Missing Link: New Digital Deal - Kunst (nicht nur) des Digitalen

Die Ars Electronica: Kunst, Technologie und Gesellschaft. Sind Lebensmittelrückstände für Kleidung geeignet und isst man besser Erde oder sein eigenes Fleisch?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen

(Bild: 3Dsculptor / Shutterstock.com)

Lesezeit: 25 Min.
Von
  • Johannes Schacht
Inhaltsverzeichnis

Kunst, Technologie und Gesellschaft - all das möchte die Ars Electronica zusammenbringen und die Auswirkungen darstellen. 2021 fand das Festival vom 8. bis 12 September unter dem Motto "A New Digital Deal" statt.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Zur Eröffnung vertieft Gerfried Stocker, der langjährige künstlerische Leiter des Festivals, das Motto: A New Digitial Deal. Es geht darum, Verfahren und Regeln zu finden, das wir die Kontrolle drüber bekommen oder behalten, wie das digitale Zusammenleben sich gestaltet und ob das Internet zu einer gerechteren Welt beitragen wird. Welches "wir" er dabei genau meint und was die andere Seite wäre, hätte man gerne erfahren, denn die Partner des Festivals decken die österreichische Gesellschaft breit ab und auch europäische Institutionen sind stark vertreten. Aber natürlich ist eine Eröffnungsfeierlichkeit nicht der Ort für solche tiefgehenden Überlegungen.

Einen Überblick über den Stand der Medienkunst zu gewähren – das ist der Anspruch des Festivals und er wird regelmäßig eingelöst. In der Johannes-Kepler-Universität (JKU) ist die sogenannte Themenausstellung untergebracht und speist sich aus den Einreichungen zum Prix Ars Electronica, zum europäischen STARTS-Wettbewerb und Exponaten der Kooperationspartner.

Zum ersten Mal gelingt es dem Besucher, die Werke komplett zu erfassen. Normalerweise wird man von der Fülle und Vielfalt des Angebots erschlagen und verlässt das Feld mit der Gewissheit, vieles Wichtige und vielleicht sogar das Beste übersehen zu haben. Doch Corona hat das Format der Veranstaltung verändert. Die JKU ist nur ein Garten unter 86 anderen in der Welt. Das "Garten-Format" wurde im letzten Jahr erfunden, als das Programm in Linz pandemiebedingt auf ein Minimum reduziert wurde. Was früher in den Hallen, Gängen und Kellern des stillgelegten Postverteilzentrums gepresst wurde, verteilt sich heute auf die ganze Welt. Eine bemerkenswerte Antwort auf die veränderte Situation und wir sind gespannt, was davon nach der Pandemie verbleibt.

Die Auswahl ist sehenswert. Vielen Exponaten gelingt es mit Witz aktuelle Themen, neue Technologien und ästhetische Herangehensweisen zu verbinden. Typisch beispielsweise "How to Strand Astronauts on the Moon" von Halsey Burgund (US) und Francesca Panetta (UK): Wir sehen Richard Nixons nie gehaltene Fernsehansprache, für den Fall, dass die Mondastronauten nicht zurückkehren würden. Der Wortlaut der seinerzeit vorbereiteten Rede wird dem damaligen Präsidenten per Deep-Fake in den Mund gerendert. Der Besucher sieht die Ansprache in einen alten Röhrenfernseher mit damaliger Bild- und Tonqualität und sitzt dabei in den typischen Cocktailsesseln der 1960er-Jahre. Geht es um Medien, Verschwörungstheorien, Technikkritik – egal von welchem Winkel man sich nähert, der Besucher kann in die unterschiedlichsten Assoziationswinkel eintauchen.

Oder "Made to Measure – I is a Search Engine" von Laokoon, ein Label unter dem sich Hans Block (DE), Moritz Riesewieck (DE), und Cosima Terrasse (FR) künstlerischen und crossmedialen Projekten zu Digitalität und Gesellschaft widmen. Hier wird ein altbekanntes Topic behandelt, nämlich was die Internetkonzerne alles über uns wissen. Aber es wird nicht der pädagogische Zeigefinger gehoben, der den hilflosen User darüber aufklärt, wie der böse Datenkrake ihn ausplündert. Stattdessen wird ein packendes, hochinformatives Experiment gemacht. Laokoon nimmt die Suchanfragen einer bestimmten Person, einer Frau, und versucht das Leben dieser Person zusammen mit einer Schauspielerin nachzustellen. Man kann beobachten, wie sich immer genauere Persönlichkeitsmerkmale erschließen und die Schauspielerin immer tiefer in die Rolle eindringt. Wenn der Beobachter das Geschehen nicht auf den Großleinwänden verfolgt, sondern auf den Bildschirmen auf der Empore, interagiert er mit der Software und merkt, wie ihn diese wiederum selbst beobachtet.

Made to Measure – I is a Search Engine

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Die prämierten Kunstwerke des Wettbewerbs befinden sich wie immer im "OK", dem Offenen Kulturhaus an der Linzer Einkaufszone. Hier werden die Sieger der einzelnen Wettbewerbskategorien gezeigt. Mittlerweile wird im Zweijahresrhythmus je eine Hälfte der Kategorien gezeigt, eine Einschränkung, die der Bewältigung der stark gestiegenen Zahl an Einreichungen geschuldet ist, wie auch der Ausweitung der Preiskategorien selbst. In diesem Jahr wurden die Kategorien "Computer Animation", "Artificial Intelligenz & Life Art" und "Digital Musics & Sound Art" ausgezeichnet. Dazu der jährlich stattfindende STARTS-Wettbewerb (Science + Technology + Arts), eine Initiative der Europäischen Union mit Preisgeldern in Höhe von 2 x 20.000 Euro.

Es fällt auf, dass führende Twitter-Hashtags wie Gender, Rassismus, Trans oder Klima stark vertreten sind. Ob die Dominanz bei den Einreichungen dafür ursächlich ist, weil viele Künstler sich an den Zeitgeistthemen und den Mächtigen orientieren, oder der Auswahlprozess der Jury, die diesmal online tagen musste und damit ein wichtiges gruppendynamisches Element verlor, bleibt hier offen.

Animation gehört, ebenso wie digitale Musik, zu den ältesten Kategorien. Die Zeit, in der unbekannte Bildererlebnisse durch technische Innovationen bestaunt werden konnten, ist spätestens vorbei, seit in Hollywood computergenerierte Bildproduktionen selbstverständlich geworden sind. Insofern tritt der Inhalt stärker in den Vordergrund. Der Film "When the sea sends forth a forest" von Guangli Liu (CN) erhielt die Goldene Nica. Er befasst sich mit den Chinesen in Kambodscha zur Zeit der Roten Khmer. Es ist ein vergessenes Schicksal, denn sie wurden brutal verfolgt und getötet, erstaunlicherweise, denn Maos China nannte sich ja ebenfalls kommunistisch. Es existieren kaum Bildaufnahmen und so behalf sich Liu indem er die wenigen Filmdokumente zusammen mit Propagandafilmen in eine Computerspielanimation einband. Die Erzählstimme berichtet in der Ichform vom Schicksal einer Familie in den Wirren der damaligen Zeit.

Auch die Bulgarin Veneta Androva greift in ihrem Werk "AIVA" auf Computerspieltechnik zurück. Sie erzählt von der Malerin AIVA, einem Roboter mit "artificial female intelligence", deren Kunstwerke für den Galeristen, der sie erschaffen hat, hohe Einnahmen erzielen. Die erschaffene Figur karikiert das Klischee des männlichen Künstlergenies. Sie lässt ihre Muse, natürlich ein nackter Mann, solange posieren, bis sie von Inspiration gepackt wird, als der Penis im Handstand sich so mächtig gegen die Schwerkraft wehrte. Nun, das Ergebnis sind ein Haufen tafelbildartiger Pimmelbilder. Das Ganze lässt den Betrachter unentwegt schmunzeln, vor allem ob der Erzählstimme in der typischen Intonation einer weiblichen Museumsführerin und dem Geschwurbel von "International Art English", das einem so flüssig in das eine Ohr reingeht, wie es aus dem anderen wieder rauskommt.

AIVA – Die erschaffene Figur karikiert das Klischee des männlichen Künstlergenies

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Nicht beschreiben kann man "OPERA" von Erick Oh (US), ein bildgewaltiges Opus, welches die ganze Welt und den Gang dieser Welt und ihrer Menschen in einem einzigen bewegten Bild illustriert. Man möchte sich auch nach dem dritten Mal anschauen nicht lösen, würde man doch auch beim vierten oder fünften Mal weitere Einzelheiten entdecken, die Macht, Religion, Klassen, Rassismus, Krieg und Terror aufzeigen.