgegeben – außer den Ohren, "denn an die erinnert sich fast kein Zeuge, außer sie sind extrem auffallend", sagt Schumacher.

Zunächst bringt sie einige grundsätzliche Angaben in Erfahrung: Geschlecht, Alter, Größe, Statur, Nationalität, Hautfarbe, Augenfarbe, Besonderheiten wie Tätowierungen oder Narben, Bekleidung (Oberteil, Kopfbedeckung, Brille). Auf dieser Basis beginnt sie das Phantombild an ihrem Bildschirm. Mit Tastatur und Maus holt sie passende Gesichtsteile aus der Datenbank, und mit einem Tablet-Stift zeichnet sie direkt an einem Wacom Grafik-Tablett, was der Zeuge ihr beschreibt. Vor dem Zeugen steht ein eigener Bildschirm, an dem er mitverfolgen kann, was sie erschafft.

"Wir arbeiten mit Adobe Photoshop und der Verknüpfung Bridge", sagt Frau Schumacher. "Das ist in Prinzip der Explorer. Dort sind einzelne Gesichts-Elemente hinterlegt. Das LKA Brandenburg etwa hat eine ganze Bibliothek erstellt."

Was man leicht vergisst, sind Flächen. War die Haut rein oder picklig? Hell oder dunkel? "Hautflächen" beinhalten Augenflächen, diese wiederum Augenfalten und Schatten, Lid, Wimpern, es gibt Wangenflächen, Halsflächen, Kinnflächen, Mundflächen, Stirnflächen, und natürlich immer Hautbesonderheiten wie Narben, Pickel oder Sommersprossen ... Alles machbar.

Auch haarig. Aber weniger für ein Phantombild geeignet.

(Bild: U. Leone, gemeinfrei )

Photoshop bietet eine Reihe von Werkzeugen. Wenn ein Zeuge über den Täter sagt, "der war ja ganz nett", dann zieht sie mit dem Verflüssiger etwa Mundwinkel hoch, so dass der Täter lächelt. Und wenn aus den über 190 Frisuren keine die beschriebenen Geheimratsecken hat, wählt sie die ähnlichste Frisur und schiebt Haare an den Schläfen hoch, so dass Geheimratsecken entstehen. Mit der Transformationssteuerung transformiert sie die eingefügten Elemente, macht sie breiter oder schmaler, größer oder kleiner. Sie kann auch ein Raster auflegen und einzelne Punkte verschieben. Mit dem Wischfinger gibt sie Falten einen Schatten.

Haare und Bärte können eine echte Herausforderung darstellen, "Haar sind unglaublich schwer zu zeichnen", sagt Frau Schumacher, "da muss man auch wissen, wie ein Bart überhaupt wächst. Früher wurde jeder Punkt einzeln gezeichnet, jetzt besteht der Strich selbst auf dem Tablett aus einer Reihe einzelner Stoppeln". Es gibt verschiedene Pinsel, wie etwa eine Art digitalisierter weicher Bleistift: Wenn man mehrmals malt, wird die Fläche dichter und dunkler. Andere Stifte lassen eine Linie aus lauter Bartstoppeln entstehen, nach Wunsch Zwei- oder Viertagebärte. Sie verstellt die Bildauflösung von 1654 × 2283 Pixeln bei normaler Bildbearbeitung auf 5000 × 6900, wenn sie sehr feine Striche zeichnen will.

Manches wirkt auch erst einmal unwahrscheinlich, sagt sie: "Manchmal beschreiben uns die Zeugen jemanden, und man denkt, das kann gar nicht sein. Aber der Zeuge entscheidet. Es gibt ja auch keine exakte Norm von Gesichtern."

In ihrem Büro liegt ein großes Foto mit Hinweisen auf die Gesicht-Alterung. Salopp gesagt: Die Schwerkraft wirkt. Alles rutscht. Das Oberlid sackt, vielleicht entsteht ein Schlupflid, das Auge wird kleiner. Das Unterlid rutscht auch, Tränensäcke oder Falten bilden sich. Der Mund wirft Falten, und ... Was rutscht in welchem Lebensjahrzehnt wie weit nach unten? Wenn Menschen verschwinden, will man zum Beispiel nach zehn Jahren ihre Gesichter so darstellen, wie sie dann aussehen könnten. Vor allem bei der Suche nach verschwundenen Kindern soll dies helfen.

Oft gehört nicht nur das Gesicht zum Bild, sondern man braucht auch Accessoires, bei den Kopfbedeckungen etwa Basecap, Hut, Mütze, Sonstiges. Da sich gelegentlich falsche Polizisten herumtreiben, findet man auch eine Polizeimütze. Wenn noch nichts Passendes vorhanden ist, findet sie etwas im Internet und speichert es in ihrer Datenbank. Zunächst entsteht noch keine Datei, sondern unterschiedliche Ebenen, die übereinander liegen, und die sie einzeln bearbeiten oder verschieben kann. Dabei achtet sie auf eine logische Reihenfolge, die Ebene mit der Frisur muss über derjenigen mit dem Kopf liegen, nicht darunter. Wenn sie die Ebenen nicht mehr einzeln bearbeiten muss, fasst sie diese zu einer einzigen Datei zusammen.

Auch Joachim Wendt, der Phantombildersteller im LKA Schleswig-Holstein, arbeitet mit einem Wacom-Tablett und nutzt Photoshop und Bridge als Grundlage. Er speichert Vorlagen in den Ordnern, die er immer wieder ändern kann. Das summiert sich, beispielsweise hat er inzwischen mehr als 2000 unterschiedliche Augenpartien. "Ich war selber überrascht, die guckt man sich mit keinem Menschen alle an. Vorher redet man man miteinander. Ich habe auch viele Nasen und Ohren, aber da habe ich mir das Zählen erspart." Einige Phantombildzeichner verwenden oft Photomontagen, "ich mache das inzwischen weniger, ich bin eher der Zeichner". Auch wenn er das Bild einer Jacke im Internet recherchiert, zeichnet er so lange daran herum, bis sie passt.

Welche Augen dürfen's denn sein?

(Bild: Breanna Whimsy, gemeinfrei)

Über Photoshop hinaus nutzt er manchmal FaceGen: "Nur, um zu verstehen, welche Perspektive mein Besucher hatte. Zum Beispiel eine Sicht von schräg hinten, da verrutschen die Frisur oder das Tattoo." Wenn das getan ist, arbeitet er in Photoshop weiter. Neben Photoshop und FaceGen setzt er Dummies ein, "nicht so exzessiv, weil die immer gleich komplette Köpfe zeigen, und ich bin eher formen-orientiert." Und falls seine Anlage streikt, zeichnet er auf Papier.

Die zwei Phantombildzeichnerinnen des Bayerischen LKA fertigen etwa 15 bis 25 Phantombilder pro Jahr für verschiedene Dienststellen mit Photoshop an. "Es bietet alle Möglichkeiten, um das Täterbild so darzustellen, dass der Zeuge alle seine noch vorhandenen Erinnerungen einbringen kann." In einigen Fällen arbeitet das LKA auch mit fotorealistischen Dummie-Bildern, sogenannten Photo-Composings. "Diese kommen für Wiedererkennungszeugen in Frage, da diese mit der freien Beschreiben aus dem Gedächtnis oft größere Schwierigkeiten haben." Die Datenbank enthält unterschiedliche Bilder von je ungefähr 960 Augenpaaren, 330 Nasen und 350 Mündern.

Die Phantombildzeichner des LKA Nordrhein-Westfalen arbeiten mit Photoshop und der Datenbank Photoshop Bridge. "Mit der Bridge verwalten wir unsere ca. 4000 Grundbilder." Zunächst würden Geschlecht, Alter und Ethnie geklärt, dementsprechend etwa 150 bis 200 Grundbilder ausgesucht. Von diesen "lässt sich der Zeuge in einer ersten Phase inspirieren und sucht die Gesichter heraus, die in bestimmten Bereichen wie Blick, Kopfform und Frisur eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen", heißt es beim LKA. "Der Zeuge braucht also nicht aktiv zu beschreiben, sondern erst mal nur passiv zu erkennen. Aus diesen Bildern wird dann in einer zweiten Phase mit Photoshop das Bild erstellt, nach dem Prinzip "Try and Error". Man kann unsere Arbeit also in eine Inspirationsphase und eine Experimentierphase unterteilen."

Viele LKAs arbeiten mit FaceGen in der Version Modeller, einer Software, die animierbare 3D-Gesichter und -Köpfe generiert. Die 3D-Modelle und Texturen kann man über verschiedene Vorgaben wie Herkunft, Alter oder Geschlecht anpassen. Mit einem Schieberegler lassen sich Alter, Geschlecht (sehr männlich, männlich, weiblich, sehr weiblich), Karikatur (nein, typisch, Karikatur, Monster), Asymmetrie (nein, typisch, asymmetrisch, Monster) und so weiter variieren. Die Modelle kann man dann in andere Formate übertragen, um etwa in Photoshop eine Frisur hinzuzufügen.

"Im LKA Niedersachsen arbeiten zwei Polizeizeichner, die im Auftrag der ermittelnden (Flächen-) Dienststellen nahezu täglich in ganz Niedersachsen unterwegs sind und als Serviceleistung des LKA vor Ort mit Hilfe der Zeugen oder Opfer ein Phantombild erstellen", heißt es beim LKA. "Die Vorgehensweisen bzw. Methoden und Grundlagen bei der Erstellung werden jeweils fallspezifisch abgestimmt – es handelt sich bei den Inhalten jedoch leider zum überwiegenden Teil um Polizeiinterna, auf die wir nicht näher eingehen können."

Liane Bellmann ist die einzige hauptamtliche Phantombildzeichnerin im Hessischen LKA. Sie ist, ebenso wie Antje Schumacher, keine Polizeibeamtin, sondern Angestellte. Das führt mit sich, dass sie keine Vernehmungen durchführen darf, sondern nur Befragungen zur Sache beim Phantombild. Sie arbeitet mit FaceGen, "ein wunderbares Medium", sagt sie, "man kann die Zeugen fast photorealistisch abholen, aber sie wissen auch, dass es nur ein Modellkopf ist und nichts mit dem zu tun hat, was sie gesehen haben."

Innerhalb von "fünf bis zehn Minuten, das geht schnell" hat sie den Kopf erstellt, mit Form, Breite, und den groben Gesichtszügen. Wenn sie damit fertig und der Zeuge mit diesem Teil zufrieden ist, wechselt sie zu Photoshop und arbeitet sich von oben nach unten durch: Haare, Stirnhöhe, Augenbrauen, Augen, Nase, Mund ...

Am Schluss überprüft sie mit dem Zeugen noch einmal die Kopfform, "wenn der Mund zum Beispiel breiter ist, dann wirkt der Kopf schmaler", so etwas passt sie dann an. "Wir sind extrem interessiert daran, dass der Zeuge es so leicht wie möglich hat", sagt sie, "denn der Zeuge ist der Schlüssel zum Bild. Da ist FaceGen toll."

Bei Facette Face Design System handelt es sich um ein explizites Phantombildprogramm, für das Phantombildzeichner und Kriminaltechniker zusammengearbeitet haben. Nach Angaben des Herstellers indenti.net Internet + Software Services im österreichischen Hard wurde es erstmals 1986 vorgestellt, erster Anwender war die Guardia Civil im Madrid, drei Jahre später schloss sich das Bayerische LKA an. Die aktuellste Version 8.6.5 ist seit 2017 auf dem Markt und hat eine Schnittstelle zu Photoshop.

In Sachsen-Anhalt erstellen 16 Mitarbeiter jedes Jahr etwa 120 Phantombilder, eine Mitarbeiterin im LKA, 15 in den Polizeidirektionen; das ist nicht ihre einzige Aufgabe. Sie nutzen Facette und als weiteres Hilfsmittel Adobe Photoshop CC; Dummies aus unterschiedlichen Bildern dagegen nicht. Die eingesetzte Software bietet rund 2300 verschiedene Merkmale.

In Thüringen erstellen zwei Mitarbeiter Phantombilder, im Jahr 2014 waren es 38 Bilder, 2015 erstellten sie 52, 2016 dann 46. Sie nutzen Facette, ergänzend Photoshop. "Es werden 14 Hauptmerkmale verwendet (Gesichtsform, Haare, Augenbrauen, Augen, Nase, Ohren, Mund, Vollmasken, Teilmasken, Kopfbedeckung, Bekleidung, Brille, Bart und Schmuck/Accessoires). Zu jeder Hauptmerkmalsgruppe existiert eine bestimmte Anzahl an Varianten, z.B. Haare (1647); Augen (822) etc. Durch den Anwender kann die Datenbank individuell bearbeitet (erweitert/gelöscht) werden", erklärt das LKA.

Auch I.S.I.S. - Phantom (Interaktives System zur Identifizierung von Straftätern) ist ein spezielles Phantombildprogramm. Das BKA hat es 1994 vorgestellt. Das Bilderstellungs- und -bearbeitungssystem nutzt gescannte oder video-digitalisierte Fotos zur Erstellung von Phantombildern. Das digitale Bildarchiv enthält Gesichter unterschiedlicher ethnischer Gruppierungen, die mit klassifizierenden Merkmalen wie Haarfarbe, Nasengröße, Augenform etc. beschrieben sind.

Damit wird zunächst ein Basisbild ausgesucht, das ungefähr den Zeugenaussagen entspricht. Danach wird das Bild so verändert, wie der Zeuge es angibt, die Nase breiter oder schmaler, die Augen größer oder kleiner, und so weiter. Schließlich wählt man Bärte, Brillen oder Kopfbedeckungen aus und fügt sie in das Gesamtbild ein.

Bildarchiv und Beschreibungskriterien können erweitert werden. Darüber hinaus kann I.S.I.S. mit einer Täter-Lichtbilddatei kombiniert werden. I.S.I.S wurde früher vom BKA und von der Polizei Baden-Württemberg genutzt, heutzutage gilt es als veraltet.

Phantom Element System (PHES)) stellt ein weiteres spezielles Phantombildprogramm dar. Es wurde im Jahr 2003 im Hamburger LKA entwickelt. PHES arbeitet elementbasiert und fotorealistisch, mit Dummies, deren Bildelemente einzeln gespeichert wurden und per Montage zusammengefügt werden. Angewendet wird es mit Adobe Photoshop.

In Bremen fertigen drei Mitarbeiter etwa 10 bis 15 Phantombilder pro Jahr mit PHES an. "Hier werden ausgeschnittene Gesichtsteile aus erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu einem Phantombild zusammengefügt. Die Merkmale werden entsprechend den Aussagen des Zeugen im Erstellungsverlauf angepasst", erklärt das LKA. Weitere Merkmale würden dazugezeichnet oder aus dem Internet hinzugefügt. Es gibt laut Pressestelle etwa 50 bis 150 Varianten pro Merkmal.

Dummies heißen zwar oft "Foto-Dummies", es handelt sich aber nicht um echte Fotos, sondern um Montagen von Bildern von vier Menschen, jeweils Kopf, Augen, Nase, Mund. Die Arbeitsweise mit Dummies ist unterschiedlich, normalerweise werden sie dem Zeugen vorgelegt und die einzelnen Gesichtspartien seinen Angaben entsprechend ausgewechselt und bearbeitet.

In Baden-Württemberg dagegen fertigen 40 Phantombildzeichner (je zwei bis vier in den 12 Polizeipräsidien) jedes Jahr 300 bis 400 Bilder an. Sie nutzen Dummies: "Psychologische Studien besagen, man könne ein Gesichtsteil besser wiedererkennen, wenn man es im Zusammenspiel mit den anderen Gesichtsteilen sieht." Die Dateien sind separat mit Stichworten versehen und so über Adobe Bridge recherchierbar. Bis vor etwa zehn Jahren wurde I.S.I.S. eingesetzt, inzwischen aber von Photoshop und Bridge abgelöst.

In Sachsen fertigen 40 Phantombildersteller ungefähr 500 Bilder pro Jahr. Sie zeichnen mit der Hand oder kombinieren verschiedene Programme. Zunächst wählen sie Einzelkomponenten aus eigenen Bilddatenbanken aus, und zwar Dummies oder FaceGen, die bearbeiten sie dann mit Photoshop. Ihnen stehen ungefähr 6000 Einzelkomponenten (Nasen, Ohren, Frisuren …) zur Verfügung.

In Brandenburg fertigen drei ausgebildete Polizeivollzugsbeamte, die nur Phantombilder (und Sachfahndungsskizzen) erstellen, jedes Jahr ungefähr 300 Bilder. Sie nutzen Photoshop, selten auch FaceGen, außerdem Dummies wie in Baden-Württemberg, eigene handgezeichnete Elemente und Einzelelemente auf Fotobasis, die mit dem Zeugen bei der Erstellung verändert werden.

Für ein Phantombild muss ein Zeuge etwa eineinhalb bis drei Stunden veranschlagen. Gelegentlich wird ihm außerdem eine Täterdatenbank gezeigt, in der er vielleicht den Gesuchten wiedererkennt. Dies sollte in jedem Falle, da sind sich alle Phantombildersteller einig, erst nach der Arbeit am Phantombild geschehen: Sonst können die Erinnerungen an den Täter durch Erinnerungen an irgendwelche Täter aus der Kartei verändert werden: "Visual overshadowing effect", erklärt Rainer Wortmann vom LKA Baden-Württemberg, "schwache Sinneseindrücke werden durch starke überlagert. Womöglich entsteht ein Phantombild dann nicht des Täters, sondern eines Bildes oder Teile davon aus der Datenbank." Ähnlich das LKA Sachsen: "Aus vorliegenden Erfahrungen ist eine der Phantombilderstellung vorgelagerte Bildvorlage zu vermeiden. Die vorhandenen Informationen könnten so teilweise erheblich verfälscht werden."

Wer von der Polizei eingeladen wird, bei einem Phantombild zu helfen, der hat es nicht gerade leicht: Erstens ist er vielleicht Zeuge eines Überfalls geworden oder wurde gar selbst überfallen, er ist erschreckt oder traumatisiert. Dann wird er an die Situation erinnert und muss sich auf ein Gesicht konzentrieren, das er vielleicht fürchtet oder verabscheut. Außerdem stellt die Polizei für die meisten Menschen eine Behörde dar, der man mit Respekt gegenübertritt – manch ein Zeuge wünscht sich keine Autorität, sondern Zuspruch und Trost. Das erschwert die Arbeit.

Joachim Wendt vom LKA Schleswig-Holstein hat sein Büro sehr ungewöhnlich eingerichtet. Während die meisten Kollegen auf 12 Quadratmetern arbeiten, stehen ihm 36 Quadratmeter zur Verfügung.´"Ich habe eine Staffelei, eine Sitzecke, verschiedene Vitrinen, Schränke: alles mögliche, was aber persönlich aussieht. Ich arbeite in einem Zimmer, das nicht kühl wirkt", sagt er. Da Schleswig-Holstein nicht besonders groß ist und das LKA in Kiel einigermaßen zentral liegt, kann er ungefähr 90 Prozent der "Besucher" in seinem Büro empfangen. Zu den anderen, etwa Menschen im Krankenhaus oder jungen Eltern, kann er samt seiner Technik hin fahren.

Brandenburg ist größer, darum werden mit den Zeugen werden "Termine zur Phantombilderstellung vor Ort, zu Hause oder auf der jeweiligen Polizeidienststelle vereinbart." Wenn die Zeugen in der Nähe des LKA sind, entsteht das Bild dort. Beim Phantombild mitzuarbeiten, sei "gut für Opfer und Zeugen", sagt Rainer Wortmann vom LKA Baden-Württemberg, "wenn jemand ein traumatisches Erlebnis hatte, dann ist er oft erleichtert, weil er sich das Gesicht nicht mehr merken muss."

Der Gesichtsausdruck verändert die Erinnerung und die Beschreibung fürs Phantombild

(Bild: Ryan McGuire, gemeinfrei )

Ähnlich das LKA Nordrhein-Westfalen: "Bei dem ersten Zusammentreffen mit dem Zeugen versuchen wir den Umstand, dass wir Respektsperson einer Landesoberbehörde der Polizei NRW sind, möglichst in den Hintergrund zu rücken.". "Die Erstellung von Fahndungsbildern ist zu 10% Technik und zu 90% Kommunikation." Auch wichtig: "Der Zeuge soll nicht den Eindruck haben, die Polizei erwartet ein Ergebnis." Es komme vor, wenn auch selten, dass es nicht klappt. Dann werde abgebrochen. Meist aber funktioniere es: "Während einer Sitzung kann es schon mal (gegen Ende) vorkommen, dass ein Opfer sehr emotional reagiert und weint. Für uns kann dies ein Zeichen sein, dass eine gewisse Ähnlichkeit bereits erreicht ist." Die Phantombildzeichner gehören zum LKA und treffen sich mit den Zeugen in einer günstig gelegenen Polizeidienststelle.

Auch der ganz sachliche Akt des Erinnerns ist nicht einfach. "Wir verwenden beim Phantombilderstellen das so genannte kognitive Interview als Vernehmungstechnik, das wir etwas für unsere Bedürfnisse modifiziert haben", sagt Rainer Wortmann. "Grundlage sind die Erkenntnisse über die Gehirnfunktion, wann und wie Gesichter gespeichert werden, und wie wir sie durch Vernehmungstechnik abrufen können." Der Zeuge ist der Experte: "Wir fragen den Zeugen, was passt, was passt weniger? Wir fragen detailliert, wo sind Sie sicher, wo weniger."

Antje Schumacher vom LKA Berlin: Wenn ein Zeuge ankommt, müsse man ein Gespräch erst einmal aufbauen, sagt sie: "Manche haben Angst, einige sind Opfer." Es gibt aber auch schöne Momente: "Die besten Zeugen sind eigentlich Kinder – haben Sie schon mal mit einem Kind Memory gespielt? Da verliert man grundsätzlich! Kinder haben eine ganz andere Wahrnehmung für Details, die sind super. Das macht Spaß! Andererseits kommt das sehr selten vor – zum Glück, muss man sagen."

Allerdings werden Phantombilder nicht nach jeder Straftat erstellt und veröffentlicht. Zudem sollen sie auch nicht immer und ewig aufbewahrt werden. Der zuständige Sachbearbeiter muss für den jeweiligen Fall entscheiden, ob ein Phantombild sinnvoll ist. Es muss (mindestens) einen Zeugen geben, der willens und in der Lage ist, den Täter zu beschreiben. Und §131b StPO regelt die "Veröffentlichung von Abbildungen des Beschuldigten oder Zeugen": Die Straftat muss "von erheblicher Bedeutung" sein, und die anderweitige Feststellung der Identität des Täters "erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert" sein.

Phantombilder werden, je nach Sachlage und Bundesland, nicht immer auch überall veröffentlicht; manche im Intranet der Polizei, andere in Medien wie Zeitung und Internet. Und sie werden je nach Straftat und Bundesland bzw. Landespolizeigesetz unterschiedlich lange aufbewahrt: Bei der Speicherung von Phantombildern in polizeiinternen Datenbanken "handelt es sich nicht um eine Form der Öffentlichkeitsfahndung", betont die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI): "Öffentlichkeit in diesem Sachzusammenhang ist gekennzeichnet durch einen unbestimmten Empfängerkreis. Bei polizeiinternen Datenbanken steht der berechtigte Empfängerkreis hingegen fest. Die Zulässigkeit einer Speicherung richtet sich nach den Vorgaben des Polizeirechts."

Generell gilt: "Mit einem Phantombild wird eine Zeugenaussage verbildlicht. Die Erstellung und Aussonderprüffristen richten sich nach den Vorschriften über die Zeugenvernehmung. Bei der Zulässigkeit der Speicherung sind sodann drei Fälle zu unterscheiden", heißt es bei der Bundesdatenschutzbeauftragten, je nachdem, um welche Art Akten es sich handelt. Sind es Ermittlungsakten, Akten zum Zweck der Strafverfolgung, oder sogenannte Mischdateien, die sowohl der Strafverfolgung als auch der polizeilichen Gefahrenvorsorge dienen?

Bei der Veröffentlichung von Phantombildern zur Fahndung müssen unter anderem strafprozessrechtiiche Vorgaben, Datenschutz und Persönlichkeitsrecht beachtet werden

(Bild: Gerd Altmann, Lizenz Public Domain (Creative Commons CC0))

"Die Speicherung in den Ermittlungsakten richtet sich nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Aktenführung. Zweck ist hier die Dokumentation ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns. Zum 1. Januar 2018 tritt zudem das Gesetz über die elektronische Akte in Strafsachen in Kraft. Dann können Strafakten auch elektronisch geführt werden." Für die Speicherung in polizeilichen oder staatsanwaltlichen Dateien ausschließlich zum Zwecke der Strafverfolgung gelten die besonderen Regelungen der Strafprozessordnung. Für die Löschung gelten keine Besonderheiten.

Kriterium ist immer, wie lange die Daten für den zugelassenen Zweck erforderlich sind. Eine detaillierte Regelung u.a. für den Fall der Erledigung eines Strafverfahrens enthält §489 StPO. Darin sind auch abgestufte Aussonderungsprüffristen geregelt. Die tatsächliche Aufbewahrungsdauer kann von Einzelfall zu Einzelfall variieren.

Für die Speicherung in Mischdateien, die sowohl der Strafverfolgung als auch der polizeilichen Gefahrenvorsorge dienen, gelten die Regelungen des jeweils einschlägigen Polizeirechts. Dies betrifft alle großen polizeilichen Informationssysteme. Wie lange das Bild gespeichert werden darf, richtet sich nach der Erforderlichkeit für den mit der Speicherung verfolgten Zweck. "Das ist bei der Einzelfallbearbeitung und auch hier nach bestimmten Aussonderungsprüffristen zu überprüfen. Damit kann die tatsächliche Aufbewahrungsdauer im Ergebnis von Einzelfall zu Einzelfall variieren", sagen die Datenschützer

Erstaunlicherweise haben mehrere LKAs die Fragen nicht beantwortet, bei wie viel Prozent der Straftaten ein Phantombild erstellt wird, wie hoch dann der Anteil an interner bzw. externer Veröffentlichung ist, und in wie viel Prozent der Fälle Phantombilder zur Aufklärung beigetragen haben. Oft kam eine Antwort wie: "Dazu gibt es keine Statistik."

Das Vorgehen bei Phantombildern ist dabei in einzelnen Bundesländern verschieden. "Die meisten Phantombilder betreffen Kapitaldelikte", sagt beispielsweise Joachim Wendt vom LKA Schleswig-Holstein, "aber es gibt auch Anfragen aus anderen Deliktsbereichen. Die Anfragen kommen vor allem von der Kripo mit deren Straftaten, vereinzelt auch von der Schutzpolizei." Ungefähr die Hälfte werde auch in die Öffentlichkeit gegeben, schätzt er. Man müsse aber eine Veröffentlichung selbst in polizeiinternen Medien mit der Staatsanwaltschaft klären. Die Aufhebungsdauer hänge von der betreffenden Straftat ab, beim Mordfall sei sie in der Regel sehr lang.

Es gibt auch pragmatische Überlegungen, wenn es um die interne oder externe Veröffentlichung geht: "Phantombilder kommen erst mal intern in die Fahndung", sagt Antje Schumacher, "damit nicht jeder Hinz und Kunz anruft und sagt, er habe seinen Nachbarn wiedererkannt." Jeder Polizist kann das Bild im Intranet sehen, "die kennen ja auch ihre Pappenheimer, das sind oft Wiederholungstäter, gerade im Bereich Raub. Einer sagt sich dann, Mensch, das ist doch der Kalle aus dem Wedding, da müssen wir doch mal nachhaken und gucken."

In Niedersachsen wird ein Phantombild meist "in Zusammenhang mit Verfahren der mittleren und schweren Kriminalität erstellt", heißt es beim LKA. Für die Veröffentlichung in den polizeiinternen Medien sei die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich, für eine Öffentlichkeitsfahndung müsse ein richterlicher Beschluss vorliegen. Die Aufbewahrungsdauer eines Phantombildes richte sich nach den "allgemeinen Löschfristen" für polizeiliche Daten. In Sachsen-Anhalt wiederum "gibt es grundsätzlich keine Einschränkung auf bestimmte Delikte oder Deliktschwere." Aufbewahrt würden die Phantombilder "zumindest bis zum Abschluss des Verfahrens", erklärt das LKA. "Ansonsten richten sich die Aufbewahrungsfristen nach den rechtlichen Voraussetzungen."

In Nordrhein-Westfalen werden als Straftaten "von erheblicher Bedeutung" genannt, bei denen ein Phantombild erstellt werden könne: "Tötungsdelikte, Raubdelikte, Sexualdelikte, Körperverletzungsdelikte, Verkehrsunfallfluchten, Seriendelikte, Delikte, die eine besondere Aufmerksamkeit oder Beunruhigung in der Bevölkerung ausgelöst haben, medienwirksame Delikte, Verbrechen und Staatschutzdelikte". Der Sachbearbeiter müsse für die Veröffentlichung in den Medien "nach §131b StPO zuvor über die zuständige Staatsanwaltschaft eine richterliche Genehmigung einholen", betont das LKA Nordrhein-Westfalen. "Das fertige Produkt Fahndungsbildmontage wird der anfordernden Behörde überlassen, die es verantwortlich nutzt. Wir im LKA NRW betreiben diesbezüglich keine Datenspeicherung."

In Brandenburg gibt es laut LKA keinen genauen Straftatenkatalog für die Erstellung von Phantombildern. "Es werden aber nicht nur schwere Straftaten bearbeitet. Grundsätzlich liegt diese Entscheidung bei den ermittelnden Sachbearbeitern der Kriminalpolizei." Diese erhalte die Phantombilder auf Papier und digital. Die Ermittler "entscheiden innerhalb ihrer Dienststellen über die weitere Verwendung (Ermittlung oder Veröffentlichung in den Medien oder InPol). Daher kann der Ablauf jedes Mal anders aussehen." Aufbewahrt würden die Bilder dann entsprechend "Verjährungsfristen der Straftaten".

In Baden-Württemberg würden Phantombilder immer dann erstellt, "wenn wir Straftaten dadurch aufklären können. Das ist straftatenunabhängig", sagt Rainer Wortmann: "Wenn wir einen Zeugen haben, der sich an etwas erinnern kann, mit einer bestimmter Einzigartigkeit: Dann können wir ein Phantombild erstellen. Gerade wenn ein Sachbearbeiter keine oder wenig Hinweise auf den Täter hat. Und wenn er schon einen Täterverdacht hat, kann ein Phantombild den stärken - oder auch schwächen."

Phantombilder werden in der täglichen Lagemeldung im Land veröffentlicht: Polizisten, welche im näheren Umfeld tätig sind, würden 80 bis 90 Prozent der Abgebildeten selbst wiedererkennen. Dabei handelt es sich, betont Wortmann, um "keine Veröffentlichung in dem Sinne, da der Personenkreis bestimmt ist, daher ist kein Richtervorbehalt nötig." Für die externe Veröffentlichung des Bildes gelte dagegen der Richtervorbehalt; eine allgemeine Veröffentlichung von Phantombildern sei Delikten wie Körperverletzung, Raub, Mord und Serientaten vorbehalten. Nur etwa 10 bis 20 Prozent der Bilder werden extern veröffentlicht. Die Aufbewahrungszeit richtet sich nach den Datenschutzrichtlinien für die Fallakte.

Polizeiarbeit ist Ländersache, und im bundesdeutschen Föderalismus unterscheiden sich die Polizeibehörden sogar darin, wer wie Phantombildersteller wird. In Berlin und Hessen etwa sind es Angestellte, anderswo Polizeibeamte. Meist haben Stadtstaaten und kleine Länder wie Hessen und Schleswig-Holstein eher einen Phantombildersteller, und wenn es doch mehrere sind wie in Berlin (derzeit sieben), dann erfüllen diese auch andere Aufgaben. Die großen Flächenländer dagegen beschäftigen im allgemeinen mehrere Phantombildersteller, die vielleicht auch den einzelnen Polizeidirektionen angehören.

Unterschiedlich ist auch, was wann wo und wie gelernt wird. "Es gibt in dem Bereich des Polizeizeichners nicht DIE Ausbildung", meint man beim LKA Niedersachsen. "Eine für alle Bundesländer einheitliche und standardisierte Ausbildung für Phantombildzeichner ist nicht existent", ergänzt das LKA Thüringen. Kurz: Phantombildzeichner ist kein Beruf wie etwa Zahnarzt, Anwalt, Pfarrer oder Dachdecker. Es gibt keinen vorgeschriebenen Ausbildungsgang mit abschließenden und berufsqualifizierenden Prüfungen.

Vor allem wird ganz unterschiedlich gehandhabt, wer und nach welcher Ausbildung dies tut. Die meisten dürften eine Kombination mehrerer Ausbildungswege absolviert haben, je nach der Organisation und den Möglichkeiten ihrer Behörde sowie den genutzten Methoden und Programmen, in deren Gebrauch sie ausgebildet werden mussten.

Wohl alle Phantombildersteller sollten eine gewisse Begabung fürs Zeichnen haben. Joachim Wendt hat sogar bei einem Kunstmaler gelernt. Einige seiner Kollegen haben Lehrgänge in den USA besucht, beim FBI an seiner Akademie in Quantico/Virginia, beim National Center for Missing and Exloited Children (NCMEC) mit Kursen in Tampa/Florida, oder bei beiden Institutionen. In Deutschland sind sie als Multiplikatoren tätig und geben weiter, was sie gelernt haben.

Liane Bellmann vom LKA Hessen unterrichtet heute selbst Polizeistudenten. In ihren Kursen sensibilisiert sie die angehenden Phantombildzeichner dafür, wie schwierig der Job eines Zeugen ist. "Es ist wichtig, dass die Schüler ein Gespür dafür bekommen, wie schwierig es ist, sich an jemand zu erinnern." Außerdem üben die Studenten ihre spätere Rolle: Wenn sie jemand vernehmen, dürfen sie keine Suggestivfragen stellen.

Auch Bellmanns Kollege Rainer Wortmann vom LKA Baden-Württemberg hat in den USA gelernt. Zusammen mit der Psychologin Heike Mendelin, die mit einer Arbeit zum Thema Phantombilder promoviert wurde, hat er das gerade erschienene Buch "Phantombilder" geschrieben. In seinem Bundesland ist der Kriminalhauptkommissar Fachkoordinator für Phantombilder. "Baden-Württemberg ist derzeit fast das einzige Land weltweit, welches eine Ausbildung zum Phantombildersteller anbietet", sagt er, Teilnehmer seien auch Besucher aus anderen Bundesländern sowie aus dem Ausland wie etwa den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz und Kroatien.

Andere Bundesländer bieten innerpolizeiliche Lehrgänge an. Spezialkurse wie etwa Handzeichnen, Photoshop, Face Gen, Proportionslehre, Gesichtsrekonstruktion, Aging etc. auch für Phantombildersteller aus anderen Bundesländern gibt es in Niedersachsen, Sachsen, Hessen, Niedersachsen, und Sachsen-Anhalt – an der dortigen Fachhochschule der Polizei wurde im Jahr 2012 sogar ein Spezialworkshop "Aging" in englischer Sprache mit einem Mitarbeiter des NCMEC als Dozent durchgeführt.

Die "Branche" ist klein, jeder kennt jeden. Alle zwei Jahre finden bundesweite Fachtagungen mit ungefähr 30 bis 50 Teilnehmern statt. An diesen nehmen je nach Bundesland die Phantombildzeichner teil, oder, etwa im Falle von Sachsen-Anhalt, der Fachkoordinator als Multiplikator. Die letzte Tagung fand im Mai 2017 in Hamburg statt.

Die Polizei nutzt Phantombilder, um jemand zu identifizieren. Die Frage ist, wie das am besten gelingt:
Ähnlich oder mit Raum für Interpretationen? Fotorealistisch oder nicht? "Oft wird die Qualität eines Phantombildes von einem Laien und einem Fachmann unterschiedlich bewertet", erläutert dazu das LKA Nordrhein-Westfalen zur "Philosophie" des Phantombildes: "Während bei laienhafter Betrachtung ein 1:1-Abbild mit dem Täter gesucht wird, sieht der Phantombildnutzer das Ergebnis im Kontext mit den Aussagen des Zeugen, dem Tatsachverhalt und den sich daraus ergebenden Ermittlungsansätzen. So ist z.B. aus polizeilicher Sicht eine 'unscharfe' Darstellung sinnvoll, um dem Betrachter und potentiellen Hinweisgeber entsprechenden Entscheidungsspielraum zu geben, ob er die Person tatsächlich kennt. Ziel eines Phantombildes ist es nicht, ein Abbild des Täters zu reproduzieren (was aufgrund unterschiedlicher Faktoren, wie Wahrnehmung, Kommunikation, Umwelteinflüsse und Stress selten gelingt), sondern vielmehr ein Bild, das den potentiellen Hinweisgeber veranlasst, zur Aufklärung der Tat beizutragen. Eine Fahndungsbildmontage ist also kein Beweismittel, sondern ein Fahndungshilfsmittel."

Ähnlich Antje Schumacher vom LKA Berlin: "Es ist ein Phantombild! Kein hundertprozentiges Abbild." Stattdessen müsse man sich langsam an einen Typ "herantasten, der vielleicht nur ähnlich aussieht." So könne man eventuell aber auch andere Tatverdächtige ausschließen. Manchmal gibt es zwei Zeugen, dann entstehen zwei Bilder und die Typen sind gleich – oder auch nicht, denn "die Wahrnehmung ist bei jedem Menschen anders: Brille oder nicht? Vollbart oder Dreitagebart?" Der Zeuge soll das fertige Bild für den Sachbearbeiter bewerten: Nicht ähnlich, ähnlich, sehr ähnlich. Dann wird entschieden: Wird es genutzt? Intern? Oder wäre es auch für eine Öffentlichkeitsfahndung geeignet?

Liane Bellmann vom LKA Hessen wägt ab: "Die Wiedererkennung von so einem Bild braucht viel Phantasie." Phantombilder werden von sehr unterschiedlichen Menschen betrachtet. Das berücksichtigt sie: "Es gibt viele Menschen, die Bildbearbeitung gar nicht kennen." Wenn so jemand dann ein Phantombild sieht, das aus Dummies erstellt wurde, das also wirklich wie ein Photo aussieht, "dann kann es passieren, dass er drauf guckt und sagt, den kenn ich nicht. Das ist die Gefahr, der Nachteil bei fotorealistischen Darstellungen." Aber auch gezeichnete Phantombilder bärgen Risiken: So ein Bild könne ein Betrachter im Geiste zum Gesicht seines Nachbarn "verarbeiten". Sie arbeitet mit FaceGen, das Programm vereine beide Vorteile in sich: Ähnlichkeit, aber man sehe, dass es kein Foto ist. "Wenn ein Zeuge sagt, jetzt sieht es aber gemalt aus, dann sage ich, so soll es sein."

In Thüringen und Sachsen-Anhalt sind Phantombilder schwarz/weiß. Ebenso in Bayern, "um den Betrachtern keine ungenauen Details vorzugeben. So stellt sich beispielsweise der Hautton je nach Tageslicht anders dar. Auch die Augenfarbe kann je nach Umgebungslicht variieren."

So arbeiten die meisten – aber Ausnahmen bestätigen die Regel: Baden-Württemberg veröffentlicht Phantombilder zwar auch grundsätzlich in schwarz/weiß, aber bei einem hohen Wiedererkennungswert wie einer besonders roten Gesichtsfarbe oder T-Shirts in einer bestimmten Farbe auch mal farbig. Auch hier soll das Bild aber nicht wie ein Photo aussehen, "damit der Betrachter größeren Entscheidungsspielraum hat, ob er eine Person kennt oder nicht", sagt Rainer Wortmann.

Ähnlich geht Joachim Wendt vom LKA Schleswig-Holstein vor, wegen der Zeugen: "Das geht beides, aber ich arbeite am Anfang schwarz/weiß." Wenn er Frisur und Kopfform kombiniert, kann er die Merkmale noch leicht einander anpassen. Aber mit einem Farbton kombiniert er etwas sehr anderes, das werde schwierig. Farben könnten jedoch auch sehr wichtig werden, "je nach Erinnerung der Person, etwa bei einem Täter mit hellgelben oder grünen Haaren." In Brandenburg beispielsweise sind Phantombilder meistens schwarz/weiß und nur dann farbig, wenn der Zeuge es will (etwa, um ein rotes Basecap hervorzuheben).

"Farbbilder beinhalten eine gewisse Problematik hinsichtlich der Wahrnehmung in unterschiedlichen Lichtsituationen sowie der Darstellung auf diversen Monitoren und in Printmedien. Insofern wird eine farbliche Darstellung eher vermieden, es sei denn, ein besonderes Merkmal, etwa eine Hautrötung, soll deutlich dargestellt werden", erklärt das Landespolizeipräsidium Saarland.

Es gibt offensichtlich kaum oder keine Statistiken, sondern höchstens Schätzungen darüber, wie erfolgreich der Einsatz von Phantombildern ist, wie viele Festnahmen die LKAs verzeichnen, und ob ein dafür eingesetztes Phantombild polizei-intern oder extern veröffentlicht wurde.

Antje Schumacher und ihre Kollegen erstellen ungefähr 170 Phantombilder pro Jahr: Sehr vorsichtig schätzt sie die Aufklärungsrate auf etwa 15 bis 20 Prozent. Ähnlich Joachim Wendt, der seit 20 Jahren Phantombildzeichner ist und etwa 50 bis 100 Bilder pro Jahr erstellt. "Ich schätze, dass etwa 10 bis 20 Prozent der Bilder dazu beitragen, dass der Täter gefunden wird, das wären dann 5 bis 20."

Noch höher die Zahlen in Nordrhein-Westfalen: "Ungefähr 25 Prozent unserer ca. 350 Fahndungsbildmontagen pro Jahr führen zum Erfolg. Das bedeutet, dass die veröffentlichte Fahndungsbildmontage die erhoffte Reaktion in der Bevölkerung auslöst und der Sachbearbeiter gezielt diese Person überprüfen kann und sie gegebenenfalls durch weitere Maßnahmen der Tat überführen kann. Allein eine große und verblüffende Ähnlichkeit zwischen Bild und ermittelter Person stellt noch keinen Beweis dar."

In Baden-Württemberg rechnet man damit, dass etwa 30 bis 40 Prozent der Phantombilder "Grund für die Aufklärung einer Straftat" sind. Allerdings führt ein Bild nicht unbedingt zu einer Festnahme. "Manche Bilder zeigen gar keinen Täter, sondern vielleicht Zeugen. Außerdem wird nicht bei jeder Tat ein Täter inhaftiert." Vage bleiben beispielsweise die Bayern, dem bayerischen LKA lägen keine statistischen Erkenntnisse vor. "Es ist jedoch über die Jahre hinweg bekannt, dass immer wieder Straftaten auch mit Hilfe eine Phantombildes geklärt werden konnten. Auf jeden Fall sind Phantombilder als ein wichtiges, zusätzliches Fahndungshilfsmittel anzusehen."

Interessant die Angaben des Facette-Herstellers identi.net: "Den Erfahrungen nach wird rund ein Drittel aller Fälle, bei denen ein Facette-Bild als Fahndungsmittel dient, über das Phantombild aufgeklärt. Jedes dritte Facette-Phantombild führt zum Ermittlungserfolg." Auf Nachfrage zur Quelle für diese Statistik antwortete Geschäftsführer Walter Maschner: "Über den Einfluss von Phantombildern auf den Fahndungserfolg werden keine offiziellen Statistiken geführt. Bei dem von uns genannten Wert geht es um einen Erfahrungswert, der uns erstmals 1990 von einem bayerischen Phantombildzeichner genannt wurde und seitdem von Facette-Anwendern immer wieder in persönlichen Gesprächen, z.B. bei Lehrgängen, bestätigt wird."

In der Wissenschaft ist der Sinn von Phantombildern umstritten: "Die Erstellung von Phantombildern sollte eher vermieden werden. Manchmal sollen Augenzeugen mittels speziell dafür entwickelter Computersoftware das Gesicht eines Tatverdächtigen rekonstruieren. In der Regel sehen die Gesichter, die Augenzeugen mit diesen Programmen erstellen, den wirklichen Verdächtigen nicht sehr ähnlich. Zudem ergab eine neuere Untersuchung, dass Zeugen, die mit diesen Programmen Phantombilder generiert hatten, sich schlechter an den Verdächtigen erinnerten als Zeugen, die kein Phantombild erstellt hatten. Sich auf bestimmter Merkmale eines Gesichts zu konzentrieren, etwa auf die Kinnform, wirkt offenbar störend auf die ursprüngliche Erinnerung an das Gesicht", heißt es in einer wissenschaftlichen Untersuchung aus dem Jahr 2005.

Allerdings kann man auch anmerken, dass manche Phantombildzeichner gerade dies als Pluspunkt für die Arbeit am Phantombild nennen: Dann können die Zeugen endlich vergessen! Genau genommen ergeben beide Sichtweisen jedoch kein reines Argument gegen das Erstellen von Phantombildern. Nicht nur das Erstellen eines Phantombildes, sondern sogar schon das Beschreiben scheint selbst zum Vergessen, genauer "Überschreiben" einer Erinnerung zu führen. Wenn nun aber Zeugen gar nicht beschreiben, weder verbal, noch in der Mitarbeit am Phantombild, findet die Polizei womöglich niemand. So betrachtet, ist die Arbeit am Phantombild als Fahndungshilfe zu betrachten werden. Dabei ist allerdings die grundlegende Problematik von Zeugenaussagen, an was sich wie erinnert wird, noch gar nicht gestreift. (jk)